Das Gottesbild Parzivals (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Artikel soll die Wandlung des Gottesbild Parzivals genauer untersuchen. Inwiefern ist das von der Mutter definierte Gottesbild von Dauer und inwiefern spielen die ihm widerfahrenden Ereignisse auf der aventîure-Fahrt eine prägende Rolle? Zu Fragen wird auch sein, inwiefern Parzivals Gottesbild eine entscheidende Rolle für die Erfüllung der Prophezeiung - Parzival erlöst Anfortas - darstellt.

Phase 1: Das Gottesbild der Mutter

Herzeloyde und Parzival im Wald von Soltane (UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 339, fol. 87r)

Das Kind Parzival wird – fernab von jeglicher menschlichen Zivilisation – im Wald von der Mutter aufgezogen. Sein einziger Bezugspunkt – die Mutter – definiert also zunächst auch sein Gottesbild: Auf die Nachfrage, was Gott denn sei, antwortet sie:

» sun, ich sage dirz âne spot.

_____

„Mein Sohn, ich will’s dir sagen,

er ist noch liehter denne der tac,

_____

ganz im Ernst: Er ist noch heller

der antlitzes sich bewac

_____

als der Tag; Er macht sich

nâch menschen antlitze.

_____

zum Ebenbild des Menschen.

sun, merke eine witze,

_____

Und merke dir die Lehre, Sohn:

und flêhe in umbe dîne nôt:

_____

bete zu Ihm in der Not.

sîn triwe der werlde ie helfe bôt. « 

_____

Schon immer stand Er zu den Menschen..“ [1]

(Pz. III, 119, 18-24)


Es wird also ein ausgesprochen kindlich-naives und keineswegs differenziertes Gottesbild vermittelt, geschweige denn eine Anleitung gegeben, wie man mit Gott gewinnbringend in Kontakt treten kann. Und so ist der „tume Tor“ auch durch seine Erziehung entschuldigt, wenn er den ersten Rittern gegenüber steht und sie aufgrund ihrer strahlenden Rüstung für Götter hält.

Phase 2: Theodizeefrage und Lossagung von Gott

Nach Parzivals erster gescheiterter Gralsbegegnung auf Munsalvaesche und der anschließenden öffentlichen Ächtung durch Cundry am Artushof, ist für den Gralsritter der Schuldige schnell gefunden – Gott. Es handelt sich also nicht ausschließlich um eine höfisch-gesellschaftliche Krise; Parzival stürzt viel mehr in eine tiefe religiöse Unzufriedenheit.[Brall 1983: S. 245][2] Besonders deutlich wird dies, als Gawan ihm vor seiner Abreise Gottes Beistand wünscht und Parzival im Gegenzug die Theodizee-Frage stellt.

» der Wâleis sprach "wê waz ist got? _____ Der Waliser: "Ach, was ist Gott?!
wær der gewaldec, sölhen spot _____ Wenn Er so allmächtig wäre,
het er uns pêden niht gegebn, _____ Seine Macht auch offenbarte,
kunde got mit kreften lebn. _____ hätt Er uns die Schmack erspart.
ich was im diens undertân, _____ Seit ich von Seiner Gnade weiß,
sît ich genâden mich versan." « _____ bin ich Ihm im Dienst ergeben -[3]"
(Pz. VI, 332, 1-6)

Doch Parzival geht noch weiter. Direkt im Anschluss sagt er sich vollständig von Gott los.

» nu wil i'm dienst widersagn: _____ ich künde Ihm den Dienst nun auf!
hât er haz, den wil ich tragn. « _____ Haßt Er mich, so nehm ich's hin...[4]
(Pz. VI, 332, 7f.)


Die Ächtung lässt Parzival also in beiden Welten, der höfischen und der geistlichen, auf der Reputationsleiter wieder ganz unten beginnen.[Brall 1983: S. 245]

Phase 3: Trevrizent – Parzivals religiöses Gewissen

Etwa viereinhalb Jahre irrt Parzival durch verschiedene Gebiete, ja ganze Länder auf der Suche nach dem Gral, überall erringt er großen ritterliche Ruhm, dennoch: der erneute Gralsbesuch bleibt aus. Auf einer seinen Irrfahrten gelangt er schließlich ein weiteres, drittes Mal zu Sigune. Als er ihr sein Leid klagt und um einen Rat bittet, ist sie als Erste in der Lage zu formulieren, woran es Parzival wirklich mangelt. Zumindest scheint sie es zu ahnen, wenn sie ganz bewusst Gott ins Spiel bringt.

»si sprach "nu helfe dir des hant, _____ Sie sagte: "Möge Er dir helfen,
dem aller kumber ist bekant; _____ Der von allen Nöten weiß,
ob dir sô wol gelinge, _____ damit du so erfolgreich wirst,
daz dich ein slâ dar bringe, _____ daß dich die Hufspur dorthin führt,
aldâ du Munsalvæsche sihst, _____ wo du den Mont Sauvage erblickst -
dâ du mir dîner freuden gihst. _____ du sagst mir selbst, dort sei dein Heil.[5]
(Pz. IX, 442, 9-14)


Aber sein Hass auf Gott steht ihm weiterhin im Wege. Er kann noch so nah an Munsalvaesche vorbeireiten, zu Gesicht bekommt er weder die Festung, noch das, was sich darin abspielt. Lediglich einen Kampf mit einem der Gralsritter absolviert er, in direkter Nähe zu der Burg. Aber auch hier versucht er erst gar nicht zu fragen, ob und wie er zur Gralsburg kommt, seine einzigen Gedanken sind, wie er den nächsten Zweikampf gewinnen kann.[Maurer 1950: S. 103] Doch Aussicht auf Besserung ist in Sicht: Parzival begegnet dem Einsiedler Trevrizent. Bezeichnenderweise gelangt er zu ihm, da er am heiligen Karfreitag bewaffnet und in voller Rüstung umherstreift und von einer pilgernden Familie aufgehalten wird, die ihm ein demütiges Leben und Gottvertrauen vorleben, was Parzival zum Nach- und Umdenken bewegt. Er räsoniert anschließend:

er sprach "ist gotes kraft sô fier _____ Er sprach: "Ist Gottes macht so groß,
daz si beidiu ors unde tier _____ daß Er die Pferde, alle Tiere
unt die liut mac wîsen _____ und die Menschen lenken kann,
sîn kraft wil i'm prîsen. _____ so preis ich vor Ihm seine macht.
Beispiemac gotes kunst die helfe hân, _____ Kann mir Seine Weisheit helfen,
diu wîse mir diz kastelân _____ so lenke sie den kastilianer
dez wægest umb die reise mîn: _____ auf diesem Ritt, so gut es geht
sô tuot sîn güete helfe schîn: _____ damit beweist er Seine Güte.
nu genc nâch der gotes kür. _____ Lauf zum Ziel, das Gott dir zeigt!"
(Pz. IX, 452, 1-9.)


Bereits zum zweiten Mal überlässt Parzival seinem Pferd die Zügel und zum zweiten Mal lässt sich Gottes Arm dahinter erahnen: Parzival gelangt zu seinem Oheim Trevrizent. Aber Parzivals Gotteshass ist noch nicht überwunden, er klagt dem frommen Einsiedler sein Leid mit Gott.

Parzival kommt zu Trevrizent (UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 339, Bd. 2, Bl. 335r.)
» swâ kirchen ode münster stuont, _____ in allen Kirchen oder Münstern,
dâ man gotes êre sprach, _____ in denen Gott gepriesen wurde,
kein ouge mich dâ nie gesach _____ hat mich im erwähnten Zeitraum
sît den selben zîten: _____ keiner jemals angetroffen.
ichn suochte niht wan strîten. _____ Ich wollte nur das eine: Kampf.
ouch trage ich hazzes vil gein gote: _____ Ich trage großen haß auf Gott:
wand er ist mîner sorgen tote. _____ Er ist der Pate meines Leids,
die hât er alze hôhe erhabn: _____ Er hob es aus der Taufe, allzu hoch.
mîn freude ist lebendec begrabn. _____ Mein Glück: lebendig eingegraben.
kunde gotes kraft mit helfe sîn, _____ Würde Gottes Macht mir helfen,
waz ankers wær diu vreude mîn? _____ welch ein Anker wär mein Glück!
diu sinket durch der riwe grunt. « _____ Er sinkt in bodenlose Trauer...
(Pz. IX, 461, 4-15)


Im direkten Anschluss gelingt es Trevrizent mit einer groß angelegten (157 Verse!) Lobrede auf Gott, Parzival von seinem religiösen Defizit zu überzeugen. Und dieser lässt sich auch bereitwillig belehren, nimmt die erste ernstzunehmende religiöse Bildung gerne an. Trevrizent erwähnt, ähnlich wie Sigûne zuvor, dass Parzivals Hindernis auf dem Weg zum Gral nun mal seine krisenhafte Beziehung zu Gott darstellt.

»Jane mac den grâl nieman bejagn, _____ Denn niemand kann den Gral erringen,
wan der ze himel ist sô bekannt _____ den der Himmel nicht gut kennt
daz er zem grâle sî benant. « _____ und darauf hin zum Gral beruft.
(Pz. IX, 468, 12-14)

Phase 4: Klärung des Gottesverhältnisses als zwingendes Element zur Erfüllung der Prophezeiung

Dass in Parzival langsam ein Erkenntnisprozess einsetzt, ist daran zu sehen, dass er wenig später selbst formulieren kann, dass ihn seine ritterliche Taten eben nicht zum Gral bringen, auch wenn er noch versucht zu argumentieren, dass er der beste Ritter der Welt sei, keinem einzigen Zweikampf aus dem Weg gegangen und zudem noch siegreich alle bestanden hätte. Unterschwellig klingt auch im naiven Parzival ein Umdenken an und nur folgerichtig flicht er kurz danach das erste Mal wieder ein Bezug zu Gott in seine Rede ein, wenn auch nur floskelhaft.

»Parzivâl sprach "hêrre, _____ "Herr", so sagte Parzival,
der gotes gruoz mir verre, _____ "wenn es mir jemals besser schmeckt,
op mich ie baz gezæme _____ was ich als Gast verzehren darf,
swes ich von wirte næme.« _____ entziehe Gott mir seine Huld."
(Pz. IX, 486, 27-30)


So unwichtig und nichtig diese Floskel zu sein scheint, ist sie dennoch Anzeichen dafür, dass der Tiefpunkt der Beziehung zwischen Gott und Parzival nun überschritten zu sein scheint. Aber Trevrizent leistet weit mehr: Er klärt Parzival nicht nur über die genaue Beschaffenheit des Gralsproblems auf - also über die Leiden Anfortas' - ihm gelingt es, dass Parzival endlich sein Versagen beichtet.


» der ûf Munsalvæsche reit, _____ Der zum Mont Sauvage hinaufritt
unt der den rehten kumber sach, _____ und den ganzen Jammer sah,
unt der deheine vrâge sprach, _____ dennoch keine Frage stellte,
daz bin ich unsælec barn: _____ das bin ich, das Unglückskind
sus hân ich, hêrre, missevarn. « _____ Ich habe mich dort falsch verhalten.
(Pz. IX, 488, 16-20)


Diese Beichte ist insofern wichtig, als dass Parzival sich erst danach durch den Aufruf Trevrizents zur Buße seine Verfehlungen erkennt und den Versuch, sich davon zu befreien, starten kann. Die Klärung des Gottesverhältnis Parzivals kann also nur mithilfe Trevrizents stattfinden, ist aber auf der anderen Seite zwingend für Parzivals heilsgeschichtlichen Weg: Erst danach wird er zum Gral berufen.[6] Interessant auch, dass nun jeder Makel von potentieller Unchristlichkeit, der Parzival noch nachgesagt werden könnten, getilgt wird. Im Kampf heißt es nun: »der getoufte wol getrûwet gote«(Pz. XV, 741, 26). Spiewok geht in seiner Übersetzung sogar so weit, dass er es mit „Der Christ vertraute auf Gott“[7] übersetzt. Parzival wird also nicht mehr nur über seine eigen Kraft, Kühnheit usw. definiert, sondern bewusst wird in die Kampfhandlung eine christliche Komponente eingeführt.

Schlussbetrachtung

Zweikampf zwischen Parzival und dem Heiden Feirefiz (UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 339, I. Buch, Blatt 540v.)

Erst die Synthese aus Gottesfurcht und Ritterlichkeit lässt ihn den Gral sehen und - wichtiger - vor ihm bestehen. Der stärkste Ritter der Welt scheint er schon recht früh zu sein, spätestens dann bestätigt, als er die beiden Repräsentanten der existierenden Welten besiegt - Gawan (Vgl. auch Gawan und Parzival im Vergleich ), der Inbegriff des Rittertums des Artushofes, und später dann Feirefiz, den Repräsentanten des Orients - dennoch steht ihm sein Gotteshass auf der Suche nach dem Gral im Weg, den er mit Trevrizents Hilfe überwindet und seine Demut gegenüber Gott letztendlich in der dreimaligen Verbeugung vor dem Gral gipfeln lässt. Erst in diesem Zustand kann Parzival sich selbst zum Gralsherrscher aufschwingen. Erst hier gelingt es ihm, die säkulare und christliche Welt in einer, seiner eigenen, Person zu verbinden.[Rupp 1957: 105]

Anmerkungen

  1. Wolfram von Eschenbach: Parzival, hrsg. von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn, Frankfurt a. M. 1997, 203f.
  2. Vgl. Wapneski, Peter: Wolfram von Eschenbach Parzival, in: DIE ZEIT Nr.46 (10. Nov. 1878).
  3. Wolfram von Eschenbach 1997, 551.
  4. Wolfram von Eschenbach 1997, 551.
  5. Wolfram von Eschenbach 1997, 773.
  6. Vgl. dazu auch Wapneski, Peter: DIE ZEIT, Nr. 46 (10. Nov. 1978).: "Da ist also Parzival, jener Neffe, der die erlösende Frage nicht stellen kann, als er vor seinem qualvoll leidenden Onkel, dem Gralkönig Amfortas [sic!], steht. Und der, obwohl prädestiniert zum Nachfolger, verstoßen wird und sich nun auf die Würde des hohen Amtes hinarbeiten muß in Treue, mitleidender Hilfe und Klärung seines Gottesverhältnisses. Ein Gottsucher, wahrlich - und damit auch ein Sucher seiner selbst, seiner Identität [...]
  7. Spiewok 1977, 527.

Literaturverweise: <HarvardReferences /> [*Rupp 1957] Rupp, Heinz: „Die Bedeutung des Wortes tump im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach“, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift. Hrsg. von Franz Rolf Schröder, Heidelberg 1957, Bd. 7, S. 97-106.

[*Wapneski 1978] Wapneski, Peter: Wolfram von Eschenbach. Parzival, in: DIE ZEIT, Nr. 46 (10. Nov. 1978).

[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Auflage, Stuttgart/Weimar 2004.

[*Brall 1983] Brall, Helmut: Gralsuche und Adelsheil. Studien zu Wolframs Parzival, Heidelberg 1983.