Cundrîe und Belacâne - scheinbar fremde Figuration im "Parzival"

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Hinweis: Dieser Artikel entsteht im Rahmen des Haupt- und Oberseminars zu Wolframs Parzival. (Sommersemester 2015) und wird laufend überarbeitet. Es können gerne noch Aspekte eingefügt werden (wie z.B. Cundrîes letzte Erscheinung).

In Wolframs Parzival[1] treten andersartige Figuren auf: Wie werden sie dargestellt? Ähnlich oder verschieden? Und welche Rolle spielt die kulturell-religiöse Zugehörigkeit und der möglich Übertritt in die christliche Welt? Am Beispiel zweier wichtiger Frauenfiguren sollen diese Fragen zu beantworten versucht werden.

Analyse

Die Heidenkönigin Belacâne und die Botin Cundrîe de la surziere - beide stellen scheinbar Fremdes explizit dar. Das geschieht vor allem durch ihre nicht christliche Religion und ihr Äußeres. Inwiefern die Schaffung von Grenzen in Wolfram von Eschenbachs Parzival zwar zentral, vor allem in Bezug auf die Erzählung von Fremden und Eigenem, ist und doch auch teilweise wieder aufgelöst wird, soll im Folgenden näher analysiert werden. Dabei steht vor allem die Auflösung von geschaffenen Grenzen im Fokus: Belacâne wird über ihre dunkle Hautfarbe und ihr Nicht-Christin-Sein zwar ausgegrenzt und als fremd erklärt, durch viele andere erzählte Aspekte jedoch auch wieder integriert. Ähnliches ist bei der Gralsbotin Cundrîe auszumachen, die auch aufgrund ihres Aussehens und ihres Glaubens als fremdartig dargestellt wird, jedoch wird auch sie mit Attributen versehen, die eigentlich dem Eigenen entsprechen - in ihrer Figur werden nicht nur Grenzen des Eigenen überwunden sondern auch räumliche und herrschaftskonzeptionelle.[2]

Belacâne

Gahmurets Anladen im Königreich von Zazamanc hat große Auswirkungen. Die Beschreibung der Heiden ist unerwarteter Weise schon anfangs von christlichen Attributen geprägt. So trauert Belacâne um ihren toten vriunt Isenhart und führt seinetwegen eine Racheschlacht. Gahmuret kommt ihr zu Hilfe, sie verliebt sich in ihn und verschreibt sich und ihr Reich dem christlichen Ritter. Belacâne wird weiter als schön beschrieben und auch als sehr gebildet, durch verschiedene Perspektivierungen rückt ihre Fremdartigkeit zunehmend in den Hintergrund. Im Kontext dieser Szenen ist auffällig, dass vorrangig Gahmuret als Fremder in der heidnischen Kultur beschrieben wird und nicht die dunkelhäutige Gesellschaft als fremd abgewertet wird. Durch diesen Perspektivumschwung - also nicht mehr die Konzentration auf Gahmuret, sondern die Kontextualisierung mit dem Hof von Zazamanc - ermöglicht Gahmurets heimlichen Abschied nicht zu verurteilen: Denn es ist leicht nachzuvollziehen, dass er sich entscheidet fortzugehen, wenn er sich fremd fühlt. Das Fremde ist hier also nicht wie vermutet die fremde Kultur, also Belacâne, sondern Gahmuret.


Die Einführung Belacânes in die Handlung

Belacâne spricht das erste Mal als ihr der Marschall die Ankunft Gahmurets ankündigt. Die Figur der Königin wird nicht erst durch eine Beschreibung des Aussehens oder der genalogischen Verhältnisse eingeführt, vielmehr charakterisiert sie sich durch den Dialog mit dem Marschall zunächst selbst. Nachdem dieser die Nachricht der möglichen Hilfestellung durch den christlichen Ritter überbracht hat, antwortet Belacâne wie folgt:

mittelhochdeutsch Übersetzung
'nu sih et wenne oder wie, Nun sieh wann oder wie
und füeg daz er mich spreche hie. du verfügst, dass er hierherkommt, um mit mir zu sprechen.
wir hân doch fride al diesen tac; Wir haben doch Waffenruhe den ganzen Tag,
dâ von der helt wol rîten mac da kann der Held wohl gut einrichten, dass er heraufreitet
her ûf ze mir: od sol ich dar? zu mir, oder soll ich lieber hinunter?
er ist anders denn wir gevar: Er sieht anders aus als wir
ôwî wan taete im daz niht wê! ach, wenn er es nun abstoßend findet!
das het ich gerne erfunden ê: Dann möchte ich vorher erfahren,
op mirz die mîne rieten, ob mir meine Leute raten,
ich solt im êre bieten. ihn in Ehre zu empfangen.
wie sol ich in enphâhnen? Wie soll ich ihn empfangen?
ist er mir dar zuo wol geborn, Ist sein Adel hoch genug,
das mîn kus niht sî verlorn?' dass mein Kuss nicht verschwendet wäre?

(22, 3ff.)

Hier wird zunächst eindeutig die Macht Belacânes als Königin unterstrichen: Sie gibt den Befehl zur Organisation eines Treffens mit Gahmuret und sorgt sich, ob dieser ihrem Empfang überhaubt würdig ist.[3] Damit wird deutlich, dass die gleichen, bereits auf den vorangehenden Reisen Gahmurets beschriebenen höfischen Strukturen auch im heidnischen Orient vorhanden sind, Belacâne wird zunächst also nicht ausgegrenzt, sondern durch diese Überlegung ein Teil des Eigenen. Einzig die Feststellung "er ist anders denn wir gevar" (22,8) zielt auf die Fremde zwischen Gahrmuret und der Hof von Zazamanc hin. Jedoch spricht hier Belacâne und Gahmuret wird damit als andersartig ausgegrenzt. Die Benutzung von gevar kann in diesem Kontext unterschiedlich erklärt werden: Entweder soll hier nur eine Andersartigkeit des Aussehens kommentiert werden, oder gevar steht hier für "farbe habend"[4], was ein impliziter Verweis auf die wiederum für Gahmuret ungewöhnliche Hautfarbe der Königin und ihrem Hof wäre. Damit würde zwar nicht direkt auf diese Fremdheit verwiesen werden, diese indirekt aber sehr wohl angesprochen werden. Diese Auslegung wird unterstütz durch den folgenden Vers "ôwî wan taete im dazu niht wê!" (22,9). Hier wird die Perspektive trotz des Sprechaktes Belacânes auf Gahmuret verschoben und seine Angst vor dem Fremden angesprochen. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass hier Grenzen zwischen Eigenem und Fremden aus Sicht Wolframs und aus der Perspektive Gahmurets zwar nicht offensiv gestaltet werden, weil primär auf den höfischen Stand eingegangen wird, die Fremdartigkeit des Aussehens und die damit verbunden Bedenken jedoch auch durchscheinen.

Das Aufeinandertreffen von Gahmuret und Belacâne

Bei dem Zusammentreffen Belacânes und Gahmurets, der ihrer Einladung folgte, wird nicht ihre Wirkung auf ihn, sondern seine Wirkung auf sie beschrieben, es wird also erneut aus der Perspektive Belacânes berichtet:

mittelhochdeutsch Übersetzung
der künneginne rîche Der Königin, der großen Dame,
ir ougen fuogten hôhen pîn brachten ihre Augen hohen Schmerz,
dô si gesach den Anschevîn. als sie den Anschevîn [Gahmuret] sah.

(23, 22-24)

An dieser Stelle verursacht die Perspektivie Belacânes zwar, dass Gahmuret als anders und fremdartig wahrgenommen wird, jedoch scheint auch hier die Problematik der der Hautfarbe durch. Belacâne wird nämlich regelrecht durch den Anblick Gahmurets geblendet, was die Unterschiede zwischen den beiden deutlich macht: Er entspricht dem klassischen mittelalterlichen Schönheitsideal des Hellen und Lichten, sie dagegen wird davon schlicht überwältigt. Hier scheint zunächst eine klare Abgrenzung zu geschehen, die im Hinblick auf eine später folgende Feststellung Wolframs jedoch relativiert wird:

mittelhochdeutsch Übersetzung
si kunde ouch liehte varwe spehen: Sie verstand sich darauf, auch helle Haut recht anzuschauen,
wan sie het och ê gesehen denn sie hatte auch früher schon
manegen liehten heiden. viele hellhäutige Heiden gesehen.

(29, 3-5)

An dieser Stelle wird der Wissensfilter des Erzählers über diese Feststellung gelegt. Es handelt sich hier nicht um eine direkte Rede Belacânes wir bei ihrem Gespräch mit dem Marschall, sondern es wird etwas über sie erzählt. So ist der Begriff der heiden hier nicht als Selbstzuschreibung zu verstehen, sondern vielmehr als Charakterisierung von außen. Durch den Priming-Effekt (Gahmuret ist nicht der erste Hellhäutige, den Belacâne sieht) verliert die vorher klar scheinende Grenzziehung an dieser Stelle an Bedeutung, denn nun wird klar, dass die Blendung durch die besondere Helle Gahmurets ausgelöst, und nicht durch den Gegensatz helle Haut/dunkle Haut herbeigeführt wurde. Dass die Situation aber erst etliche Verse später aufgeklärt wird, spricht an dieser Stelle für eine absichtliche Grenzziehung, die zunächst vorgenommen wird, um dann wieder aufgelöst zu werden.

Die swarze Königin

Im Folgenden wird, nach dem Austausch von bekanten Höflichkeiten und Floskeln (siehe vergleichend dazu Gahmuret und Herzeloyde), das erste Mal direkt auf die Hautfarbe Belacânes eingegangen:

mittelhochdeutsch Übersetzung
ist iht liehters denne der tac, Wenn etwas heller wäre als der Tag,
dem glîchet niht diu künegin. dem gleicht die Königin nicht.
si hete wîplichen sin, Ihr Sinn war der einer rechten Frau,
und was ar anders rîterlich, und auch sonst war sie edel genug für einen Ritter,
der touwegen rôsen ungelîch. der tauigen Rose ist sie aber unähnlich.
nâch swarzer varwe was ir schîn, Von schwarzer Farbe war ihr Schein,
ir krône ein liehter rubîn: ihre Krone ein heller Rubin;
ir houbet man derdurch wol sach. ihre Haupt sah man da gut durchscheinen.

(24, 6-13)

Hier wird nun eindeutig zwischen Eigenem und Fremden verglichen und festgestellt, dass Belacâne zwar nicht dem Eigenen und Gewöhnlichen gleicht, sie wird allerdings keinesfalls als hässlich beschrieben. Es ist jedoch auffällig, dass diesmal mit der Perspektive Gahmurets die Situation geschildert wird und die vorher durch Belacâne bestimmten Machtverhältnisse relativiert werden. Im Kontext der Beschreibung ihrer dunklen Hautfarbe ist es nötig zu betonen, dass Belacâne dem ritterlichen Kodex entspricht und ihr Aussehen diesem keinen Abbruch tut, während vor der eindeutigen Beschreibung ihrer Hautfarbe, bei dem Gespräch mit dem Marschall es ihre Sorge war, ob Gahmurets Stand einem Kuss ihrerseits entsprechen würde. In dieser kurzen Beschreibung der Königin von Zazamanc werden also Grenzen des Aussehens geschaffen, diese aber direkt durch die Betonung der Gleichheiten im Geiste relativiert. Nun wird Belacâne auch weiterhin durch ihre Hautfarbe charakterisiert, jedoch immer im Kontext der minne: Einmal wird sie als swarze Moerinne (35, 21) bezeichnet und Gahmuret wird "entwâpent mit swarzer hant" (44, 18). Jedoch erlaubt der Kontext der minne diese Beschreibung nicht als negative abzutun, denn die minne wird durch das szwarze keineswegs gemindert.

Der Priming-Effekt

Belacâne ist schon vor dem Eintreffen Gahmurets von der christlichen Kultur geprägt. Der höfische Aspekt wird nicht nur in der Beschreibung Zazamancs deutlich, sondern wird mit der Erzählung der Racheschlacht für Isenhart auch in einen religiösen ausgeweitet. Deutlich beschrieben wird hier die Trauer Belacânes um ihren verstorbenen Geliebten. Die Trauer wird hier christlich dargestellt - es erfolgt keine Beschreibung heidnischer Rituale, mit denen dem Toten gedacht wird (vgl. 28, 18 - 31, 25). Auch die Manieren der Königin sind höfisch und lassen keine Wünsche offen, so heißt es Belcâne spreche mit zühten (34, 20). Zazarmanc wird ähnlich wie andere Burgen in christlichen Herrschaftsgebieten beschrieben, so sind hier auch Ritter zu finden, die lediglich Gahmurets Unterstützung benötigen. Im höfischen Kontext lösen sich jedoch auch vorherige Differenzen scheinbar auf: Eigenes kann auch fremd werden, so fühlt sich Gahmuret umgeben von lauter Schwarzen unwohl und fremd.

mittelhochdeutsch Übersetzung
liute vinster sô diu naht Dunkel wie die Nacht
wârn alle die von Zazamanc: waren diese Leute in Zazamanc:
bî denen dûht in diu wîle lanc. Bei denen, dachte er [Gahmuret], würde die Zeit ihm lang werden.

(17, 24-26)

Im Kontext des Fremden wird das Eigene also stärker wahrgenommen und deutlich gemacht: Hier wird das Eigene zum Fremden. Bedingt wird dies hier auch durch den Raum, der hier vor allem durch die bewohnenden Menschen konstituiert wird. Hier kommt auch die aventiure hinzu: Gahmuret begibt sich ja gewollt in die Fremde und durchreist den Orient. In dieser Szene wird jedoch auf eine mögliche Schattenseite hingedeutet: Das sich selbst Fremdsein. Siehe dazu auch Ritter als Rastlose in Wolframs Parzival. Auch die Bildung der Königin entsteht nicht erst durch die Heirat mit Gahmuret, denn den Abschiedsbrief ihres Gatten, der auf französisch ist, daz sie kunde (55, 19). Bildung und Höfisches scheint also schon vorher vorhanden gewesen zu sein, was für einen allgemein vorhandenen Austausch den Orients mit Wolframs Welt spricht.

Belacâne als Heidin

Belacâne wird als Heidin beschrieben, die allerdings viele christliche Attribute vorweist. Dazu gehört die schon analysierte Trauer um Isenhart, dessen Grablegung allerdings wiederum nicht religiös sondern höfisch beschrieben wird. Es heißt "man sagete mir daz Isenhart / küneclîche bestatet wart." (53, 27f.). Mit dem Vergleich der "königlichen Bestattung" wird die Schilderung eines religiösen, womöglich heidnischen Ritus zur Beerdigung vermieden. Auch bei der ersten Zusammenkunft Gahmurets und Belacânes wird Gahmurets Konnotation mit christlichen Tugenden beschrieben:

mittelhochdeutsch Übersetzung
Gahmureten dûhte sân, Gahmuret kam es so vor,
swie sie waere ein heidenin, als wäre nie - obwohl sie doch eine Heidin war -
mit triwen wîplîcher sin eine Seele mit so viel wahrer Frauentreue
in wîbes herze nie geslouf. in ein Herz geschlüpft wie hier
ir kuische was ein reiner touf, [...] Ihre Unschuld war ein reines Taufwasser [...]

(28, 10-14)

Treue und Unschuld sind christliche Tugenden, die in Gahmurets Schilderung mit dem ebenfalls christlichen Sakrament der Taufe verbunden werden. Hier scheint es so, als würden die Tugenden, zusammen mit der vorher erwähnten, durchaus angebrachten Trauer, Belacâne zu einer quasi ungetauften Christin machen. In diesem Kontext - nämlich vor der Heirat - ist das von zentraler Bedeutung: So werden eigentlich bestehende Grenzen überwunden und die Verifizierbarkeit der Hochzeit gewährleistet. In einem späteren Kontext, dem der heimlichen Abreise Gahmurets, die durch den Fährmann unterstützt wird, wird dieses nicht-Getauftsein Belacânes zum Abschiedsgrund. Bei der Abreise Gahmurets wird auch die Hautfarbe wieder zu einer scheinbar unüberwindbaren Grenze: Der Fährmann ist weiß und wîse (55, 3), wie Gahmuret, die beiden bilden damit quasi eine Minderheit in Zazamanc. In seinem Abschiedsbrief stellt Gahmuret die Taufe als einzige Möglichkeit der Rückgewinnung dar: "frouwe, wiltu doufen dich, / du maht ouch noch erwerbe mich." (56, 25f.). Diese Möglichkeit will Belacâne gerne erfüllen (vgl. 57, 6-8), jedoch stellt die Taufe zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr da, denn Gahmuret ist bereits abgereist. Erst ihr Sohn Feirefiz nimmt die Möglichkeit eine Generation später wahr, denn Belacâne selbst stirbt vor Trauer. Die hier scheinbar unüberwindbare Grenze der Religion wirkt nur vorgeschoben und vor allem im Kontext der vorher beschrieben christlichen Tugenden Belacânes nichtig. Letztlich bleibt der Eindruck bestehen, dass Gahmuret aufgrund seiner Fremde in Zazamanc Belacâne verlässt und nicht, weil er nichts Bekanntes vorfindet. Grenzen zwischen Eigenem und Fremden werden hier zunächst gezeichnet, um dann aufgelöst zu werden und letztlich wieder zu gelten.

Cundrîe

Cundrîe wird als sehr ungewöhnliche, dunkle und hässliche Heidin beschrieben. Sie verflucht Parzival, nachdem er auf der Gralsburg die Frage nach Anfortas' Wohlergehen nicht gestellt hat und dennoch am Plimizoel in den Kreis der Artusritter aufgenommen wird. Dabei ist sie nach Sigune die zweite Frau, die ihm diesen Fehltritt vorwirft, dessen Ausmaß für Parzival erst durch die Erklärung Trevrizents klar ersichtlich wird.

Erste Eindrücke: Bildung und Kleidung

Cundrîe sprengt die Feierlichkeiten am Plimizoel mit ihrem Auftauchen regelrecht, was detailliert beschrieben wird. Auffällig ist, dass vor ihrem fremdartigen Aussehen die Gemeinsamkeiten beschrieben werden. Es erfolgen zwar Hinweise auf die pîn (312, 18), die sie mit sich bringt, jedoch wird zunächst auf ihre hohe Bildung eingegangen:

mittelhochdeutsch Übersetzung
der meide ir kunst des verjach, Das Mädchen war in vielerlei Künsten wohl unterrichtet,
alle sprâchen si wol sprach, alle Sprachen sprach sie gut:
latîn, heidensch, franzoys. Lateinisch, Heidnisch und Französisch.
si was der witze kurtoys, Sie war in guter Kenntnis der courtoisie:
dîaletike und jêometrî: Dialektik und Geometrie
ir wâren ouch die liste bî und auch die Lehre
von astronomîe. der Astronomie.

(312, 19f.)

Zwischen der Beschreibung Cundrîes wird immer wieder auf ihre Funktion (Verfluchung) verwiesen, die zunächst aber nicht durch ihr Aussehen impliziert wird. Auch weiter wird die Beschreibung ihres fremden Körpers zunächst erneut umgangen, die Beschreibung konzentriert sich auf die edle Kleidung der Botin:

mittelhochdeutsch Übersetzung
ein brûtlachen von Gent, Genter Brauttuch,
noch plâwer denne ein lâsûr, noch blauer als Lapislazuli,
het an geleit der freuden schûr: trug dieser Hagelschlag des Glücks:
daz was ein kappe wol gesniten Ein elegantes Cape, wohlgeschnitten
al nâch Franzoyser siten: nach französischen Sitten,
drunde an ir lîb was pfelle gout. darunter trug sie feine Seide an ihrem Leib.

(313, 4f.)

Die vergleichende Beschreibung

Erst nach dieser Episode, in der die Beschreibung der Botin sich auf das Abgleichen des Eigenen an der fremden Person konzentriert, bricht das ungewöhnliche Aussehen durch. Abgetrennt durch einen Einschub, der wieder auf die Auswirkungen der Botschaft eingeht, wird die Beschreibung der Kleidung scheinbar zunächst fortgeführt: Der vor dem Einschub beschriebene, reich geschmückte hout (vgl. 313, 10f.) wird wieder aufgegriffen, weiter erfolgt die Beschreibung der Haare, die ebenfalls, wie die vorher beschriebene snour, ihr lang auf den Rücken fallen, was zunächst eben gerade nicht Hässlichkeit impliziert. Erst in der nächsten Zeile wird diese Assoziation gebrochen:

mittelhochdeutsch Übersetzung
über den hout ein zopf ir swanc Über den Hut schwang ein Zopf
unz ûf den mûl: der was sô lanc, bis auf das Maultier herunter, der war so lang,
swarz, herte und niht ze clâr, schwarz, starr und nicht eben blond und licht,
linde als eins swînes rückenhar. so weich wie die Rückenborsten einer Sau.
si was genaset als ein hunt: In der Visage trug sie eine Hundeschnauze.
zwên ebers zwne ir für den munt Aus ihrem Mund fuhren Hauen wie bei einem Eber,
giengen wol spannen lanc. sie waren wohl zwei Spannen lang.
ietweder wintprâ sich dranc Die Brauen auf beiden Seiten ragten
mit zöpfen für die hârsnuor. [...] zu Zöpfen geflochten höher als das Haarband. [...]
Cundrîe truoc ôren als ein ber, Cundrîe hatte Ohren wie ein Bär,
niht nâch friundes minne ger: nicht so wie es sich ein Mann wünscht von seiner Geliebten.
Rûch was ir antlütze erkant. Wild behaart war ihr Gesicht.
ein geisel fuorte se in der hant: Sie führte eine Geißel in der Hand:
dem wârn die swenkel sîndîn Die Stricke daran waren seiden
unt der stil ein rubbîn. und der Stil ein Rubin.
gevar als eines affen hût hässlich wie eines Affen Haut
truoc hende diz gaebe trût. trugen Hände diese Schätze.
die nagele wâren niht ze lieht; Die Fingernägel waren nicht sehr hell;
wan mir diu âventuire gieht, so sagt mir die aventuire,
si stüenden als eins lewen klân. sie sollen wie die Krallen eines Löwen gewesen sein.

(313, 17 - 314, 9)

Auffällig ist hier, das der Bruch von Schönheit zu ungewohntem Aussehen über das Adjektiv swarz erfolgt. Das Dunkle wurde schon bei Belacâne ausführlich beschrieben, dort mit Hinblick auf die Hautfarbe. Das swarz steht hier vor allem gegenläufig zu der Beschreibung Parzivals, der in den vorangegangen Feierlichkeiten für seinen glast (311, 25) geehrt wird. Brall bemerkt hierzu richtig: "Die Einzige, die anders sieht, sieht selbst ganz anders aus." [Brall 1991: 157]. Cundrîe wird als Einzige nicht durch Parzivals hellen Schein geblendet. Gezeigt wird hier die Variabilität von Außen und Innen: An Cundrîe wird deutlich, dass fremdes und ungewohntes, nicht schönes Äußeres nicht unbedingt auf ein schlechtes Inneres hindeuten muss (vgl. Prolog), sowie auch Parzival, durch ein schönes Äußeres gekennzeichnet, nicht fehlerfrei ist. Cundrîe verflucht Parzival ja genau aus diesem Grund, sie will die Blendung seines Äußeren überwinden und auf seine Fehler hinweisen. Pappas argumentiert hier, Parzivals Verfluchung durch Cundrîe wäre notwendig, um ihn in seinem Werdegang weiterzuführen und ihm letztendlich zu ermöglichen die Frage an Anfortas ein zweites Mal stellen zu können. [vgl. Pappas 2001] Wolfram rechtfertigt auch, dass er trotz des Beschriebenen von frouwe spricht, mit der wârheit, und verweist damit auf Folgendes, für den Rezipienten noch nicht Ersichtliches (vgl. 313, 24f.). "Die Wahrnehmung der Hässlichkeit bzw. die Hässlichkeitsbeschreibung stellt ja hier wie dort dem eben noch vollziehbaren Prozess der Annäherung dar, der aufgrund des Minimums an Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien möglich ist." [Brall 1991: 154] Genau das wird hier deutlich, nämlich dass die Beschreibung des ungewohnten Aussehens über den Vergleich mit etwas Bekanntem erfolgt: Die Beschaffenheit von Cundrîes Haaren wird mit Schweineborsten verglichen. Auch weiter folgen Vergleiche mit heimischen Tieren (Hund, Eber, Bär), diese werden gegen Ende der Beschreibung jedoch auch von nicht heimischen Tieren (Affe, Löwe) abgelöst. Hier ist also auch ein Prozess des Sich-zu-Eigen-Machens zu beobachten: Vorstellungen von nur aus Erzählungen bekanntem werden benutzt, um das Bild der Botin zu mystisieren. Gegen Ende der Szene ist jedoch auch zu beobachten, dass die Beschreibung des fremden Hässlichen durch die Beschreibung des schönen Zaumzeuges durchbrochen wird und so die Diskrepanz zwischen der körperlichen Fremdheit und der schönen Ausrüstung besonders hervorgehoben wird. Gleichzeitig werden hier aber auch Grenzen geschaffen, die eigentlich gegenläufig des "herkömmliche ästhetische Konzept" [Karg 1993: 39] sind: Äußeres wird klar von Innerem getrennt, Cundrîe kann trotz ihres Aussehens zu Reichtum gelangen.

Die Wirkung des ungehiures

Die Wirkung der fremdartigen Botin auf die Artusgesellschaft wird nicht beschrieben, Cundrîe scheint sich dessen aber bewusst zu sein und benutzt dieses Wissen, um die Vorwürfe gegenüber Parzival zu untermauern:

mittelhochdeutsch Übersetzung
Ich dunke iuch ungehiure, Ich erscheine euch als Ungeheuer,
und bin gehiurer doch dann ir. und bin doch geheurer als ihr [Herr Parzival].

(315, 24f.)

Hier kann Fremdes "geheurer" sein als Eigenes, zumindest aus der Perspektive Cundrîes, denn es handelt sich hier um eine Aussage in direkter Rede: Parzival wird, ähnlich wie Gahmuret, in seiner Umgebung des Artushofes zu einem Fremden. Cundrîe steht hier auch für Auflösung dieser Grenze zwischen eigener und fremder Umgebung. Eigentlich ist sie fremd in dieser Umgebung, worauf weiter unten noch genauer eingegangen wird, jedoch stellt sie fest, dass ihr Handeln und ihr Gewissen sie dieser Gesellschaft ähnlicher machen, als Parzival es ist. Sie verweist hier indirekt auch auf seine Fremdheit: Auch er ist zum Artushof hinzugestoßen und eigentlich ein Fremder. Ironisch ist, dass Cundrîe gerade bei den Aufnahmefeierlichkeiten für Parzival auftaucht und diese mit dem Vorwurf seiner ungemäßen Aufnahme stört. Erst der Grund ihres Auftretens verursacht bei der Artusgesellschaft "pîn": So heißt es, dass "Cunnewâr daz êrste weinen huop" (319, 12) und Parzival "nu vander magt man unde wîp / trûrec ame ringe hie:" (319, 28f.). Das bekräftigt die Überwindung der Grenze des Äußeren: Cundrîe wird sehr erst genommen mit ihren Beschuldigungen.

Cundrîes Herkunft: Genealogie und Räumlichkeit

Cundrîe wird zwar bei ihrem ersten Auftreten ausführlich beschrieben, allerdings geht Wolfram erst beim Auftritt ihres Bruders Malcrêatiure als Knappe auf die Herkunft der Geschwister ein. Auch Cundrîe ist nun keine alleinstehende Figur mehr, denn mit Malcrêatiure hat Wolfram sie zwar nicht in die Genealogie der beiden großen Familien aufgenommen, beschreibt aber eine komplexe Herkunftsgeschichte:

mittelhochdeutsch Übersetzung
Gâwan sîn beite wolte: Gâwân ließ ihn herankommen:
dô dûht ern ungehiure. da erschien ihm der als ein wahres Ungeheuer
Malcrêatuire Malcrêatuire
hiez der knappe fiere: hieß der stolze Knappe:
Cundrîe de la surziere Cundriê de la surziere
was sîn swester wol getân: war seine schöne Schwester:
er mouse ir antlütze hân er sah so aus wie sie
gar, wan daz er was ein man. [...] nur, dass er eben ein Mann war. [...]
bî dem wazzer Ganjas Bei dem Wasser Ganjas
ime lant Trîbalibôt im Land Trîbalibôt
wahsent liute alsus durch nôt. misswachsten die Menschen so durch Not.
Unser vater Adâm, Unser Vater Adam,
die kust er von gote nam, bekam von Gott diese Kunst geschenkt,
er gap allen dingen namn, er gab allen Dingen Namen
beidiu wilden unde zamn: [...] beiden, wilden und zahmen: [...]
dô sîniu kint der jâre kraft Als seine Kinder der Jahre Kraft
gewunnen, daz si berhaft gewonnen, dass sie fruchtbar
wurden menneschlîcher fruht, wurden mit Menschenfrucht,
er widerriet in ungenuht. [...] da warnte er sie vor der Gier. ]...]
diu wîp tâten et als wîp: Die Frauen taten so, wie Frauen tun:
etslîcher riet ir broeder lîp Einigen riet ihr schwaches Fleisch
daz si diu werc volbrâhte, so dass sie dieses Werk vollbrachte,
des ir herzen gir gedâhte. das ihres Herzen Gier einfiel.
sus wart verkêrt diu mennischeit: So war die Menschheit falsch entstanden.

(Vgl. 517, 14 - 519, 1)

Hier wird deutlich, dass etwas fremdes und auch ungeheuerlich erscheinendes mit Eigenem beschrieben wird: Die Genealogie der beiden Heiden wird mit der christlichen Erbsünde erklärt. Der Ursprung des Unbekannten liegt damit also ebenfalls im Eigenen. Auffällig ist hier zunächst die Herstellung von Grenzen durch die ausführliche Beschreibung des andersartigen Aussehens und dann die Zusammenführung des scheinbar Fremden durch eine gemeinsame Genealogie. Die Herkunft der beiden Geschwister wird noch weiter ausgeführt (vgl. 519, 3-30), so wird ersichtlich, dass Cundriê und ihr Bruder dem Gralskönig Anfortas von der heidnischen Königin Secundille geschenkt wurden, die Feirefiz versprochen ist, bevor dieser in die Gralsgesellschaft einheiratet. Anfortas schenkt Malcrêatiure wiederum Orgeluse, seiner zeitweiligen Geliebten. So kommt nun auch Gâwân mit Cundrîes Bruder in Kontakt, wodurch der Bericht der Herkunft provoziert wird. Cundriê kann hier also als "Mixtur von West und Ost, eine kompakte Präsentation dessen, was an Elementen des Eigenen und des Fremden anderweitig verstreut die epische Welt des Romans immer wieder aufweist" [Karg 1993: 40] gesehen werden. Interessant ist an dieser Stelle, dass durch die Schenkung der Geschwister auch Grenzen von herrschaftlichen Räumen überwunden werden: So finden die beiden den Weg von Orient auf die Gralsburg, von dort geht Malcrêatiure weiter nach Schastel Marveile und beide, er sowie auch Cundrîe finden den Weg als Bote zur Artusgesellschaft. Die verschiedenen Räume werden durch die Geschwister also regelrecht miteinander verwebt.

Fazit

Die genaue Textbeobachtung zeigt, dass entgegen der allgemeinen Annahme nicht gesagt werden kann, dass zunächst mit "dem Aufbau eines dualistischen Bildes von Gut und Böse, von Schwarz und Weiß" [Karg 1993: 40] begonnen wird, um diesen dann aufzulösen. Bei Belacâne, wie auch bei Cundrîe wird deutlich, dass diese Annahme eines generellen chronologischen Vorgehens nicht dem Text entspricht. Vielmehr müssen zunächst Ähnlichkeiten des Eigenen im Fremden gefunden und als Gemeinsamkeiten generalisiert werden um überhaupt verhandelt werden zu können. Diese Gemeinsamkeiten werden dann zu einer bestehenden Verbindung von Eigenem und Fremden, die zumindest bei Cundrîe nicht aufgelöst, sondern später durch die Herkunftserzählung noch verstärkt werden. Eine Auflösung der Verbindungen ist nur beim Gahmurets Abreise aus Zazamanc zu sehen, wenn die Glaubensfrage als vorgeschobene Rechtfertigung dient. Wie bereits festgestellt ist hier der Grund des Verlassens eher in dem Sich-Fremd-Fühlen Gahmurets zu sehen, welches aber nicht dem Bild des gepriesenen und tapferen Ritters entsprechen würde, das sonst von ihm gezeichnet wird. Die geschaffenen Verbindungen zwischen Fremd und Eigen werden hier als zugunsten des Ritterbildes verletzt, was auf eine Hierarchie schließen lässt. Das Ritterbild steht höher in dieser Hierarchie, jedoch kommen auch der Verbindung von Fremden und Eigenem wichtige Aufgaben zu: So werden durch Belacâne und Cundrîe Verbindungen zwischen Räumen geschaffen und gleichzeitig auch zwischen verschiedenen Herrschaftsformen. Die transzendente Herrschaft auf der Gralsburg wird zunächst mit dem mystischen Zauber auf Schastel Marveile verbunden, um schließlich auch im den immanenten Herrschaftsbereich des Artushofes einzugreifen. Gleichzeitig kommt es durch die Verbindung von Eigenem und Fremden auch zu einer Grenzziehung innerhalb einer Figur: Inneres und Äußeres sind nicht mehr zwangsläufig miteinander verbunden, sondern haben auch getrennt Aussagekraft, was vor allem dem Inneren zu mehr Schlagkraft verhilft.

Anmerkungen

  1. Es wird unter Angabe von Strophen und Verszahl zitiert nach: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
  2. Siehe dazu auch: Das wilde-Motiv im Parzival
  3. Siehe dazu auch: Krause, Burgkhardt: Wolfram von Eschenbach: Eros, Körperpolitik und Fremdaneignung. In: Hg. ders.: Fremdkörper - Fremde Körper - Körperfremde. S. 109-148, vor allem S. 121ff..
  4. Übersetzt nach: Lexer, Matthias, 1992: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 38. Auflage.

Literaturverzeichnis

<harvardreferences />

  • [*Brall 1991] Brall, Helmut, 192: Imagination des Fremden. Zu Formen und Dynamik kultureller Identitätsfindung in der höfischen Dichtung. In: Kaiser, Gert (Hrsg.): An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtung der Lebensordung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters. S. 115-211.

<harvardreferences />

  • [*vgl. Pappas 2001] Pappas, Katharine, 2001: Die häßliche Gralsbotin Cundry. in: Müller, Ulrich; Werner Wunderlich (Hg.), Verführer, Schurken, Magier. St. Gallen: Fachverlag für Wissenschaft und Studium. S. 157-172.

<harvardreferences />

  • [*Karg 1993] Karg, Ina, 1993: Bilder von Fremde in Wolframs von Eschenbach 'Parzival'. Das Erzählen von Welt und Gegenwelt. In: Berger, Günter (Hrsg.): Fremderfahrung in Texten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. S. 23-43.

Weiterführende Literatur

  • Böhland, Dorothea, 2001: Integrative Funktion durch exotische Distanz. Zur Cundrie-Figur in Ws Parzival. In: Gaebel, U. und Kartschoke, E. (Hrsg.): Böse Frauen - Gute Frauen. Darstellungskonvention in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. S. 45-58.
  • Gerok-Reiter, Annette, 1996: Auf der Suche nach der Individualität in der Literatur des Mittelalters. In: Aertsen, J.A und Speer, A. (Hrgs.): Individuum und Individualität im Mittelalter. S. 748-765.
  • Samples, Susan T., 2001: Belacane: Other as Another in WvE's Parzival. In: On Arthurian Women. Essays in Memory of Maureen Fries. S. 187-198.