Cundrîe und Belacâne - scheinbar fremde Figuration im "Parzival": Unterschied zwischen den Versionen

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Die Heidenkönigin Belacâne und die Botin Cundrîe de la surziere - beide stellen scheinbar Fremdes explizit dar. Inwiefern die Schaffung von Grenzen in Wolfram von Eschenbachs ''Parzival'' zwar zentral, vor allem in Bezug auf die Erzählung von Fremden und Eigenem, ist und doch auch teilweise wieder aufgelöst wird, soll im Folgenden näher analysiert werden. Dabei steht vor allem die Auflösung von geschaffenen Grenzen im Fokus: Belacâne wird über ihre dunkle Hautfarbe und ihr Nicht-Christin-Sein zwar ausgegrenzt und als fremd erklärt, durch viele andere erzählte Aspekte jedoch auch wieder integriert. Ähnliches ist bei der Gralsbotin Cundrîe auszumachen, die auch aufgrund ihres Aussehens und ihres Glaubens als fremdartig dargestellt wird, jedoch wird auch sie mit Attributen versehen, die eigentlich dem Eigenen entsprechen - in ihrer Figur werden nicht nur Grenzen des Eigenen überwunden sondern auch [[Raumsemantik|räumliche]] und [[Gegenüberstellung der Herrschaftskonzenptionen im "Parzival"|herrschaftskonzeptionelle]].
Die Heidenkönigin Belacâne und die Botin Cundrîe de la surziere - beide stellen scheinbar Fremdes explizit dar. Inwiefern die Schaffung von Grenzen in Wolfram von Eschenbachs [[Parzival]] zwar zentral, vor allem in Bezug auf die Erzählung von Fremden und Eigenem, ist und doch auch teilweise wieder aufgelöst wird, soll im Folgenden näher analysiert werden. Dabei steht vor allem die Auflösung von geschaffenen Grenzen im Fokus: Belacâne wird über ihre dunkle Hautfarbe und ihr Nicht-Christin-Sein zwar ausgegrenzt und als fremd erklärt, durch viele andere erzählte Aspekte jedoch auch wieder integriert. Ähnliches ist bei der Gralsbotin Cundrîe auszumachen, die auch aufgrund ihres Aussehens und ihres Glaubens als fremdartig dargestellt wird, jedoch wird auch sie mit Attributen versehen, die eigentlich dem Eigenen entsprechen - in ihrer Figur werden nicht nur Grenzen des Eigenen überwunden sondern auch [[Raumsemantik|räumliche]] und [[Gegenüberstellung der Herrschaftskonzenptionen im "Parzival"|herrschaftskonzeptionelle]].


==Belacâne==
==Belacâne==

Version vom 8. Juli 2015, 14:44 Uhr

Hinweis: Dieser Artikel entsteht im Rahmen des Haupt- und Oberseminars zu Wolframs Parzival (Sommersemester 2015) und wird laufend überarbeitet.

Hier soll ein Artikel entstehen, der sich mit Cundrîe und Belacâne als "fremde" Figuren beschäftigt. Wie werden sie dargestellt? Ähnlich oder verschieden? Und welche Rolle spielt die kulturell-religiöse Zugehörigkeit und der möglich Übertritt in die christliche Welt?

Analyse

Die Heidenkönigin Belacâne und die Botin Cundrîe de la surziere - beide stellen scheinbar Fremdes explizit dar. Inwiefern die Schaffung von Grenzen in Wolfram von Eschenbachs Parzival zwar zentral, vor allem in Bezug auf die Erzählung von Fremden und Eigenem, ist und doch auch teilweise wieder aufgelöst wird, soll im Folgenden näher analysiert werden. Dabei steht vor allem die Auflösung von geschaffenen Grenzen im Fokus: Belacâne wird über ihre dunkle Hautfarbe und ihr Nicht-Christin-Sein zwar ausgegrenzt und als fremd erklärt, durch viele andere erzählte Aspekte jedoch auch wieder integriert. Ähnliches ist bei der Gralsbotin Cundrîe auszumachen, die auch aufgrund ihres Aussehens und ihres Glaubens als fremdartig dargestellt wird, jedoch wird auch sie mit Attributen versehen, die eigentlich dem Eigenen entsprechen - in ihrer Figur werden nicht nur Grenzen des Eigenen überwunden sondern auch räumliche und herrschaftskonzeptionelle.

Belacâne

Wolfram beschreibt Gahmurets Anladen im Königreich von Belacâne. Die Beschreibung der Heidin ist unerwarteter Weise schon anfangs von christlichen Attributen geprägt. So trauert sie um ihren toten Geliebten Isenhart und führt seinetwegen eine Racheschlacht. Gahmuret kommt ihr zu Hilfe, sie verliebt sich in ihn und verschreibt sich und ihr Reich dem christlichen Ritter. Belacâne wird weiter als sehr schön beschrieben und auch als sehr gebildet, denn sie kann den auf französisch geschriebenen Abschiedsbrief Gahmurets ohne Probleme lesen. Sie scheint also schon Kontakt mit der französischen Gesellschaft vorweisen zu können. In dem Kontext dieser Szenen ist auffällig, dass vorrangig Gahmuret als Fremder in der heidnischen Kultur beschrieben wird und nicht die dunkelhäutige Gesellschaft als fremd abgewertet wird. Durch diesen Perspektivumschwung - also nicht mehr die Konzentration auf Gahmuret, sondern die Kontextualisierung mit dem Hof von Zazamanc - wird ermöglicht Gahmurets heimlichen Abschied nicht zu verurteilen: Denn es ist leicht nachzuvollziehen, dass er sich entscheidet fortzugehen, wenn er sich fremd fühlt. Das Fremde ist hier also nicht wie vermutet die fremde Kultur, also Belacâne, sondern Gahmuret.

Beschreibung von Fremden

Überblendung von Eigenem

Belacâne ist schon vor dem Eintreffen Gahmurets von der christlichen Kultur geprägt. Der höfische Aspekt wird nicht nur in der Beschreibung Zazarmancs deutlich, sondern wird mit der Erzählung der Racheschlacht für Isenhart auch in einen religiösen ausgeweitet. Deutlich beschrieben wird hier die Trauer Belacânes um ihren verstorbenen Geliebten. Die Trauer wird hier christlich dargestellt - es erfolgt keine Beschreibung heidnischer Rituale, mit denen dem Toten gedacht wird. Zazarmanc wird ähnlich wie andere Burgen in christlichen Herrschaftsgebieten beschrieben, so sind hier auch Ritter zu finden, die lediglich Gahmurets Unterstützung benötigen. Im höfischen Kontext lösen sich jedoch auch vorherige Differenzen scheinbar auf: Eigenes (der Hof) kann auch fremd werden, so fühlt sich Gahmuret umgeben von lauter Schwarzen unwohl und fremd. Im Kontext des Fremden wird das Eigene also stärker wahrgenommen und deutlich gemacht: Hier wird das Eigene zum Fremden. Bedingt wird dies hier auch durch den Raum, der hier vor allem durch die bewohnenden Menschen konstituiert wird. Hier kommt auch die aventuire hinzu: Gahmuret begibt sich ja gewollt in die Fremde und durchreist den Orient. In dieser Szene wird jedoch auf eine mögliche Schattenseite hingedeutet: Das sich selbst Fremdsein. Siehe dazu auch Ritter als Rastlose in Wolframs Parzival.

Cundrîe

Cundrîe wird als sehr ungewöhnliche, dunkle und hässliche Heidin beschrieben. Sie verflucht Parzival, nachdem er auf der Gralsburg die Frage nach Anfortas' Wohlergehen nicht gestellt hat und dennoch am Plimizoel in den Kreis der Artusritter aufgenommen wird. Dabei ist sie nach Sigune die zweite Frau, die ihm seinen Fehltritt vorwirft, dessen Ausmaß für Parzival erst durch die Erklärung Trevrizents klar ersichtlich wird.


Überblendung von Eigenem

Cundrîe sprengt die Feierlichkeiten am Plimizoel mit ihrem Auftauchen regelrecht, was detailliert beschrieben wird. Auffällig ist, dass vor ihrem fremdartigen Aussehen die Gemeinsamkeiten beschrieben werden. Es erfolgen zwar Hinweise auf die pîn (312, 18), die sie mit sich bringt, jedoch wird zunächst auf ihre hohe Bildung eingegangen:

mittelhochdeutsch Übersetzung
der meide ir kunst des verjach, Das Mädchen war in vielerlei Künsten wohl unterrichtet,
alle sprâchen si wol sprach, alle Sprachen sprach sie gut:
latîn, heidensch, franzoys. Lateinisch, Heidnisch und Französisch.
si was der witze kurtoys, Sie war in guter Kenntnis der courtoisie:
dîaletike und jêometrî: Dialektik und Geometrie
ir wâren ouch die liste bî und auch die Lehre
von astronomîe. der Astronomie.

(312, 19f.)

Zwischen der Beschreibung Cundrîes wird immer wieder auf ihre Funktion (Verfluchung) verwiesen, die zunächst aber nicht durch ihr Aussehen impliziert wird. Auch weiter wird die Beschreibung ihres fremden Körpers zunächst erneut umgangen, die Beschreibung konzentriert sich auf die edle Kleidung der Botin:

mittelhochdeutsch Übersetzung
ein brûtlachen von Gent, Genter Brauttuch,
noch plâwer denne ein lâsûr, noch blauer als Lapislazuli,
het an geleit der freuden schûr: trug dieser Hagelschlag des Glücks:
daz was ein kappe wol gesniten Ein elegantes Cape, wohlgeschnitten
al nâch Franzoyser siten: nach französischen Sitten,
drunde an ir lîb was pfelle gout. darunter trug sie feine Seide an ihrem Leib.

(313, 4f.)

Beschreibung von Fremdem

Erst nach dieser Episode, in der die Beschreibung der Botin sich auf das Abgleichen des Eigenen an der fremden Person konzentriert, bricht das ungewöhnliche Aussehen durch. Abgetrennt durch einen Einschub, der wieder auf die Auswirkungen der Botschaft eingeht, wird die Beschreibung der Kleidung scheinbar zunächst fortgeführt: Der vor dem Einschub beschriebene, reich geschmückte hout (vgl. 313, 10f.) wird wieder aufgegriffen, weiter erfolgt die Beschreibung der Haare, die ebenfalls, wie die vorher beschriebene snour, ihr lang auf den Rücken fallen, was zunächst eben gerade nicht Hässlichkeit impliziert. Erst in der nächsten Zeile wird diese Assoziation gebrochen:

mittelhochdeutsch Übersetzung
über den hout ein zopf ir swanc Über den Hut schwang ein Zopf
unz ûf den mûl: der was sô lanc, bis auf das Maultier herunter, der war so lang,
swarz, herte und niht ze clâr, schwarz, starr und nicht eben blond und licht,
linde als eins swînes rückenhar. so weich wie die Rückenborsten einer Sau.
si was genaset als ein hunt: In der Visage trug sie eine Hundeschnauze.
zwên ebers zwne ir für den munt Aus ihrem Mund fuhren Hauen wie bei einem Eber,
giengen wol spannen lanc. sie waren wohl zwei Spannen lang.
ietweder wintprâ sich dranc Die Brauen auf beiden Seiten ragten
mit zöpfen für die hârsnuor. [...] zu Zöpfen geflochten höher als das Haarband. [...]
Cundrîe truoc ôren als ein ber, Cundrîe hatte Ohren wie ein Bär,
niht nâch friundes minne ger: nicht so wie es sich ein Mann wünscht von seiner Geliebten.
Rûch was ir antlütze erkant. Wild behaart war ihr Gesicht.
ein geisel fuorte se in der hant: Sie führte eine Geißel in der Hand:
dem wârn die swenkel sîndîn Die Stricke daran waren seiden
unt der stil ein rubbîn. und der Stil ein Rubin.
gevar als eines affen hût hässlich wie eines Affen Haut
truoc hende diz gaebe trût. trugen Hände diese Schätze.
die nagele wâren niht ze lieht; Die Fingernägel waren nicht sehr hell;
wan mir diu âventuire gieht, so sagt mir die aventuire,
si stüenden als eins lewen klân. sie sollen wie die Krallen eines Löwen gewesen sein.

(313, 17 - 314, 9)

Auffällig ist hier, das der Bruch von Schönheit zu Hässlichkeit über das Adjektiv swarz erfolgt. Das Dunkle wurde schon bei Belacâne ausführlich beschrieben, dort mit Hinblick auf die Hautfarbe. Auch wird hier deutlich, dass die Beschreibung des ungewohnten Aussehens über den Vergleich mit etwas Bekanntem erfolgt: Die Beschaffenheit von Cundrîes Haaren wird mit Schweineborsten verglichen. Auch weiter folgen Vergleiche mit heimischen Tieren (Hund, Eber, Bär), diese werden gegen Ende der Beschreibung jedoch auch von nicht heimischen Tieren (Affe, Löwe) abgelöst. Hier ist also auch ein Prozess des Sich-zu-Eigen-Machens zu beobachten: Vorstellungen von nur aus Erzählungen bekanntem werden benutzt, um das Bild der Botin zu mystisieren. Gegen Ende ist jedoch auch zu beobachten, dass die Beschreibung des fremden Hässlichen durch die Beschreibung des schönen Zaumzeuges durchbrochen wird und so die Diskrepanz zwischen der körperlichen Fremdheit und der schönen Ausrüstung besonders hervorgehoben wird.


Höfische Attribute Aussehen: Kleidung + Vergleich zu Parzival

mittelhochdeutsch Übersetzung
Ich dunke iuch ungehiure
und bin gehiurer doch dann ir.

(315, 24f.)

-> Fremdes kann "geheurer" sein als Eigenes: Parzival wird, ähnlich wie Gahmuret, in seiner Umgebung des Artushofes zu einem Fremden. Verweis auf Zusammenspiel von äußerer und innerer Schönheit Cundrîe steht hier auch für Auflösung dieser Grenze.

Cundrîe wird zwar bei ihrem ersten Auftreten ausführlich beschrieben, allerdings geht Wolfram erst beim Auftritt ihres Bruders Malcrêatiure als Knappe auf die Herkunft der Geschwister ein. Auch Cundrîe ist nun keine alleinstehende Figur mehr, denn mit Malcrêatiure hat Wolfram sie zwar nicht in die Genealogie der beiden großen Familien aufgenommen, beschreibt aber eine komplexe Herkunftsgeschichte:

mittelhochdeutsch Übersetzung
Gâwan sîn beite wolte: Gâwân ließ ihn herankommen:
dô dûht ern ungehiure. da erschien ihm der als ein wahres Ungeheuer
Malcrêatuire Malcrêatuire
hiez der knappe fiere: hieß der stolze Knappe:
Cundrîe de la surziere Cundriê de la surziere
was sîn swester wol getân: war seine schöne Schwester:
er mouse ir antlütze hân er sah so aus wie sie
gar, wan daz er was ein man. [...] nur, dass er eben ein Mann war. [...]
bî dem wazzer Ganjas Bei dem Wasser Ganjas
ime lant Trîbalibôt im Land Trîbalibôt
wahsent liute alsus durch nôt. misswachsten die Menschen so durch Not.
Unser vater Adâm, Unser Vater Adam,
die kust er von gote nam, bekam von Gott diese Kunst geschenkt,
er gap allen dingen namn, er gab allen Dingen Namen
beidiu wilden unde zamn: [...] beiden, wilden und zahmen: [...]
dô sîniu kint der jâre kraft Als seine Kinder der Jahre Kraft
gewunnen, daz si berhaft gewonnen, dass sie fruchtbar
wurden menneschlîcher fruht, wurden mit Menschenfrucht,
er widerriet in ungenuht. [...] da warnte er sie vor der Gier. ]...]
diu wîp tâten et als wîp: Die Frauen taten so, wie Frauen tun:
etslîcher riet ir broeder lîp Einigen riet ihr schwaches Fleisch
daz si diu werc volbrâhte, so dass sie dieses Werk vollbrachte,
des ir herzen gir gedâhte. das ihres Herzen Gier einfiel.
sus wart verkêrt diu mennischeit: So war die Menschheit falsch entstanden.

(Vgl. 517, 14 - 519, 1)

Hier wird deutlich, dass etwas fremdes und auch ungeheuerlich erscheinendes mit Eigenem beschrieben wird: Die Genealogie der beiden Heiden wird mit der christlichen Erbsünde erklärt. Der Ursprung des Unbekannten liegt damit also ebenfalls im Eigenen. Auffällig ist hier zunächst die Herstellung von Grenzen durch die ausführliche Beschreibung des andersartigen Aussehens und dann die Zusammenführung des scheinbar Fremden durch eine gemeinsame Genealogie.

Fazit

Literaturverzeichnis

Textausgabe

[*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.

Hinweis: Das Bild der Frau im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival),Belacane (Wolfram von Eschenbach, Parzival), Die Beziehung zwischen Gahmuret und Belacane (Wolfram von Eschenbach, Parzival), Âventiure und Ehe (Wolfram von Eschenbach, Parzival)--MorgaineMK (Diskussion) 19:36, 10. Jun. 2015 (CEST).