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==Kontextualisierung, Analyse, Interpretation== | ==Kontextualisierung, Analyse, Interpretation== | ||
Die genauen Details der Einbindung von Eudos weiblichem Nachwuchs in die muslimische Sphäre lassen sich also nicht abschließend klären. Dennoch ist es möglich, noch etwas genauer zu definieren, wie Eudo in die politischen Geflechte des muslimischen al-Andalus und des unter zunehmender karolingischer Dominanz stehenden Frankenreichs eingebunden war und welche Rolle ihm in der berühmten Schlacht von Tours und Poitiers zukommt. Letztere wurde gerade in der älteren Forschung als ein Meilenstein der europäischen Geschichte gesehen. Edward Gibbon zufolge verhinderte die Schlacht den weiteren Vorstoß muslimischer Truppen auf den Kontinent und sogar die Islamisierung Englands, Arnold Toynbee zufolge sicherte sie das Überleben der jungen westlichen Zivilisation, eine Aussage, die bis heute immer wieder getätigt wird.<ref name="ftn12">Gibbon, ''History of the Decline and Fall'', Bd. 7, cap. 52, S. 13; Toynbee, ''Study of History'', Bd. 2, S. 203–204; Toynbee, ''Study of History. Abbreviation of vols I–VI by D.C. Somervell'', S. 124.</ref> Die neuere Forschung schränkt die Bedeutung der Schlacht häufig ein:<ref name="ftn13">Vgl. Collins, ''Arab Conquest'', S. 89-90. Skepsis findet sich aber auch schon bei älteren Autoren, vgl. Nonn, Schlacht bei Poitiers, S. 53-54.</ref> Sie hatte der muslimischen Präsenz in Gallien schließlich kein Ende gesetzt, denn noch bis 759 hielten muslimische Truppen die unter al-Samḥ 719-721 eroberte Stadt Narbonne besetzt.<ref name="ftn14">''Annales Mettenses priores'', a. 752, ed. de Simson, 43; ''Chronicarum qui dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', cap. 44, ed. Krusch, 188; ''Chronicon Moissiacense'', a. 752 and 759, ed. Pertz (MGH SS 1), 294; cf. Sénac, ''Carolingiens'', 37-40.</ref> Zudem muss das komplexe Geflecht austrasisch-aquitanischer und arabisch-berberischer Beziehungen stärker in Betracht gezogen werden, in welches das punktuelle Ereignis der berühmten Schlacht eingebettet ist.<ref name="ftn15">Sénac, ''Carolingiens'', 17-31; König, Charlemagne’s ‚Jihād‘, S. 19-20.</ref> Dazu ist es notwendig, die Figur Eudos etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Der ''dux'' Aquitaniens geriet durch die muslimischen Razzien und die Belagerung von Toulouse 721 unter enormen Druck. Der Eintrag zum Papsttum Gregors II. (sed. 715-31) im ''Liber pontificalis ''deutet darauf hin, dass sich Eudo in dieser Situation an den Papst gewandt hatte. Er erwähnt einen von den Franken geschickten Brief, der wiederum von einer generellen Mobilmachung gegen die Sarazenen und einer Schlacht berichtet, bei der angeblich 375.000 Sarazenen, aber nur 1.500 Franken gefallen seien, „weil ihnen drei für den Gebrauch am Tisch des Papstes bestimmte Schwämme mitgegeben wurden, als der Krieg begann, die ihnen im vorangegangenen Jahr mit dem Segen des erwähnten Mannes zugeschickt worden waren. Eudo, der Fürst von Aquitanien, verteilte sie in kleinen Stücken an sein Volk, damit sie sie zu sich | Die genauen Details der Einbindung von Eudos weiblichem Nachwuchs in die muslimische Sphäre lassen sich also nicht abschließend klären. Dennoch ist es möglich, noch etwas genauer zu definieren, wie Eudo in die politischen Geflechte des muslimischen al-Andalus und des unter zunehmender karolingischer Dominanz stehenden Frankenreichs eingebunden war und welche Rolle ihm in der berühmten Schlacht von Tours und Poitiers zukommt. Letztere wurde gerade in der älteren Forschung als ein Meilenstein der europäischen Geschichte gesehen. Edward Gibbon zufolge verhinderte die Schlacht den weiteren Vorstoß muslimischer Truppen auf den Kontinent und sogar die Islamisierung Englands, Arnold Toynbee zufolge sicherte sie das Überleben der jungen westlichen Zivilisation, eine Aussage, die bis heute immer wieder getätigt wird.<ref name="ftn12">Gibbon, ''History of the Decline and Fall'', Bd. 7, cap. 52, S. 13; Toynbee, ''Study of History'', Bd. 2, S. 203–204; Toynbee, ''Study of History. Abbreviation of vols I–VI by D.C. Somervell'', S. 124.</ref> Die neuere Forschung schränkt die Bedeutung der Schlacht häufig ein:<ref name="ftn13">Vgl. Collins, ''Arab Conquest'', S. 89-90. Skepsis findet sich aber auch schon bei älteren Autoren, vgl. Nonn, Schlacht bei Poitiers, S. 53-54.</ref> Sie hatte der muslimischen Präsenz in Gallien schließlich kein Ende gesetzt, denn noch bis 759 hielten muslimische Truppen die unter al-Samḥ 719-721 eroberte Stadt Narbonne besetzt.<ref name="ftn14">''Annales Mettenses priores'', a. 752, ed. de Simson, 43; ''Chronicarum qui dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', cap. 44, ed. Krusch, 188; ''Chronicon Moissiacense'', a. 752 and 759, ed. Pertz (MGH SS 1), 294; cf. Sénac, ''Carolingiens'', 37-40.</ref> Zudem muss das komplexe Geflecht austrasisch-aquitanischer und arabisch-berberischer Beziehungen stärker in Betracht gezogen werden, in welches das punktuelle Ereignis der berühmten Schlacht eingebettet ist.<ref name="ftn15">Sénac, ''Carolingiens'', 17-31; König, Charlemagne’s ‚Jihād‘, S. 19-20.</ref> Dazu ist es notwendig, die Figur Eudos etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Der ''dux'' Aquitaniens geriet durch die muslimischen Razzien und die Belagerung von Toulouse 721 unter enormen Druck. Der Eintrag zum Papsttum Gregors II. (sed. 715-31) im ''Liber pontificalis ''deutet darauf hin, dass sich Eudo in dieser Situation an den Papst gewandt hatte. Er erwähnt einen von den Franken geschickten Brief, der wiederum von einer generellen Mobilmachung gegen die Sarazenen und einer Schlacht berichtet, bei der angeblich 375.000 Sarazenen, aber nur 1.500 Franken gefallen seien, „weil ihnen drei für den Gebrauch am Tisch des Papstes bestimmte Schwämme mitgegeben wurden, als der Krieg begann, die ihnen im vorangegangenen Jahr mit dem Segen des erwähnten Mannes zugeschickt worden waren. Eudo, der Fürst von Aquitanien, verteilte sie in kleinen Stücken an sein Volk, damit sie sie zu sich nahmen, sodass von denjenigen, die daran Teil hatten, kein einziger verletzt oder getötet wurde.“<ref name="ftn16">''Liber pontificalis'', ed. Duchesne, vol. 1, cap. XCI (Gregorius II, sed. 715-31), § 182 (§ XI), p. 401: „Undecimo vero anno generalis facta Francorum motio contra Sarracenos circumdantes interemerunt. Trecenta enim septuaginta quinque milia uno sunt die interfecti, ut Francorum missa pontificis epistola continebat; mille tantum quingentos ex Francis fuisse mortuos in eodem bello dixerunt, quod anno praemisso in benedictione a praedicto viro eis directis tribus spongiis quibus ad usum mense pontificis apponuntur, intra qua bellum committebatur. Eodo, Aquitanie princeps, populo suo per modicas partes tribuens ad sumendum, ex eis ne unus vulneratus est nec mortuus ex his qui participati sunt.“ Vgl. Rouche, Le pape, S. 206-207; Nonn, Schlacht bei Poitiers, S. 47.</ref> | ||
Während der ''Liber pontificalis ''Eudo damit als päpstlich gestützten Retter des Frankenreiches darstellt, beschuldigen mehrere der karolingischen Familie nahestehende Chroniken Eudo, muslimische Razzien in das Frankenreich provoziert zu haben: In den ''Continuationes'' der so genannten Fredegarchroniken wird Eudo als Gegenspieler Karl Martells aufgebaut. Zunächst habe er sich vor 724 mit den Gegenspielern Karl Martells, dem König Chilperich II. und dem Hausmeier Raganfred, verbündet, sei dann aber von Karl Martell in die Flucht geschlagen worden. Karl sei dabei in Eudos Territorium eingedrungen und habe die Auslieferung Chilperichs II. erzwungen, der zu Eudo geflohen war.<ref name="ftn17">''Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 2), cap. 10, S. 174.</ref> Als Eudo dann seinen Friedensvertrag mit Karl aufgekündigt habe (''a iure foederis recedente''), sei Karl um 731 wiederum plündernd in Eudos Gebiet eingedrungen. Eudo habe daraufhin das „untreue Volk der Sarazenen“ (''gentem perfidam Saracinorum'') gegen Karl und das Volk der Franken zu Hilfe gerufen. Als daraufhin die Truppen unter der Führung von ʿAbd al-Raḥmān b. ʿAbd Allāh al-Ġāfiqī eingefallen seien und in den Städten Tours und Poitiers Kirchen niedergebrannt und geplündert hätten, sei Karl siegreich gegen sie vorgegangen. Im folgenden Jahr habe er sich dann Burgund unterworfen und dieses mit seinen Leuten besetzt. Beim Tod Eudos 735 sei er wiederum in dessen Gebiet eingefallen und habe sich dieses unterworfen.<ref name="ftn18">''Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 2), cap. 13-15, S. 175-176.</ref> In den gleichartige Informationen | Während der ''Liber pontificalis ''Eudo damit als päpstlich gestützten Retter des Frankenreiches darstellt, beschuldigen mehrere der karolingischen Familie nahestehende Chroniken Eudo, muslimische Razzien in das Frankenreich provoziert zu haben: In den ''Continuationes'' der so genannten Fredegarchroniken wird Eudo als Gegenspieler Karl Martells aufgebaut. Zunächst habe er sich vor 724 mit den Gegenspielern Karl Martells, dem König Chilperich II. und dem Hausmeier Raganfred, verbündet, sei dann aber von Karl Martell in die Flucht geschlagen worden. Karl sei dabei in Eudos Territorium eingedrungen und habe die Auslieferung Chilperichs II. erzwungen, der zu Eudo geflohen war.<ref name="ftn17">''Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 2), cap. 10, S. 174.</ref> Als Eudo dann seinen Friedensvertrag mit Karl aufgekündigt habe (''a iure foederis recedente''), sei Karl um 731 wiederum plündernd in Eudos Gebiet eingedrungen. Eudo habe daraufhin das „untreue Volk der Sarazenen“ (''gentem perfidam Saracinorum'') gegen Karl und das Volk der Franken zu Hilfe gerufen. Als daraufhin die Truppen unter der Führung von ʿAbd al-Raḥmān b. ʿAbd Allāh al-Ġāfiqī eingefallen seien und in den Städten Tours und Poitiers Kirchen niedergebrannt und geplündert hätten, sei Karl siegreich gegen sie vorgegangen. Im folgenden Jahr habe er sich dann Burgund unterworfen und dieses mit seinen Leuten besetzt. Beim Tod Eudos 735 sei er wiederum in dessen Gebiet eingefallen und habe sich dieses unterworfen.<ref name="ftn18">''Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 2), cap. 13-15, S. 175-176.</ref> In den gleichartige Informationen enthaltenden ''Annales Fuldenses ''und ''Annales Mettenses priores ''wird weiter ausgeführt, wie Karl Martell in den nächsten Jahren systematisch den Süden und Südwesten Galliens unter seine Kontrolle brachte, die Sarazenen mehrfach schlug, um dann vor seinem Tod dem Frankenreich Frieden und Ruhe zurückzubringen.<ref name="ftn19">''Annales Fuldenses, ''ed. Pertz und Kurze (MGH SS rer. Germ. in us. schol. 7), a. 718-740, S. 2-4; ''Annales Mettenses priores'', ed. de Simson, a. 717-740, S. 25-31. Vgl. auch ''Gesta abbatum Fontanellensium'', ed. Loewenfeld (MGH SS rer. Germ. in us. schol. 28), cap. 9, S. 29.</ref> | ||
Roger Collins hat eine ausführliche Argumentation geliefert, dass diese Darstellung karolingerfreundlicher Quellen nicht nur Karl Martell zu einem Retter des Frankenreiches stilisiert, sondern auch in Eudo einen Sündenbock schafft, dem der muslimische Einfall in Aquitanien zur Last gelegt werden kann. Collins, der hier von „Carolingian dynastic myth making“ spricht<ref name="ftn20">Collins, Deception, S. 246.</ref>, geht sogar soweit zu behaupten, dass es gar der Krieg zwischen Karl Martell und Eudo um 731 gewesen sein könnte, der dem andalusischen Statthalter ʿAbd al-Raḥmān b. ʿAbd Allāh al-Ġāfiqī den geeigneten Anlass gab, um eine Razzie in das durch aquitanisch-fränkischen Zwist geschwächte Aquitanien zu starten.<ref name="ftn21">Collins, Deception, S. 238. Vgl. Nonn, Schlacht bei Poitiers, S. 42-43.</ref> Lateinische Quellen, die eine gewisse, zumindest innere Distanz zur karolingischen Dynastie aufweisen, erwähnen einen Verrat Eudos daher auch nicht: In der verkürzten Fassung der ''Historia Langobardorum'' des Paulus Diaconus wird nur kurz von Spannungen zwischen Eudo und Karl Martell, dann von ihrem gemeinsamen Angriff auf die Muslime berichtet.<ref name="ftn22">Paulus diaconus, ''Historia Langobardorum'', ed. Waitz, lib. VI, cap. 46, 233</ref> Das ''Chronicon Moissaicense'' wiederum berichtet, wie auch die ''Chronica muzarabica'' von 754, zunächst von Eudos Sieg gegen die Muslime unter al-Samḥ. Es erwähnt die Kooperation zwischen Chilperich II., Raganfred und Eudo, schildert die Auslieferung Chilperichs an Karl und erwähnt in diesem Zusammenhang ein Freundschaftsbündnis zwischen Karl und Eudo (''amicitiasque cum eo faciens''). Hier greift Karl weder regelmäßig nach Aquitanien aus, noch wird Eudo vorgeworfen, er habe die Sarazenen gegen Karl zur Hilfe gerufen. Vielmehr kommt es zu der | Roger Collins hat eine ausführliche Argumentation geliefert, dass diese Darstellung karolingerfreundlicher Quellen nicht nur Karl Martell zu einem Retter des Frankenreiches stilisiert, sondern auch in Eudo einen Sündenbock schafft, dem der muslimische Einfall in Aquitanien zur Last gelegt werden kann. Collins, der hier von „Carolingian dynastic myth making“ spricht<ref name="ftn20">Collins, Deception, S. 246.</ref>, geht sogar soweit zu behaupten, dass es gar der Krieg zwischen Karl Martell und Eudo um 731 gewesen sein könnte, der dem andalusischen Statthalter ʿAbd al-Raḥmān b. ʿAbd Allāh al-Ġāfiqī den geeigneten Anlass gab, um eine Razzie in das durch aquitanisch-fränkischen Zwist geschwächte Aquitanien zu starten.<ref name="ftn21">Collins, Deception, S. 238. Vgl. Nonn, Schlacht bei Poitiers, S. 42-43.</ref> Lateinische Quellen, die eine gewisse, zumindest innere Distanz zur karolingischen Dynastie aufweisen, erwähnen einen Verrat Eudos daher auch nicht: In der verkürzten Fassung der ''Historia Langobardorum'' des Paulus Diaconus wird nur kurz von Spannungen zwischen Eudo und Karl Martell, dann von ihrem gemeinsamen Angriff auf die Muslime berichtet.<ref name="ftn22">Paulus diaconus, ''Historia Langobardorum'', ed. Waitz, lib. VI, cap. 46, 233</ref> Das ''Chronicon Moissaicense'' wiederum berichtet, wie auch die ''Chronica muzarabica'' von 754, zunächst von Eudos Sieg gegen die Muslime unter al-Samḥ. Es erwähnt die Kooperation zwischen Chilperich II., Raganfred und Eudo, schildert die Auslieferung Chilperichs an Karl und erwähnt in diesem Zusammenhang ein Freundschaftsbündnis zwischen Karl und Eudo (''amicitiasque cum eo faciens''). Hier greift Karl weder regelmäßig nach Aquitanien aus, noch wird Eudo vorgeworfen, er habe die Sarazenen gegen Karl zur Hilfe gerufen. Vielmehr kommt es zu der Razzia unter ʿAbd al-Raḥmān b. ʿAbd Allāh al-Ġāfiqī, die Eudo dazu veranlasst, Karl Martell um Hilfe zu bitten.<ref name="ftn23">''Chronicon Moissiacense'', ed. Pertz, S. 290-291.</ref> | ||
Die Tatsache, dass nur den Karolingern sehr nahe stehende Quellenautoren Eudo einen Verrat an den Franken vorwerfen, nichtfränkische lateinische Quellen aus Italien, dem muslimischen al-Andalus und der aquitanischen Grenzregion Eudo dagegen v. a. als einen stark bedrängten Herrscher Aquitaniens darstellen, deutet wohl darauf hin, dass es den karolingischen Quellen v. a. daran gelegen war, das Ausgreifen Karl Martells in den Südwesten und seinen Aufstieg zur beherrschenden Figur des Frankenreiches zu legitimieren. Dies spricht dafür, dass Eudo das nur in der ''Chronica muzarabica'' von 754 erwähnte Bündnis mit dem Berber Munnuz schloss, um die Südwestflanke des seit Beginn der 720er Jahre von Razzien bedrängten Aquitanien zu schützen. In arabisch-islamischen Quellen wiederum sind weder Eudo, noch dessen Allianz mit Munnuz, noch die inneren Zwistigkeiten der fränkischen Welt dokumentiert. Früheste Quelle zur Schlacht bei Tours und Poitiers ist das Geschichtswerk des in Ägypten schreibenden Ibn ʿAbd al-Ḥakam (gest. 257/871), der kurz und knapp eine | Die Tatsache, dass nur den Karolingern sehr nahe stehende Quellenautoren Eudo einen Verrat an den Franken vorwerfen, nichtfränkische lateinische Quellen aus Italien, dem muslimischen al-Andalus und der aquitanischen Grenzregion Eudo dagegen v. a. als einen stark bedrängten Herrscher Aquitaniens darstellen, deutet wohl darauf hin, dass es den karolingischen Quellen v. a. daran gelegen war, das Ausgreifen Karl Martells in den Südwesten und seinen Aufstieg zur beherrschenden Figur des Frankenreiches zu legitimieren. Dies spricht dafür, dass Eudo das nur in der ''Chronica muzarabica'' von 754 erwähnte Bündnis mit dem Berber Munnuz schloss, um die Südwestflanke des seit Beginn der 720er Jahre von Razzien bedrängten Aquitanien zu schützen. In arabisch-islamischen Quellen wiederum sind weder Eudo, noch dessen Allianz mit Munnuz, noch die inneren Zwistigkeiten der fränkischen Welt dokumentiert. Früheste Quelle zur Schlacht bei Tours und Poitiers ist das Geschichtswerk des in Ägypten schreibenden Ibn ʿAbd al-Ḥakam (gest. 257/871), der kurz und knapp eine Razzia unter der Führung von ʿAbd al-Raḥmān b. ʿAbd Allāh al-Ġāfiqī gegen die Franken, die „härtesten Feinde der Muslims von al-Andalus“ (''wa-hum aqṣā ʿadūw al-Andalus'') erwähnt, bei der der erwähnte Statthalter im Jahre 115/733 als Märtyrer gestorben sei.<ref name="ftn24">Ibn ʿAbd al-Ḥakam, ''Futūḥ Miṣr'', ed. Torrey, S. 216-17.</ref> Spätere arabisch-islamische Quellen, zunächst aus al-Andalus selbst, dann auch aus Nordafrika und dem Nahen Osten erwähnen auch eine Schlacht mit den Franken, die in einigen Texten den Namen ''balāṭ al-šuhadāʿ'' führt, was ungefähr mit „Straße der Märtyrer“ übersetzt werden könnte. Trotz dieser eher heroisch anmutenden Bezeichnung stilisieren arabisch-islamische Quellen die Schlacht allerdings nicht zu einem entscheidenden Ereignis, das ein weiteres Vordringen muslimischer Truppen verhindert habe.<ref name="ftn25">Pérès, Balāṭ al-Shuhadāʿ, S. 988-989, mit weiteren begrifflichen Varianten und Quellenangaben.</ref> | ||
Deutlich wird in jedem Fall, dass das Leben in der Grenzzone zwischen dem muslimischen al-Andalus und dem Frankenreich in den 720er-730er Jahren nicht einfach war und auch nicht in der Opposition von expandierenden Muslimen und sich verteidigenden Franken, Christen oder gar „Europäern“ zu fassen ist. Nicht nur sind in fränkischen Quellen vielfach Kollaborationsversuche erwähnt.<ref name="ftn26">''Gesta abbatum Fontanellensium'', cap. 10, ed. Loewenfeld, p. 32: “per fraudem quorundam provintialium comitatum illum”; ''Annales Mettenses priores'', cap. 10, a. 737, ed. de Simson, 29; cf. ''Chronicarum qui dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', c. 20, ed. Krusch, 177.</ref> Es ist auch eine mehr als dreißigjährige Präsenz muslimischer Truppen in Narbonne (ca. 720-759) zu berücksichtigen. Last but not least erscheint Aquitanien nicht nur als Zielregion muslimischer Razzien, sondern als Spielfeld zweier expandierender Kräfte – der muslimischen Statthalter auf der einen, der aufsteigenden und bald den Königstitel usurpierenden Karolinger auf der anderen Seite. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht unplausibel, dass sich zwei regionale Führungsfiguren – der ''dux'' Aquitaniens und der Berber Munnuz – zusammenschlossen.<ref name="ftn27">Vgl. Collins, ''Arab Conquest'', S. 91-94.</ref> Der eine sah sich expandierenden Muslimen und einem übermächtig werdenden karolingischen Hausmeier gegenüber, der andere lehnte sich gegen eine arabische Herrschaft auf, deren harter Umgang mit berberischen Gruppen in Nordafrika und in al-Andalus in den 740ern zum Ausbruch einer großen Berberrevolte führen würde.<ref name="ftn28">Zur Situation der Berber in Nordafrika, siehe Talbi, ''L’Emirat aghlabide'', S. 18-41. Für die Iberische Halbinsel, siehe Collins, ''Arab Conquest'', S. 94-112.</ref> Auch eine zu starke Polarisierung zwischen fränkischen Christen und andalusischen Muslimen zu postulieren, wie sie vielleicht die Gegenüberstellung von „Europeenses“ und „Ismaelitae“ in der ''Chronica muzarabica ''von 754 suggerieren könnte, verbietet sich zunächst.<ref name="ftn29">Vgl. Schneidmüller, Die mittelalterlichen Konstruktionen, S. 10; Oschema, ''Bilder von Europa, ''S. 134-135, mit weiteren Literaturverweisen.</ref> Sobald die Karolinger im Sattel saßen, etablierten sie diplomatische Beziehungen mit den muslimischen Großmächten des Mittelmeerraums: Gerade frisch zum König erhoben, empfing Pippin schon 752 muslimische Gesandte aus Girona, Barcelona<ref name="ftn30">''Annales Mettenses priores'', a. 752, ed. de Simson, 43, 13.</ref> und sogar dem abbasidischen Bagdad<ref name="ftn31">''Chronicarum qui dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', cap. 51, ed. Krusch, 191; cf. Michael McCormick, Pippin III, 221-41.</ref> und initiierte so die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Frankenreich und der westlichen und nahöstlichen islamischen Welt.|6=<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">''Chronica Muzarabica'', ed. Juan Gil (Corpus Scriptorum Muzarabicorum 1), Madrid: CSIC, 1973, § 65, S. 41-42.</div> | Deutlich wird in jedem Fall, dass das Leben in der Grenzzone zwischen dem muslimischen al-Andalus und dem Frankenreich in den 720er-730er Jahren nicht einfach war und auch nicht in der Opposition von expandierenden Muslimen und sich verteidigenden Franken, Christen oder gar „Europäern“ zu fassen ist. Nicht nur sind in fränkischen Quellen vielfach Kollaborationsversuche erwähnt.<ref name="ftn26">''Gesta abbatum Fontanellensium'', cap. 10, ed. Loewenfeld, p. 32: “per fraudem quorundam provintialium comitatum illum”; ''Annales Mettenses priores'', cap. 10, a. 737, ed. de Simson, 29; cf. ''Chronicarum qui dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', c. 20, ed. Krusch, 177.</ref> Es ist auch eine mehr als dreißigjährige Präsenz muslimischer Truppen in Narbonne (ca. 720-759) zu berücksichtigen. Last but not least erscheint Aquitanien nicht nur als Zielregion muslimischer Razzien, sondern als Spielfeld zweier expandierender Kräfte – der muslimischen Statthalter auf der einen, der aufsteigenden und bald den Königstitel usurpierenden Karolinger auf der anderen Seite. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht unplausibel, dass sich zwei regionale Führungsfiguren – der ''dux'' Aquitaniens und der Berber Munnuz – zusammenschlossen.<ref name="ftn27">Vgl. Collins, ''Arab Conquest'', S. 91-94.</ref> Der eine sah sich expandierenden Muslimen und einem übermächtig werdenden karolingischen Hausmeier gegenüber, der andere lehnte sich gegen eine arabische Herrschaft auf, deren harter Umgang mit berberischen Gruppen in Nordafrika und in al-Andalus in den 740ern zum Ausbruch einer großen Berberrevolte führen würde.<ref name="ftn28">Zur Situation der Berber in Nordafrika, siehe Talbi, ''L’Emirat aghlabide'', S. 18-41. Für die Iberische Halbinsel, siehe Collins, ''Arab Conquest'', S. 94-112.</ref> Auch eine zu starke Polarisierung zwischen fränkischen Christen und andalusischen Muslimen zu postulieren, wie sie vielleicht die Gegenüberstellung von „Europeenses“ und „Ismaelitae“ in der ''Chronica muzarabica ''von 754 suggerieren könnte, verbietet sich zunächst.<ref name="ftn29">Vgl. Schneidmüller, Die mittelalterlichen Konstruktionen, S. 10; Oschema, ''Bilder von Europa, ''S. 134-135, mit weiteren Literaturverweisen.</ref> Sobald die Karolinger im Sattel saßen, etablierten sie diplomatische Beziehungen mit den muslimischen Großmächten des Mittelmeerraums: Gerade frisch zum König erhoben, empfing Pippin schon 752 muslimische Gesandte aus Girona, Barcelona<ref name="ftn30">''Annales Mettenses priores'', a. 752, ed. de Simson, 43, 13.</ref> und sogar dem abbasidischen Bagdad<ref name="ftn31">''Chronicarum qui dicuntur Fredegarii scholastici continuationes'', cap. 51, ed. Krusch, 191; cf. Michael McCormick, Pippin III, 221-41.</ref> und initiierte so die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Frankenreich und der westlichen und nahöstlichen islamischen Welt.|6=<div style="margin-left:0cm;margin-right:0cm;">''Chronica Muzarabica'', ed. Juan Gil (Corpus Scriptorum Muzarabicorum 1), Madrid: CSIC, 1973, § 65, S. 41-42.</div> |
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