Liebestod

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Rogelio de Egusquiza - Tistan e Isolda

Der Liebestod ist in vielen literarischen Werken ein zentrales Motiv - man könnte es auch ein ästhetisches Konzept nennen. In diesem Artikel werden wesentliche Merkmale und Besonderheiten des Konzepts "Liebestod in der Literatur" aufgezeigt. Ebenfalls wird betrachtet, welche Differenzierungen es innerhalb des Konzepts gibt und welchen inhaltlichen Problemen ein Schriftsteller mit dem Motiv des Liebestods möglicherweise aus dem Weg gegangen ist.

Ästhetisches Konzept: Liebestod

Der Liebestod ist in der Literatur des Mittelalters ein beliebtes Motiv. Dabei wird immer eine mehr oder weniger unerfüllte, doch immer problematische Liebe abgehandelt, die sich am Ende nicht erfüllt - zumindest endet sie nicht in der Erfüllung in der Hinsicht, dass sich das Liebespaar gefahrlos in der höfischen Gesellschaft lieben darf. Am Ende stehen dagegen ein oder zwei gebrochene Herzen, der Tod oder Abwesenheit des einen Liebespartners und der daraus resultierende Liebestod des anderen. Der Liebestod bildet also im Mittelalter ein ästhetisches Konzept, das in ganz verschiedenen Formen und in veränderter Art und Weise immer wieder die literarische Landschaft prägt. Jedoch darf man nicht davon ausgehen, dass die Ästhetik des Mittelalters so zu verstehen ist wie heute. Sie bildet nicht etwa ein in sich abgeschlossenes System des Ästhetischen, ist also nicht ein Begriff über den verhandelt wird, sondern spiegelt sich in theologischen, philosophischen und rhetorischen Diskursen, in denen Fragen der Manifestation des Göttlichen im Irdischen geklärt werden.[Kiening: S. 174] Oftmals sind es eben die oberflächlichen Ebenen, also alles Sinnliche, Wahrnehmbare, worin sich die Ästhetik manifestiert. Eine diskursive Metaebene ist in der mittelalterlichen Literatur für die Verortung der Ästhetik noch nicht von Nöten. Auch der Liebestod stellt eine solche Oberfläche dar. Durch ihn werden (wie weiter unten im Einzelnen betrachtet werden wird) spezifische Arten von Liebe, Konflikte des lebendigen Menschen mit der höfischen Idealgesellschaft und Spannungsverhältnisse zwischen Personen verarbeitet und erst ästhetisch verpackt. Erst viel später in neuzeitlicher Literatur wird der Liebestod zur Allegorie, zum Abstraktum. Für Richard Wagner stellt das Motiv des Liebestods, das er in seiner Oper "Tristan und Isolde" verarbeitet, beispielsweise eine philosophische, ja metaphysische Ideologie dar, die schon kaum in Musik zu spiegeln, gar nicht mehr in Worte zu fassen ist. Bei Wagner wird der Tod zum transzendenten Erlösungserlebnis, der bei Gottfried von Straßburg ausschließlich Ausdruck innigster Verbundenheit und unzerbrechlicher emotionaler Liebe bleibt. Das Konzept des Liebestods bleibt eine in den Tod mündende Liebe, die nur solange Ausdruck besitzt, wie sich die Liebenden mitteilen können - alles was danach kommt, bleibt im Verborgenen und kann nur erhofft werden. Ebenso kann sich die Ästhetik der vormodernen Zeit im gegenseitigen Wechselspiel zwischen materialisierender und spiritualisierender Dimension manifestieren. Gerade weil der Sinn der Gesellschaft stärker an Materialitäten und Körpern haftet, entwickelt sie eine Hermeneutik, die sich gerade der Aufhebung des Körperlichen und Materiellen widmet[Kiening: S. 192]. Für den Liebestod bedeutet dies, dass sich durch das Sterben alles Materielle auflöst und eine spirituelle Welt hinter dem Tod denkbar wird. Allerdings nur denkbar, sie bleibt christliche Fiktion, wogegen bei den Figuren Wagners Gewissheit über das Sein nach dem Tod herrscht.

Liebestod vs. Selbstmord

Gerade das spirituelle Moment des Liebestods ist ganz wesentlich. Im Liebestod kann das Christentum mit dem Tod als Ausweg in Einklang gebracht werden. Für die Charaktere des mittelalterlichen Romans stellt der Selbstmord keine Option dar. Der Liebestod als Versagen der körperlichen Kräfte aus Schmerz über den Verlust der Liebe, stellt eine Möglichkeit dar, sich von dem Leiden an der Welt freizumachen und kann dann als verhinderter Selbstmord gelesen werden [Ridder: S. 320]. Gerade im Artusroman sind Selbstmordgedanken durchaus präsent, man betrachte den Iwein Hartmanns von Aue, der in der Wildnis dem Wahnsinn verfällt und kein ehrenvolles Menschenleben mehr führt. Durchgeführt wird die Idee der Selbstentleibung jedoch nicht. Umgangen wird der Selbstmord im Artusroman allerdings nicht durch den Liebestod, sondern durch einen neuen, rehabilitierenden âventiure-Weg. Noch einige Worte darüber, warum der Selbstmord keinen Platz in der Literatur einnehmen darf: Gerade in einer postheidnischen Epoche wie dem Mittelalter gelten christliche Dogmen noch in ganz anderer Art und Weise. So ist der Suizid natürlich als vom Christentum radikal tabuisiertes Phänomen undenkbar[Huber: S. 128]. Zudem haben wir immer den christlichen Ritter als Thema, sei es nun in der âventiure-Epik oder in der Heldenepik. Das Christentum und dessen Spiritualität beansprucht seinen festen, unverrückbaren Platz. So ersetzt der Liebestod das dramatische Moment des Suizid und kann als christliches Sterben und Erlösung verstanden werden, zumal man sein eigenes Leben, ganz frei von narzisstischen Mitleidsansprüchen, seiner verlorenen Liebe opfert und ihr nachfolgt - was dem christlichen Nächstenliebe-Gedanken, zugegeben in potenzierter Form, sehr ähnlich ist.

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.
Dies ist das höchste und größte Gebot.
Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.[1]

Gerade in diesem Gebot erfüllt sich doch letztendlich der Liebestod. Das göttliche Gesetz wird nicht verletzt. Der Protagonist macht sich nicht an sich und Gott schuldig - wie etwa beim Selbstmord - und die Verbundenheit zweier Seelen, die eigene und die des "Nächsten", wird sichtbar in vollkommener Liebe durch den Tod mit und für den Partner.

Motivationen des Liebestods im Tristan[2]

Im Tristan-Roman von Gottfried von Straßburg, bzw. in dessen vollendeten Fortsetzungen sind drei verschiedene den Liebestod motivierende Momente von Bedeutung. Diese werden hier erläutert werden, doch zuvor muss ein Blick auf die Liebestode von Tristan und Isolde geworfen werden. Allerdings kann dazu nicht Gottfrieds Text herangezogen werden, der von Gottfried selbst nie fertig geschrieben wurde, sondern die Fortsetzungen von Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg: Dort stirbt der verwundete Tristan, nachdem ihm gesagt wurde, dass Isolde, die er verlassen hatte, um ihre Ehre zu retten, nicht kommen werde, um ihn zu heilen. Was geht in Tristan aber genau vor? Zum einen stirbt er an der Wunde, die ihm geschlagen wurde, aber noch tödlicher muss der Schmerz sein darüber, dass Isolde vermeintlich nicht kommen wird, dass sie sich von ihm abgewendet haben soll, weil er Isolde Weißhand ehelichte. Es ist also zumindest zu gleichen Teilen auch das verlorene Liebesglück und der damit verbundene Liebesschmerz verantwortlich für Tristans verscheiden. Wir halten also fest, dass Tristan den Liebestod stirbt. Als nun Isolde den toten Tristan erblickt, bricht ihr Herz und sie will nur noch sterben. Sie findet nämlich keine Möglichkeit, über seinen Tod hinweg zu kommen, wohl aber die Möglichkeit ihm zu folgen. Dieser Aspekt rückt ihr Sterben nah an den Freitod heran; da sie aber am gebrochenen Herzen stirbt, muss ihr Tod als Liebestod gelesen werden. Im beidseitigen Sterben, in Trauer umeinander, löst sich jede Grenze auf, die das Paar voneinander trennte. Die Grenze der Geschlechtlichkeit, der fleischlichen Hülle und gesellschaftlichen Norm. Die Vereinigung in ewiger Liebe vollzieht sich und nicht zuletzt deswegen, weil sie in der Erinnerung der Gesellschaft als absolutes Liebespaar ewig weiter existieren.

Die spezifische Art der Liebe und ihre Unumkehrbarkeit im Tod

Ganz wesentlich hier ist das Neben- und Ineinander von Liebe und Tod. Im Prolog des Romans werden die edelen herzen (V. 47) dazu aufgefordert, Freude und Leiden und Liebe und Tod als integrierende Bestandteile der absoluten Liebe kompromisslos zu bejahen[Ridder: S. 306].[3] Schon vor Tristans Geburt wird dieses Modell deutlich. Während Tristans Mutter Blanscheflur mit Tristan schwanger ist, erhält sie die Nachricht über den Tod ihres Geliebten Riwalin. Ihr Herz versteinert und kaum nachdem sie Tristan zur Welt gebracht hat, stirbt auch sie an gebrochenem Herzen ihren Liebestod. Für Tristan ist das Zusammenspiel von Liebe und Leid nun unabwendbares Schicksal, kam er doch schon vor seiner Geburt in Kontakt mit der Problematik. Zunächst wird Tristan in der Liebestrankszene wieder konfrontiert mit dem Liebe-Tod-Modell, denn der Trank verbindet seinen Leib und seine Seele untrennbar mit dem Leib und der Seele Isoldes.

si haeten beide ein herze
ir swaere was sîn smerze,
sîn smerze was ir swaere.
si wâren beide einbaere
an liebe unde an leide
und hâlen sich doch beide,
an liebe unde an leide (V. 11727 - 11731)

Tristan und Isolde sind nun untrennbar miteinander vereint, wo zuvor zwei Individuen waren, ist nun untrennbare Einheit: si wurden ein und einvalt, die zwei und zwîfalt wâren ê. (V. 11716 f.) Diese Einheit und Unumkehrbarkeit im Tode wird schon daran deutlich, dass sie auch in allem leide unzertrennbar sein werden. Am Ende bleibt nur der Liebestod als Ausweg.

Konflikt mit der höfischen Gesellschaft durch ehebrecherische Liebe

Für die Tristanminne fehlt schon von Beginn an der öffentliche Raum in der höfischen Gesellschaft. Trotz aller List und Verstellungskünste folgt die Verbannung in die Minnegrotte, wo Tristan und Isolde zwar in völliger Verbundenheit leben, aber ohne êre (V. 16875 - 16877) abseits der höfischen Gesellschaft existieren müssen. Daran, dass das Leben ohne êre und abseits des Hofes nicht auf Dauer möglich sein kann für das Paar, denn sie kehren freiwillig an den Hof zurück, wo sie nicht mehr frei lieben dürfen, zeigt sich, dass sich die Liebe nur dann als absolut und glücklich machend erweist, wenn sie in der Gesellschaft öffentlich stattfinden kann. Da ja ihre Liebe aber nicht möglich ist in der höfischen Umgebung, entsteht ein Spannungsverhältnis, das seine (Er)Lösung nur im gemeinsamen Tod, im Liebestod nämlich, erfahren kann. Aus dem Konflikt mit der Gesellschaft, der Unmöglichkeit, individuelle Liebeserfüllung und gesellschaftliches Ansehen gleichzeitig zu erreichen, resultiert das Leid - ein Leid, das aus der Minne selbst resultiert - welches nur durch den Tod getilgt werden kann [Ridder: S. 309 f.]. Denn Leid und Tod, Liebe und Freud, sind eng und unzertrennbar verwobene Größen.

Spannungsverhältnis zwischen Tristan, Isolde und Isolde Weißhand

Die Liebenden selbst sind dem Anspruch der Minne aber auch nicht durchgehend gewachsen. So heiratet Tristan nämlich aus Kummer um Isoldes Abwesendheit Isolde Weißhand, die in der Fremde um ihn wirbt. Er heiratet sie, weil er in ihr die blonde Isolde, welche er liebt, wiedersieht - im Namen vorallen Dingen. Tristan ist dem Liebesschmerz, der ihn befällt also nicht gewachsen. Das daraus resultierende gespannte Verhältnis lässt nur Leid zu, denn Isolde Weißhand wird herausfinden, dass Tristan sie nicht liebt und belügt ihn, so dass er denkt die blonde Isolde habe sich von ihm abgewandt: er stirbt an gebrochenem Herzen und Selbstvorwürfen[4].

Der Liebestod in anderer mittelhochdeutschen Literatur

Es sollen nun einige Beispiele angeführt werden, wie das Motiv des Liebestods in anderer mittelalterlicher Literatur verwendet wird und welche Aspekte dabei im Mittelpunkt stehen.

Liebestod in Rudolfs von Ems "Wilhelm von Orleans"

In "Wilhelm von Orleans" findet sich vor allem ein Spannungsverhältnis zwischen feudalhistorischem Leitbild und der Absolutheit der Liebebeziehung. Wilhelm von Orleans stirbt, wonach seine Frau gestorben von::Elye unmittelbar einen Sohn gebirt. Als sie von dem Tod ihres Mannes erfährt reagiert sie aber anders als wir es von Blanscheflur kennen. Elye versteinert nicht. Sie sichert ihrem neugeborenen Sohn zuerst die Herrschaft. Dazu nimmt sie zuerst alle Herrschaftsfunktionen ihres Mannes und lässt die Fürsten einen Eid auf die zukünftige Herrschaft ihres Sohnes schwören. Erst anschließend bricht sie an der Bahre ihres Mannes zusammen. Sie küsst den Toten, drückt ihn an sich und ihr Herz bricht[Ridder: S. 314 f.]. Hier hat die Chronologie der Abläufe der Geschehnisse, die zum Liebestod führen, eine entscheidende Rolle. Der Liebestod hat hier didaktische Funktion, die eine ideale Herrschaft demonstrieren soll. Die aus der Minne selbst enstehenden beziehungsimmanenten Konflikte, werden der gesellschaftlich-höfischen Sphäre, der Herrschaftspragmatik, untergeordnet[Ridder: S. 327].

Liebestod in Konrads von Würzburg "Partonopier"

In "Partonopier" wird wiederum die beziehungsinterne Ebene, die Problematik der Minne-triuwe ins Zentrum des Stoffes gerückt. Allerdings ist der Ausbruch der Minne im Roman auf rein sexuelle Momente zurückzuführen. Der Held bricht die Treue zu seiner Geliebten. Es entsteht im Folgenden ein Selbsttötungswunsch aufgrund der so entstandenen Unerreichbarkeit der Geliebten. Es folgt ein in die Länge gezogener Liebestod: gestorben von::Partonopier zieht sich aus der Gesellschaft zurück und lebt in unhöfischer Weise in einer Kemenate. Er geht nach einem Jahr in den Ardennenwald und will sich dort von den wilden Tieren zerfleischen lassen, doch sogar diese verschmähen ihn. Er ist am Tiefpunkt seiner persönlichen und gesellschaftlichen Existenz angelangt. Dieser Abstieg muss als Liebestod angsehen werden, denn er gibt sich seines gebrochenen Herzens wegen auf. Nun am Tiefpunkt angelangt, kann er sich wieder auf die âventiure begeben und schafft es, das Herz seiner Geliebten zurückzugewinnen. Hier "stirbt" der Held einen Liebestod im Leben und kann ihn in der Tat überwinden. Anders als bei "Tristan" hat die Problematik mit der Gesellschaft nur untergeordnete Funktion. Die eigentliche Gefährdung der Liebe liegt in der untriuwe der Minnenden[Ridder: S. 324].

Liebestod in Wolframs von Eschenbach "Parzival"

Siehe separater Artikel: Der Tod im Parzival

Liebestod als Motiv der neueren Literatur

Ob Shakespeare, Wagner oder Tolkien: Jede Gattung, jede Epoche nimmt sich das Motiv der unerfüllten Liebe zum Thema. gestorben von::Julia stirbt ob dem Verlust Romeos, Isolde erträgt den Tod Tristans nicht und gestorben von::Arwen opfert ihre Unsterblichkeit, um mit Aragorn leben zu können. Doch sind diese Liebestode lange nicht mehr so zu konsumieren wie vor 600 Jahren. Der Selbstmord aus Liebe hat seine Note spätestens mit "Die Leiden des jungen gestorben von::Werther" verloren. In der Romantik war der Suizid in der Literatur geradezu "in". In der musikalischen Epoche der Romantik schreibt Richard Wagner sein Musikdrama "Tristan und Isolde" und widmet sich inhaltlich ganz der Auflösung und Erfüllung seiner ästhetisch-philosophischen Ideologie, dass die absolute Liebe, die absolute Erlösung und das absolute Aufgehen im Unendlichen nur durch den durch leidvolle Liebe vorbestimmten Liebestod möglich ist. Aller Weltschmerz, der erlebt werden kann, wird verklärt und nur in dem Erfüllen einer gemeinsamen Liebe im Einswerden und Auflösen in der postmortalen Ewigkeit, kann er abgestreift werden. In J.R.R. Tolkiens "Herrn der Ringe" verliebt sich das engelsgleiche Wesen Arwen, eine unsterbliche Elbe, in einen sterblichen Menschenkönig. Nur durch die von Liebe induzierte Aufgabe ihrer Unsterblichkeit, also mit der Entscheidung für den Tod, ist es ihr möglich, bei ihrem Geliebten bleiben zu können. Sie stirbt einen langsamen Liebestod, ist jedoch glücklich. Wir sehen: Wo es in der Tristanminne schon viele Möglichkeiten gab, den Liebestod zu motivieren und zu gestalten, finden sich in der modernen Liebestod-Produktion wohl unendlich viele Möglichkeiten, das Motiv der unerfüllten Liebe neu zu formen. Es kann ästhetisch überhöht und didaktisch gebraucht werden, mitleidserregende Funktion haben und auch als Suizid hat es seine Berechtigung, und das sind nur wenige Interpretationen aus drei Werken unter Tausenden. Das Motiv des Liebestods hat nach wie vor seinen festen Platz - vermutlich sogar einen viel umfassenderen - in der Literatur und Kunst, was zeigt, welche Produktivität dieser Thematik innewohnt.

Fazit

Es zeigt sich also, dass das Motiv des Liebestods in der mittelalterlichen Literatur aufs Verschiedenste eingesetzt wurde. Zum einen ist er Ausdruck unverbrüchlicher Liebe, wie wir es bei Gottrieds von Straßburg "Tristan" beobachten können, andererseits wird er von Rudolf von Ems als didaktisches Mittel verwendet. Konrad von Würzburg impliziert den Liebestod nur dadurch, dass sich sein Held Partonopier eigensinnig aus gebrochenem Herzen völlig zu Grunde richtet, um sich danach durch erneuten Gewinn seiner êreselbst zu erlösen. Man könnte sagen, der Liebestod hat hier eine ähnliche Funktion wie bei Gottfried, nur dass die Möglichkeit der Erlösung eine andere ist und die Gefahr des Liebesverlusts nicht von außen aufgesetzt wird, sondern im Innern der Liebenden droht. Auch völlig verschiedene Motivationen für den Liebestod können beobachtet werden: Da ist zum einen die Unumkehrbarkeit der Liebe, die deshalb bis in den Tod bestehen muss. Daneben steht der Konflikt mit der höfischen Gesellschaftsordnung, der nur im Tod sein Ende finden kann. Als drittes Moment konnte man das Spannungsverhältnis der Liebenden beobachten, welches sich im Tod löst und das Liebespaar gleichsam erlöst. Eines ist jedoch bezeichnend für die mittelalterliche Literatur: Immer wird der Liebestod als stilistisches Mittel benutzt, um die Todessehnsucht des Liebenden nicht im tabuisierten Suizid enden zu lassen. Auf die Moderne ist dies natürlich nicht mehr anzuwenden. In der neueren Literaturproduktion kann selbst der Suizid die Gestalt eines Liebestods annehmen. Wie festgestellt wurde, ist das Liebestod-Motiv heute umfassend vorhanden und in wenigen Sätzen nicht auf seinen Nenner zu bringen. Seine Brisanz und Präsenz hat es jedenfalls nicht verloren - der Grund dafür: Der Mensch sehnt sich nach Liebe. Und er hört gerne Geschichten von sehnsuchtsvoller Liebe, wie es auch Tristan und Isolde im Wald der Minnegrotte tun. Vielleicht gründet darin die Idee der Auflösung des Individuums und des Einswerdens, dass Tristans und Isoldes Geschichte jedem in der ein oder anderen Weise selbst schon widerfahren ist, sodass deren Geschichte unsere Geschichte ist, von der wir nicht genug bekommen können und ihr Liebestod gleichsam unseren Wunsch nach glücklicher, erfüllter, absoluter Liebe repräsentiert.

Einzelnachweise

  1. Das Doppelgebot der Liebe. Matthäus. 22, 37-40; Die Bibel.
  2. Zitationen aus dem Tristan-Text sind zu finden in: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2007-2008. (RUB 4471-4473).
  3. vorallen Dingen die Verse 57 - 70 im Prolog sind von Belang
  4. Auch hier liegt nicht mehr Gottfrieds Text zugrunde, sondern die Fortsetzungen.

Literatur

  • [*Huber] Huber, Christoph: Spiegelungen des Liebestodes im 'Tristan' Gottfrieds von Straßburg, in: Tristan und Isolde. Unvergängliches Thema der Weltkultur, hg. von Danielle Buschinger und Wolfgang Spiewok, Greifswald 1996 (Wodan), S. 127-140.
  • [*Kiening] Kiening, Christian: Ästhetik des Liebestods. Am Beispiel von 'Tristan' und 'Herzmaere', in: Das fremde Schöne. Dimensionen des Ästhetischen in der Literatur des Mittelalters hg. von Manuel Braun und Christopher Young, Berlin/New York 2007 (Trends in medieval philology), S. 171-194.
  • [*Ridder] Ridder, Klaus: Liebestod und Selbstmord. Zur Sinnkonstitution im Tristan, im Willehalm von Orlens und in Partonopier und Meliur, in: Tristan und Isold im Spätmittelalter. Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 3. bis 8. Juni 1996 an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hg. von Xenja von Ertzdorff, Amsterdam 1999 (Chloe), S. 303-329.