Die Konzeption des Bösen im Parzival: Unterschied zwischen den Versionen

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Der folgende Artikel versucht die Konzeption des Bösen im [[Inhaltsangabe "Parzival" (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|''Parzival'']] <ref> Es wird unter Angabe von Strophen und Verszahl zitiert nach: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.</ref> zu erläutern. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Vermittlung des Bösen durch den Erzähler eingegangen. Daran anschließend wird untersucht, inwiefern Reinheit und Gutartigkeit miteinander in Verbindung stehen und inwieweit [[Zusammenspiel von äußerer und innerer Schönheit|Äußerlichkeit]] eine boshafte Perzeption beeinflusst. Das Böse ist eng angebunden an die Religion und hier insbesondere verknüpft mit dem [[Das Heidentum als Hindernis|Heidentum]]. Exemplarisch wird die Darstellung der beiden [[Schönheit und Hässlichkeit (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|hässlichen]] Figuren [[Die Gralsbotin Cundrîe (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Cundrîe]] und Malcrêatiure untersucht.
Der folgende Artikel versucht die Konzeption des Bösen im [[Inhaltsangabe "Parzival" (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|''Parzival'']] <ref> Es wird unter Angabe von Strophen und Verszahl zitiert nach: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.</ref> zu erläutern. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Vermittlung des Bösen durch den Erzähler eingegangen. Daran anschließend wird untersucht, inwiefern Reinheit und Gutartigkeit miteinander in Verbindung stehen und inwieweit [[Zusammenspiel von äußerer und innerer Schönheit|Äußerlichkeit]] eine boshafte Perzeption beeinflusst. Das Böse ist eng angebunden an die Religion und hier insbesondere verknüpft mit dem [[Das Heidentum als Hindernis|Heidentum]]. Exemplarisch wird die Darstellung der beiden hässlichen Figuren Cundrîe und Malcrêatiure untersucht.
== Hässlichkeit und Bosheit im höfischen Roman ==
== Hässlichkeit und Bosheit im höfischen Roman ==
Der Begriff Kalokagathie beschreibt "die Entsprechung von [[Zusammenspiel von äußerer und innerer Schönheit|äußerer Erscheinung und innerem Wert]]" [Salama 2014: 5,]diese gegenseitige Abhängigkeit von [[Schönheit und Hässlichkeit (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Hässlichkeit]] und Bosheit variiert in der mittelhochdeutschen Literatur stark. Oster definiert das Selbstverständnis im Mittelalter "als Spiegelfläche des Inneren, als materielles Abbild der spirituellen Verfasstheit des Menschen" [Oster 2012: 30]. Durch "diese Spannung zwischen Ich und gesellschaftlichen Konventionen, die Diskussion der höfischen Identität, [wird] die Zugehörigkeit zur höfischen Sphäre oder eben auch die Ausgliederung aus derselbigen nicht zuletzt am Körper der erzählten Figur sichtbar gemacht" [Oster 2012: 30]. Äußerlichkeit kann als nicht nur die Religion und Stand einer Figur widerspiegeln, sondern auch die Exklusion aus der Gesellschaft darstellen, wie dies beispielsweise im ''Iwein''<ref>Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutscher Text mit Übersetzung von Rüdiger Krohn. Kommentiert von Mireille Schnyder, Stuttgart 2012.</ref> geschieht, nachdem Iwein das Versprechen seiner Frau gegenüber bricht und wahnsinnig wird. Seine Nacktheit und sein schmutziger Leib rufen Assoziationen der Wildheit hervor und spiegeln seine eigene Ausgrenzung aus der Gesellschaf wieder. Der Ursprung dieser Verknüpfung liegt nun in der
Der Begriff Kalokagathie beschreibt "die Entsprechung von [[Zusammenspiel von äußerer und innerer Schönheit|äußerer Erscheinung und innerem Wert]]" [Salama 2014: 5,]diese gegenseitige Abhängigkeit von [[Schönheit und Hässlichkeit (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Hässlichkeit]] und Bosheit variiert in der mittelhochdeutschen Literatur stark. Oster definiert das Selbstverständnis im Mittelalter "als Spiegelfläche des Inneren, als materielles Abbild der spirituellen Verfasstheit des Menschen" [Oster 2012: 30]. Durch "diese Spannung zwischen Ich und gesellschaftlichen Konventionen, die Diskussion der höfischen Identität, [wird] die Zugehörigkeit zur höfischen Sphäre oder eben auch die Ausgliederung aus derselbigen nicht zuletzt am Körper der erzählten Figur sichtbar gemacht" [Oster 2012: 30]. Äußerlichkeit kann als nicht nur die Religion und Stand einer Figur widerspiegeln, sondern auch die Exklusion aus der Gesellschaft darstellen, wie dies beispielsweise im ''Iwein''<ref>Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutscher Text mit Übersetzung von Rüdiger Krohn. Kommentiert von Mireille Schnyder, Stuttgart 2012.</ref> geschieht, nachdem Iwein das Versprechen seiner Frau gegenüber bricht und wahnsinnig wird. Seine Nacktheit und sein schmutziger Leib rufen Assoziationen der Wildheit hervor und spiegeln seine eigene Ausgrenzung aus der Gesellschaft wieder. Die offensichtliche Ähnlichkeit zur Darstellung [[Fremdheit und Vertrautes im Parzival|fremder]] und teilweise auch schwarzer Figuren wird deutlicher, wenn man bedenkt, dass der Ursprungsmythos des Hässlichen, der im ''Parzival'' dargelegt wird, auch in anderen literarischen Texten auftaucht. Jedoch muss auch beachtet werden, dass sich der Zusammenhang von Hässlichkeit und Bosheit im späten Mittelalter immer weiter lockerte, so dass Schönheit nicht immer notwendigerweise auf eine tugendhafte Figur verwies, sondern auch der Täuschung dienen konnte [Oster 2012].
 
 
Jedoch muss auch bedacht werden, dass sich der Zusammenhang von Hässlichkeit und Bosheit im späten Mittelalter immer weiter lockerte, so dass Schönheit nicht immer notwendigerweise auf eine tugendhafte Figur verwies, sondern auch der Täuschung dienen konnte [Oster 2012].


== Vermittlung des Bösen==
== Vermittlung des Bösen==
Bereits zu Beginn der Erzählung wird eine Verknüpfung der Dichotomie Gut und Böse mit [[Farbsymbolik in Wolframs Parzival|Farben]] hergestellt: ''der unstaete geselle hât die swarzen varwe gar''(1,10 f.: Der Treuelose hat die schwarze Farbe ganz), während sich die ''mit staeten gedanken'' (1,14) an ''die blanken'' (1,13: die Weißen) halten. Diese Dichotomisierung hat auch eine Auswirkung auf die [[Race_Konzepte_im_Parzival|race-Konzeptionen]] im Parzival. In diesem Zusammenhang ist insbesondere [[Feirefiz (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Feirefiz]] interessant, der immer wieder als Elster aufgrund seiner fleckigen Haut beschrieben wird. Denn der Erzähler vergleicht auch die Vereinigung von Gutem und Bösem (hier: Himmel und Hölle) als ''agelstern varwe'' (1,6: Elsternfarben) niederschlägt.
Bereits zu Beginn der Erzählung wird eine Verknüpfung der Dichotomie Gut und Böse mit [[Farbsymbolik in Wolframs Parzival|Farben]] hergestellt: ''der unstaete geselle hât die swarzen varwe gar''(1,10 f.: Der Treuelose hat die schwarze Farbe ganz)<ref>Die folgenden Übersetzungen stammen vom Autor des Artikels. </ref>, während sich die ''mit staeten gedanken'' (1,14: mit steten Gedanken) an ''die blanken'' (1,13: die Weißen) halten. Diese Dichotomisierung hat auch eine Auswirkung auf die [[Race_Konzepte_im_Parzival|race-Konzeptionen]] im Parzival. In diesem Zusammenhang ist insbesondere [[Feirefiz (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Feirefiz]] interessant, der immer wieder als Elster aufgrund seiner fleckigen Haut beschrieben wird. Denn der Erzähler vergleicht auch die Vereinigung von Gutem und Bösem (hier: Himmel und Hölle) als ''agelstern varwe'' (1,6: Elsternfarben) niederschlägt.


Parzivals Erziehung durchgeht mehrere Phasen, in denen er unter anderem auch verschiedene und spezifischere Konzeptionen von gut und böse erfährt und teilweise auch internalisiert. Die [[Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Erziehung seiner Mutter Herzeloyde]] liefert ihm eine Erklärung des Guten anhand der Gegenüberstellung von Gott und Teufel, mit der sie Parzival eine Antwort auf seine Frage: ''waz ist got?'' (119,17: Was ist das: Gott?) gibt. Gott – ''noch liehter denne der tac'' (119,19: noch heller als die Sonne)- soll Parzival sich in der Not zuwenden, denn seine ''triwe der werlde ie helfe bôt'' (119,24: Treue bot der Welt stets Hilfe ). Im Gegensatz dazu steht nun der Teufel, ''der helle wirt'' (119,25: Herr der Hölle), der ''swarz'' (119,26) ist und ''untriwe […] niht verbirt'' (119,26: Untreue nicht verbietet). Auch Herzeloyde greift hierbei auf eine Farbendichotomie zurück, die das Gute mit Helligkeit und das Böse mit Dunkelheit und Schwärze verbindet. Außerdem gibt sie noch einen Rat im Bezug auf den Teufel auf den Weg:
Parzivals Erziehung durchgeht mehrere Phasen, in denen er unter anderem auch verschiedene und spezifischere Konzeptionen von gut und böse erfährt und teilweise auch internalisiert. Die [[Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Erziehung seiner Mutter Herzeloyde]] liefert ihm eine Erklärung des Guten anhand der Gegenüberstellung von Gott und Teufel, mit der sie Parzival eine Antwort auf seine Frage: ''waz ist got?'' (119,17: Was ist Gott?) gibt. Gott – ''noch liehter denne der tac'' (119,19: noch heller als die Sonne)- soll Parzival sich in der Not zuwenden, denn seine ''triwe der werlde ie helfe bôt'' (119,24: Treue bot der Welt stets Hilfe ). Im Gegensatz dazu steht nun der Teufel, ''der helle wirt'' (119,25: Herr der Hölle), der ''swarz'' (119,26) ist und ''untriwe […] niht verbirt'' (119,26: Untreue nicht unterbindet). Auch Herzeloyde greift hierbei auf eine Farbendichotomie zurück, die das Gute mit Helligkeit und das Böse mit Dunkelheit und Schwärze verbindet. Außerdem gibt sie noch einen Rat im Bezug auf den Teufel auf den Weg:
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| ez waere got, als im verjach || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || Es wäre Gott, wie es ihm
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| frou Herzeloyd diu künegîn, || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || Frau Herzeloyde, die Königin, beibrachte,
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| do sim underschiet den leihten schîn. || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> || als sie ihm den hellen Schein unterschied. || <span style="color:#FFFFFF"> __________ </span> ||(122,21 ff.)
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Dies ist nur nur eine weiteres Beispiel, wie sich Parzivals [[Parzivals tumpheit (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|tumpheit]] in seinem Handeln niederschlägt. Doch Parzival entwickelt sich weiter, sobald er am eigenen Leib erfährt, was es heißt, selbst böses zu tun (vgl. 316). Im Laufe seiner Entwicklung zeigt er Reue und büßt für seine Tat. Trevrizent zufolge ist dies auch der richtige Weg, um sich Vergebung vor Gott zu verdienen:
Dies ist nur nur ein weiteres Beispiel, wie sich Parzivals [[Parzivals tumpheit (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|tumpheit]] in seinem Handeln niederschlägt. Doch Parzival entwickelt sich weiter, sobald er am eigenen Leib erfährt, was es heißt, selbst böses zu tun (vgl. 316). Im Laufe seiner Entwicklung zeigt er Reue und büßt für seine Tat. Trevrizent zufolge ist dies auch der richtige Weg, um sich Vergebung vor Gott zu verdienen:
   
   
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Die Zuwendung zum Bösen wird nicht als freie Entscheidung gewertet. In diesem Zusammenhang ist auch die Erlösung von der Bosheit eine externe Hilfe, die von Gott erstattet wird (vgl. 448, 25). In gewisser Weise kann man davon sprechen, dass Trevrizent, der versucht durch seine Keuschheit (452, 27 ff.) den Teufel abzuwehren, eine Prävention betreibt. Auch wenn Jesu Tod als Pfand für die Sündhaftigkeit der Menschen gilt, kann doch nicht alle Schuld vergeben werden, so dass Gott ''die unkiuschen [...] dinne liez'' (465, 25 - 30). Auch an dieser Stelle wird die Verknüpfung von Reinheit und Gutartigkeit verstärkt.
Die Zuwendung zum Bösen wird nicht als freie Entscheidung gewertet. In diesem Zusammenhang ist auch die Erlösung von der Bosheit eine externe Hilfe, die von Gott erstattet wird (vgl. 448, 25). In gewisser Weise kann man davon sprechen, dass Trevrizent, der versucht durch seine Keuschheit (452, 27 ff.) den Teufel abzuwehren, eine Prävention betreibt. Auch wenn Jesu Tod als Pfand für die Sündhaftigkeit der Menschen gilt, kann doch nicht alle Schuld vergeben werden, so dass Gott ''die unkiuschen [...] dinne liez'' (465, 25 - 30: die unkeuschen drinnen ließ). Auch an dieser Stelle wird die Verknüpfung von Reinheit und Gutartigkeit verstärkt.


== Ursprung des Bösen ==
== Ursprung des Bösen ==
Trevrizent ist es, der auf Parzivals Verfehlungen hinweist. Doch er erklärt nicht nur, wie sich Parzival rehabilitieren kann, sondern Trevrizent führt ihn auch in die Entstehung des Bösen ein. Er stellt eine direkte Verbindung zwischen evas Sünde, die dazu führte, dass sie und Adam aus dem Garten Eden verstoßen wurden und Kains Sünde, der seinen eigenen Bruder umbrachte und damit ''nît'' in die Welt brachte, her. Während Kain ... ist und Eva als ... beschrieben wird, entspricht Adam, der engezwîvelt nie sîn wille (519, 1), dem im [[Der Prolog (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Prolog]] entworfenen Muster des guten Menschen.
Trevrizent ist es, der auf Parzivals Verfehlungen hinweist. Doch er erklärt nicht nur, wie sich Parzival rehabilitieren kann, sondern Trevrizent führt ihn auch in die Entstehung des Bösen ein. Er stellt eine direkte Verbindung zwischen Evas Sünde, die dazu führte, dass sie und Adam aus dem Garten Eden verstoßen wurden und Kains Sünde, die durch den Mord an seinem Bruder den ''nît'' in die Welt brachte, her. Während Kain von ''gîteclîche[m] ruom'' (463, 25: Gier nach Ruhm) bestimmt wird und Eva ''ir schepfaere überhôrte unt unser freude stôrte'' (263, 21 f.: ihren Schöpfer überhörte und unser Glück störte), entspricht Adam, der ''engezwîvelt nie sîn wille'' (519, 1: nie seinen Willen angezweifelt hat), dem im [[Der Prolog (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Prolog]] entworfenen Muster des guten Menschen.
Später greift er erneut auf diese Verknüpfung zurück, indem er darauf verweist, dass die ''sippe […]sünde müezen tragen'' (465, 6). Diese Aussage erklärt auch Trevrizents Keuschheitsgelübde, mit dem er nicht nur dem Bösen widersteht, sondern zudem für seinen Bruder sühnt. Auch die Erklärung des "Adamstöchtermythos" verstärkt die Verantwortung der ''sippe'' für die Taten und baut eine Analogie der Monstrosität auf, die Verständnis für die Enstehung für ''mennesch wunderlîch'' (519, 22) fordern. Es werden jedoch nicht nur Assoziationen der Monstrosität hervorgerufen, sondern Adam spricht davon, dass sie kein Teil von Gottes Plan waren:  
Später greift der Erzähler erneut auf diese Diskrepanz zurück, indem er darauf verweist, dass die ''sippe […]sünde müezen tragen'' (465, 6: [die] Verwandtschaft Sünde tragen müsse). Diese Aussage erklärt auch Trevrizents Keuschheitsgelübde, mit dem er nicht nur dem Bösen widersteht, sondern zudem für seinen Bruder sühnt. Auch die Erklärung des "Adamstöchtermythos" verstärkt die Verantwortung der ''sippe'' für die Taten und baut eine Analogie der Monstrosität auf, die Verständnis für die Enstehung für ''mennesch wunderlîch'' (519, 22: seltsame Menschen) fordern. Es werden jedoch nicht nur Assoziationen der Monstrosität hervorgerufen, sondern Adam spricht davon, dass sie kein Teil von Gottes Plan waren:  


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Auch wenn hier ein genealogischer Zusammenhang dieser Monster mit der Christlichkeit geschaffen wird, werden sie dennoch aus der christlichen Ordnung verstoßen. Es ist bemerkenswert, dass der ursprüngliche Auslöser für den jeweiligen Verstoß jeweils eine Frau ist. Zuerst ist es Eva, die Adams und ihren eigenen Verstoß aus dem Paradies verursacht, dann sind es die Frauen, die trotz Adams Rat auf ''ir herzen gir'' (518, 28: der Gier ihrer Herzen) hören. Knüpft man dieser Erzählungen noch an die weiblichen [[Jungfräulichkeit im Parzival|Normierungsmuster der Jungfräulichkeit]], so wird offensichtlich, dass für Frauen nicht nur andere Sexualitätsvorgaben gelten, sondern auch striktere Schuldzuweisungen.


=== Cundrîe und Malcrêatiure ===
Die Verbindung Bosheit und [[Darstellung von Verwandtschaft in Wolframs Parzival|Verwandtschaft]] bzw. Genealogie wird im Parzival insbesondere durch die Erläuterung<ref>Auf diese Stelle wurde ich von [[Benutzer:AnMar|AnMar]] hingewiesen.</ref> der Geschwister Cundrîe und [[Schönheit und Hässlichkeit (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Malcrêatiure]] gestärkt.
Diese beiden Figuren sind die einzigen Hässlichen des ''Parzival''. Während Cundrîe als Unheilsbringerin dient, ist Malcrêatiure - dessen Name sich aus dem Französischen mit "schlechtem Geschöpf" übersetzen lässt - nur ein Hindernis zur Überwindung Gâwâns.


Die beiden Figuren befinden sich außerhalb der genealogischen Ordnung des ''Parzival'' - sie sind in gewisser Weise ausgestoßen aus der höfischen Welt. Dies befähigt zwar einerseits [[Cundrîe - Figur des Wendepunktes|Cundrîe zur Grenzüberschreitung]] - zur "Mobilität" [Böhland 2001: 51] -, isoliert sie aber auch andererseits umso mehr durch die Unfähigkeit (für sie) ''minne'' zu empfinden. Hier beachte man die Diskrepanz zwischen [[Sigune (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Sigune]], die nicht mehr zur ''minne'' fähig sein will, deswegen ihrer Schönheit verliert, und Cundrîe, der bewusst ist, dass die Gesellschaft nicht will, dass sie ''minne'' erlebt. Während Sigune für ihr keusches Leben vererht wird, wird Cundrîe zur [[Komik und Erzählen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|komischen]] Figur, deren Hässlichkeit stets hervorgehoben und durch welche sie unter anderem aus der Gesellschaft ausgestoßen wird. Böhland weist darauf hin, dass Cundrîe hier "ein zentrales Aktionsfeld weiblicher Existenz am Hof" [Böhland 2001: 52] genommen wird, ist Malcrêatiure gleichzeitig "in den Kampf eingebunden" [Böhland 2001: 52]. Hier zeigt sich die unterschiedliche Wertung der weiblichen und männlichen Hässlichkeit: Bei Cundrîe führt sie zur Abwertung, während Malcrêatiure weiterhin ein angemessener Gegner ist.


In dieser Erklärung wird die Schuld Eva und Kain zugesprochen. Die endgültige Schuld für die Existenz solcher Geschöpfe wie Cundrîe und Malcrêatiure wird auf die Frauen geschoben, die  
Obwohl Cundrîe und Malcrêatiure durch den Text nicht explizit negativ dargestellt werden, muss bedacht werden, dass beide tierische Attribute besitzen. In der höfischen Literatur werden laut Oster Tiermerkmale als "Zeichen des Teuflischen und Dämonischen, [...] Metaphern des Hässlichen, [d]ie [...] wie bei den wilden Männern und Frauen auf tierische Charakter- und Verhaltenszüge [hindeuten]" [Oster 2012: 129 f.], benutzt. Insbesondere die Eberzähne können unter anderem auf Aggressivität und übermäßge sexuelle Begierde hinweisen. Hier ist zu beachten, dass zwar der Text die beiden Figuren nicht notwendigerweise negativ auffasst, aber das implizite Publikum hat ein Verständnis für die Bedeutungen einer hässlichen Figur, die dazu noch mit tierischen Merkmalen ausgestattet sind, die Assoziationen der [[Fremdheit und Identität im Parzival|Fremdheit]] und der [[Das wilde-Motiv im Parzival|Wildnis]] hervorrufen. Dieser Zusammenhang der Hässlichkeit und dem "Adamstöchtermythos" wird nicht nur im ''Parzival'' thematisiert, sondern auch in der ''Wiener Genesis''<ref>siehe: Smits, Kathryn: Die frühmittelhochdeutsche Wiener Genesis. Kritische Ausgabe mit einem einleitenden Kommentar zur Überlieferung, Berlin 1972.</ref>. Es ist also davon auszugehen, das dies ein historischer Konsens für das Publikum war. Oster zufolge wird das Hässliche in "der Tierähnlichkeit und einem Rückfall auf die Stufe des Tierischen [...], einer verkehrten Körperlichkeit [...] und der schwarzen Hautfarbe" [Oster 2012: 126] realisiert<ref>Hier sei am Rande vermerkt, dass der ''Wiener Genesis'' die hässlichen Nachfahren der Adamstöchter eine "Verkörperung des Schuldhaften, Sündigen" [Oster 2012: 126] sind, die durch ihre [[Race Konzepte im Parzival|dunkle Hautfarbe]] besonders hässlich sind.</ref>. Die Tatsache, dass Cundrîe bei ihrem ersten Auftreten verhüllt ist, bestärkt diese These auch innerhalb des ''Parzival''. Die potentielle Reaktion verhindert ihr unverhülltest Auftreten, weil ihre Hässlichkeit für die Figuren ein Indiz ihrer Rolle und ihrer vermeintlichen inneren Hässlichkeit sein könnte.
 
 


[[Jungfräulichkeit im Parzival]]
Die Forschung<ref>siehe [Böhland 2001], [Oster 2012], [Salama 2014].</ref> geht zumeist davon aus, dass Cundrîe eine Figur ist, bei der äußere Hässlichkeit und innerliche Schönheit in keinem Widerspruch zueinander stehen. Jedoch wird dabei nicht bedacht, welche Wirkung eine derartige Beschreibung einer relativ unbeliebten - immerhin verurteilt Cundrîe Parzival - Figur auf das Publikum hat. Wird dem Rezipienten außerdem noch ein Ursprungsmythos, der auf Sündhaftigkeit basiert, dargelegt, so kann doch nur ein negativ Eindruck erweckt werden.
=== Cundrîe und Malcrêatiure ===
Die Verbindung Bosheit und [[Darstellung von Verwandtschaft in Wolframs Parzival|Verwandtschaft]] bzw. Genealogie wird im Parzival insbesondere durch die Erläuterung<ref>Auf diese Stelle wurde ich von [[Benutzer:AnMar|AnMar]] hingewiesen.</ref> der Geschwister Cundrîe und [[Schönheit und Hässlichkeit (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Malcrêatiure]] gestärkt. Diese beiden Figuren sind die einzigen Hässlichen des ''Parzival''. Während Cundrîe als Unheilsbringerin dient, ist Malcrêatiure - dessen Name sich aus dem Französischen mit "schlechtem Geschöpf" übersetzen lässt - nur ein Hindernis zur Überwindung Gâwâns. Die beiden Figuren befinden sich außerhalb der genealogischen Ordnung des ''Parzival'' - sie sind in gewisser Weise ausgestoßen aus der höfischen Welt. Dies befähigt zwar einerseits [[Cundrîe - Figur des Wendepunktes|Cundrîe zur Grenzüberschreitung]], isoliert sie aber auch andererseits umso mehr durch die Unfähigkeit (für sie) ''minne'' zu empfinden.
 
Obwohl Cundrîe und Malcrêatiure durch den Text nicht explizit negativ dargestellt werden, muss bedacht werden, dass beide tierische Attribute besitzen. In der höfischen Literatur werden laut Oster Tiermerkmale als "Zeichen des Teuflischen und Dämonischen, [...] Metaphern des Hässlichen, [d]ie [...] wie bei den wilden Männern und Frauen auf tierische Charakter- und Verhaltenszüge [hindeuten]" [Oster 2012: 129 f.], benutzt. Insbesondere die Eberzähne können unter anderem auf Aggressivität und sexuelle Begierde hinweisen. Hier ist zu beachten, dass zwar der Text die beiden Figuren nicht notwendigerweise negativ auffasst, aber das implizite Publikum hat ein Verständnis für die Bedeutungen einer hässlichen Figur, die dazu noch mit tierischen Merkmalen ausgestattet sind, die Assoziationen der [[Fremdheit und Identität im Parzival|Fremdheit]] und der [[Das wilde-Motiv im Parzival|Wildnis]] hervorrufen. Dieser Zusammenhang der Hässlichkeit und dem "Adamstöchtermythos" wird nicht nur im ''Parzival'' thematisiert, sondern auch in der ''Wiener Genesis''<ref>siehe: Smits, Kathryn: Die frühmittelhochdeutsche Wiener Genesis. Kritische Ausgabe mit einem einleitenden Kommentar zur Überlieferung, Berlin 1972.</ref>. Es ist also davon auszugehen, das dies ein historischer Konsens für das Publikum war. Oster zufolge wird das Hässliche in "der Tierähnlichkeit und einem Rückfall auf die Stufe des Tierischen [...], einer verkehrten Körperlichkeit [...] und der schwarzen Hautfarbe" [Oster 2012: 126] realisiert.


== Fazit ==
== Fazit ==
Im ''Parzival'' besteht eine dichte Verknüpfung der Elemente des Bösen, der Reinheit bzw. Jungfräulichkeit, der Schuld und der Genealogie. Wolfram von Eschenbach macht eine Farbendichotomie auf, die auf der Zuordnung der Helligkeit zu Gott und der Dunkelheit zum Teufel, beruht. Die Zu- oder Abwendung vom Bösen wird als Wahl dargestellt, die anscheinend nur für die Männer gilt. Dies ist im Zusammenhang mit der Entstehung hässlicher Geschöpfe durch die Sündhaftigkeit der weiblichen Gier ein Ursprungsmythos, der in der mittelhochdeutschen Literatur weit verbreitet ist. Auch wenn er differenzierter mit diesen Themen umgeht, kommt es nicht zu einer Subversion oder gar Auflösung dieser Kategorie, sondern insbesondere bei Cundrîe wird eine negative Darstellung offenbar.


= Anmerkungen =
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= Literaturverzeichnis =
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[*Oster 2012] Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristantromanen. Berlin: De Gruyter 2014.
[*Böhland 2001] Böhland, Dorothea: Integrative Funktion durch exotische Distanz. Zur Cundrie-Figur in Wolframs ''Parzival''. in: Kartschoke, Erika; Gaebel, Ulrike: Böse Frauen - Gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Trier 2001.
 
[*Oster 2012] Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen. Berlin: 2014.
 
[*Salama 2014] Salama, Dina Aboul Fotouh: Formen und Funktionen orientalischer Körper im ''Parzival'' Wolframs von Eschenbachs. in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 1, Berlin 2014.




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[[Kategorie: Ästhetik]]
[[Kategorie: Ästhetik]]
[[Kategorie: Anthropologie]]
[[Kategorie: Anthropologie]]
[[Kategorie:Artikel]]

Aktuelle Version vom 23. April 2024, 10:13 Uhr

Der folgende Artikel versucht die Konzeption des Bösen im Parzival [1] zu erläutern. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Vermittlung des Bösen durch den Erzähler eingegangen. Daran anschließend wird untersucht, inwiefern Reinheit und Gutartigkeit miteinander in Verbindung stehen und inwieweit Äußerlichkeit eine boshafte Perzeption beeinflusst. Das Böse ist eng angebunden an die Religion und hier insbesondere verknüpft mit dem Heidentum. Exemplarisch wird die Darstellung der beiden hässlichen Figuren Cundrîe und Malcrêatiure untersucht.

Hässlichkeit und Bosheit im höfischen Roman

Der Begriff Kalokagathie beschreibt "die Entsprechung von äußerer Erscheinung und innerem Wert" [Salama 2014: 5,]diese gegenseitige Abhängigkeit von Hässlichkeit und Bosheit variiert in der mittelhochdeutschen Literatur stark. Oster definiert das Selbstverständnis im Mittelalter "als Spiegelfläche des Inneren, als materielles Abbild der spirituellen Verfasstheit des Menschen" [Oster 2012: 30]. Durch "diese Spannung zwischen Ich und gesellschaftlichen Konventionen, die Diskussion der höfischen Identität, [wird] die Zugehörigkeit zur höfischen Sphäre oder eben auch die Ausgliederung aus derselbigen nicht zuletzt am Körper der erzählten Figur sichtbar gemacht" [Oster 2012: 30]. Äußerlichkeit kann als nicht nur die Religion und Stand einer Figur widerspiegeln, sondern auch die Exklusion aus der Gesellschaft darstellen, wie dies beispielsweise im Iwein[2] geschieht, nachdem Iwein das Versprechen seiner Frau gegenüber bricht und wahnsinnig wird. Seine Nacktheit und sein schmutziger Leib rufen Assoziationen der Wildheit hervor und spiegeln seine eigene Ausgrenzung aus der Gesellschaft wieder. Die offensichtliche Ähnlichkeit zur Darstellung fremder und teilweise auch schwarzer Figuren wird deutlicher, wenn man bedenkt, dass der Ursprungsmythos des Hässlichen, der im Parzival dargelegt wird, auch in anderen literarischen Texten auftaucht. Jedoch muss auch beachtet werden, dass sich der Zusammenhang von Hässlichkeit und Bosheit im späten Mittelalter immer weiter lockerte, so dass Schönheit nicht immer notwendigerweise auf eine tugendhafte Figur verwies, sondern auch der Täuschung dienen konnte [Oster 2012].

Vermittlung des Bösen

Bereits zu Beginn der Erzählung wird eine Verknüpfung der Dichotomie Gut und Böse mit Farben hergestellt: der unstaete geselle hât die swarzen varwe gar(1,10 f.: Der Treuelose hat die schwarze Farbe ganz)[3], während sich die mit staeten gedanken (1,14: mit steten Gedanken) an die blanken (1,13: die Weißen) halten. Diese Dichotomisierung hat auch eine Auswirkung auf die race-Konzeptionen im Parzival. In diesem Zusammenhang ist insbesondere Feirefiz interessant, der immer wieder als Elster aufgrund seiner fleckigen Haut beschrieben wird. Denn der Erzähler vergleicht auch die Vereinigung von Gutem und Bösem (hier: Himmel und Hölle) als agelstern varwe (1,6: Elsternfarben) niederschlägt.

Parzivals Erziehung durchgeht mehrere Phasen, in denen er unter anderem auch verschiedene und spezifischere Konzeptionen von gut und böse erfährt und teilweise auch internalisiert. Die Erziehung seiner Mutter Herzeloyde liefert ihm eine Erklärung des Guten anhand der Gegenüberstellung von Gott und Teufel, mit der sie Parzival eine Antwort auf seine Frage: waz ist got? (119,17: Was ist Gott?) gibt. Gott – noch liehter denne der tac (119,19: noch heller als die Sonne)- soll Parzival sich in der Not zuwenden, denn seine triwe der werlde ie helfe bôt (119,24: Treue bot der Welt stets Hilfe ). Im Gegensatz dazu steht nun der Teufel, der helle wirt (119,25: Herr der Hölle), der swarz (119,26) ist und untriwe […] niht verbirt (119,26: Untreue nicht unterbindet). Auch Herzeloyde greift hierbei auf eine Farbendichotomie zurück, die das Gute mit Helligkeit und das Böse mit Dunkelheit und Schwärze verbindet. Außerdem gibt sie noch einen Rat im Bezug auf den Teufel auf den Weg:

mittelhochdeutsch __________ Übersetzung
von dem kêr dîne gedanke, __________ Von ihm wende dich gedanklich ab
und och von zwîvels wanke. __________ und auch von der Unentschiedenheit des Zweifels. __________ (119,27-28)

Im Zuge der Erzählung wird deutlich werden, dass Parzival diese Dichotomie nicht nur verinnerlicht hat, sondern auch lebt. Auch die Belehrung seiner Mutter nimmt sich Parzival zu Herzen:


mittelhochdeutsch __________ Übersetzung
'waz hân ich vernomn? __________ "Was habe ich vernommen?
wan wolt et nu der tiuvel komn __________ Wenn der Teufel kommen würde,
mit grimme zorneclîche! __________ mit grimmigem Zorn,
den bestüende ich sicherlîche. __________ den würde ich sicherlich überstehen. __________ (120,17 ff.)

Er überträgt das Gelehrte alsbald in die Realität um: Hufgetrappel ist für ihn ein Merkmal des Teufels; einen der Ritter hält er aufgrund dessen Schönheit für Gott. Diesen Fehler begeht Parzival jedoch nicht nur einmal, sondern gleich darauf erneut:

mittelhochdeutsch __________ Übersetzung
ez waere got, als im verjach __________ Es wäre Gott, wie es ihm
frou Herzeloyd diu künegîn, __________ Frau Herzeloyde, die Königin, beibrachte,
do sim underschiet den leihten schîn. __________ als sie ihm den hellen Schein unterschied. __________ (122,21 ff.)


Dies ist nur nur ein weiteres Beispiel, wie sich Parzivals tumpheit in seinem Handeln niederschlägt. Doch Parzival entwickelt sich weiter, sobald er am eigenen Leib erfährt, was es heißt, selbst böses zu tun (vgl. 316). Im Laufe seiner Entwicklung zeigt er Reue und büßt für seine Tat. Trevrizent zufolge ist dies auch der richtige Weg, um sich Vergebung vor Gott zu verdienen:

mittelhochdeutsch __________ Übersetzung
'welt ir im riwe künden, __________ Wollt Ihr ihm Reue verkünden,
er scheidet iuch von sünden.' __________ trennt er euch von den Sünden. __________ (448,25 f.)

Die Zuwendung zum Bösen wird nicht als freie Entscheidung gewertet. In diesem Zusammenhang ist auch die Erlösung von der Bosheit eine externe Hilfe, die von Gott erstattet wird (vgl. 448, 25). In gewisser Weise kann man davon sprechen, dass Trevrizent, der versucht durch seine Keuschheit (452, 27 ff.) den Teufel abzuwehren, eine Prävention betreibt. Auch wenn Jesu Tod als Pfand für die Sündhaftigkeit der Menschen gilt, kann doch nicht alle Schuld vergeben werden, so dass Gott die unkiuschen [...] dinne liez (465, 25 - 30: die unkeuschen drinnen ließ). Auch an dieser Stelle wird die Verknüpfung von Reinheit und Gutartigkeit verstärkt.

Ursprung des Bösen

Trevrizent ist es, der auf Parzivals Verfehlungen hinweist. Doch er erklärt nicht nur, wie sich Parzival rehabilitieren kann, sondern Trevrizent führt ihn auch in die Entstehung des Bösen ein. Er stellt eine direkte Verbindung zwischen Evas Sünde, die dazu führte, dass sie und Adam aus dem Garten Eden verstoßen wurden und Kains Sünde, die durch den Mord an seinem Bruder den nît in die Welt brachte, her. Während Kain von gîteclîche[m] ruom (463, 25: Gier nach Ruhm) bestimmt wird und Eva ir schepfaere überhôrte unt unser freude stôrte (263, 21 f.: ihren Schöpfer überhörte und unser Glück störte), entspricht Adam, der engezwîvelt nie sîn wille (519, 1: nie seinen Willen angezweifelt hat), dem im Prolog entworfenen Muster des guten Menschen. Später greift der Erzähler erneut auf diese Diskrepanz zurück, indem er darauf verweist, dass die sippe […]sünde müezen tragen (465, 6: [die] Verwandtschaft Sünde tragen müsse). Diese Aussage erklärt auch Trevrizents Keuschheitsgelübde, mit dem er nicht nur dem Bösen widersteht, sondern zudem für seinen Bruder sühnt. Auch die Erklärung des "Adamstöchtermythos" verstärkt die Verantwortung der sippe für die Taten und baut eine Analogie der Monstrosität auf, die Verständnis für die Enstehung für mennesch wunderlîch (519, 22: seltsame Menschen) fordern. Es werden jedoch nicht nur Assoziationen der Monstrosität hervorgerufen, sondern Adam spricht davon, dass sie kein Teil von Gottes Plan waren:

mittelhochdeutsch __________ Übersetzung
'anders denne got uns maz, __________ Anders als Gott uns haben wollte,
dô er ze werke über mich gesaz __________ als er dabei war mich zu gestalten.

__________ (518, 21 f,)

Auch wenn hier ein genealogischer Zusammenhang dieser Monster mit der Christlichkeit geschaffen wird, werden sie dennoch aus der christlichen Ordnung verstoßen. Es ist bemerkenswert, dass der ursprüngliche Auslöser für den jeweiligen Verstoß jeweils eine Frau ist. Zuerst ist es Eva, die Adams und ihren eigenen Verstoß aus dem Paradies verursacht, dann sind es die Frauen, die trotz Adams Rat auf ir herzen gir (518, 28: der Gier ihrer Herzen) hören. Knüpft man dieser Erzählungen noch an die weiblichen Normierungsmuster der Jungfräulichkeit, so wird offensichtlich, dass für Frauen nicht nur andere Sexualitätsvorgaben gelten, sondern auch striktere Schuldzuweisungen.

Cundrîe und Malcrêatiure

Die Verbindung Bosheit und Verwandtschaft bzw. Genealogie wird im Parzival insbesondere durch die Erläuterung[4] der Geschwister Cundrîe und Malcrêatiure gestärkt. Diese beiden Figuren sind die einzigen Hässlichen des Parzival. Während Cundrîe als Unheilsbringerin dient, ist Malcrêatiure - dessen Name sich aus dem Französischen mit "schlechtem Geschöpf" übersetzen lässt - nur ein Hindernis zur Überwindung Gâwâns.

Die beiden Figuren befinden sich außerhalb der genealogischen Ordnung des Parzival - sie sind in gewisser Weise ausgestoßen aus der höfischen Welt. Dies befähigt zwar einerseits Cundrîe zur Grenzüberschreitung - zur "Mobilität" [Böhland 2001: 51] -, isoliert sie aber auch andererseits umso mehr durch die Unfähigkeit (für sie) minne zu empfinden. Hier beachte man die Diskrepanz zwischen Sigune, die nicht mehr zur minne fähig sein will, deswegen ihrer Schönheit verliert, und Cundrîe, der bewusst ist, dass die Gesellschaft nicht will, dass sie minne erlebt. Während Sigune für ihr keusches Leben vererht wird, wird Cundrîe zur komischen Figur, deren Hässlichkeit stets hervorgehoben und durch welche sie unter anderem aus der Gesellschaft ausgestoßen wird. Böhland weist darauf hin, dass Cundrîe hier "ein zentrales Aktionsfeld weiblicher Existenz am Hof" [Böhland 2001: 52] genommen wird, ist Malcrêatiure gleichzeitig "in den Kampf eingebunden" [Böhland 2001: 52]. Hier zeigt sich die unterschiedliche Wertung der weiblichen und männlichen Hässlichkeit: Bei Cundrîe führt sie zur Abwertung, während Malcrêatiure weiterhin ein angemessener Gegner ist.

Obwohl Cundrîe und Malcrêatiure durch den Text nicht explizit negativ dargestellt werden, muss bedacht werden, dass beide tierische Attribute besitzen. In der höfischen Literatur werden laut Oster Tiermerkmale als "Zeichen des Teuflischen und Dämonischen, [...] Metaphern des Hässlichen, [d]ie [...] wie bei den wilden Männern und Frauen auf tierische Charakter- und Verhaltenszüge [hindeuten]" [Oster 2012: 129 f.], benutzt. Insbesondere die Eberzähne können unter anderem auf Aggressivität und übermäßge sexuelle Begierde hinweisen. Hier ist zu beachten, dass zwar der Text die beiden Figuren nicht notwendigerweise negativ auffasst, aber das implizite Publikum hat ein Verständnis für die Bedeutungen einer hässlichen Figur, die dazu noch mit tierischen Merkmalen ausgestattet sind, die Assoziationen der Fremdheit und der Wildnis hervorrufen. Dieser Zusammenhang der Hässlichkeit und dem "Adamstöchtermythos" wird nicht nur im Parzival thematisiert, sondern auch in der Wiener Genesis[5]. Es ist also davon auszugehen, das dies ein historischer Konsens für das Publikum war. Oster zufolge wird das Hässliche in "der Tierähnlichkeit und einem Rückfall auf die Stufe des Tierischen [...], einer verkehrten Körperlichkeit [...] und der schwarzen Hautfarbe" [Oster 2012: 126] realisiert[6]. Die Tatsache, dass Cundrîe bei ihrem ersten Auftreten verhüllt ist, bestärkt diese These auch innerhalb des Parzival. Die potentielle Reaktion verhindert ihr unverhülltest Auftreten, weil ihre Hässlichkeit für die Figuren ein Indiz ihrer Rolle und ihrer vermeintlichen inneren Hässlichkeit sein könnte.

Die Forschung[7] geht zumeist davon aus, dass Cundrîe eine Figur ist, bei der äußere Hässlichkeit und innerliche Schönheit in keinem Widerspruch zueinander stehen. Jedoch wird dabei nicht bedacht, welche Wirkung eine derartige Beschreibung einer relativ unbeliebten - immerhin verurteilt Cundrîe Parzival - Figur auf das Publikum hat. Wird dem Rezipienten außerdem noch ein Ursprungsmythos, der auf Sündhaftigkeit basiert, dargelegt, so kann doch nur ein negativ Eindruck erweckt werden.

Fazit

Im Parzival besteht eine dichte Verknüpfung der Elemente des Bösen, der Reinheit bzw. Jungfräulichkeit, der Schuld und der Genealogie. Wolfram von Eschenbach macht eine Farbendichotomie auf, die auf der Zuordnung der Helligkeit zu Gott und der Dunkelheit zum Teufel, beruht. Die Zu- oder Abwendung vom Bösen wird als Wahl dargestellt, die anscheinend nur für die Männer gilt. Dies ist im Zusammenhang mit der Entstehung hässlicher Geschöpfe durch die Sündhaftigkeit der weiblichen Gier ein Ursprungsmythos, der in der mittelhochdeutschen Literatur weit verbreitet ist. Auch wenn er differenzierter mit diesen Themen umgeht, kommt es nicht zu einer Subversion oder gar Auflösung dieser Kategorie, sondern insbesondere bei Cundrîe wird eine negative Darstellung offenbar.

Anmerkungen

  1. Es wird unter Angabe von Strophen und Verszahl zitiert nach: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
  2. Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutscher Text mit Übersetzung von Rüdiger Krohn. Kommentiert von Mireille Schnyder, Stuttgart 2012.
  3. Die folgenden Übersetzungen stammen vom Autor des Artikels.
  4. Auf diese Stelle wurde ich von AnMar hingewiesen.
  5. siehe: Smits, Kathryn: Die frühmittelhochdeutsche Wiener Genesis. Kritische Ausgabe mit einem einleitenden Kommentar zur Überlieferung, Berlin 1972.
  6. Hier sei am Rande vermerkt, dass der Wiener Genesis die hässlichen Nachfahren der Adamstöchter eine "Verkörperung des Schuldhaften, Sündigen" [Oster 2012: 126] sind, die durch ihre dunkle Hautfarbe besonders hässlich sind.
  7. siehe [Böhland 2001], [Oster 2012], [Salama 2014].

Literaturverzeichnis

[*Böhland 2001] Böhland, Dorothea: Integrative Funktion durch exotische Distanz. Zur Cundrie-Figur in Wolframs Parzival. in: Kartschoke, Erika; Gaebel, Ulrike: Böse Frauen - Gute Frauen. Darstellungskonventionen in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Trier 2001.

[*Oster 2012] Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen. Berlin: 2014.

[*Salama 2014] Salama, Dina Aboul Fotouh: Formen und Funktionen orientalischer Körper im Parzival Wolframs von Eschenbachs. in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 1, Berlin 2014.