Parzival und Feirefiz
Dieser Artikel thematisiert die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Halbbrüder Parzival und Feirefiz. [1]
Schwerpunkte sind die Familienkonstellation, die Charakterzüge der beiden Männer, deren äußeres Erscheinungsbild sowie das Leben vor und nach dem ersten Aufeinandertreffen. Bisher existiert noch kein Artikel mit elementaren Vergleichen auf den beschriebenen Ebenen. Deswegen sollen die aufgelisteten Aspekte zum einen skizziert, interpretiert und gleichzeitig kritisch hinterfragt werden. Inwiefern ähneln sich die beiden Männer überhaupt und in welchen Gesichtspunkten unterscheiden sie sich voneinander?
Erste Begegnung
Parzival und Feirefiz treffen das erste Mal in einem Wald aufeinander. Allerdings wissen zu diesem Zeitpunkt weder Parzival noch Feirefiz, dass sich der jeweils andere in der Rittermontur gegenüber verbirgt. So kommt es zu einem Kampf zwischen den beiden Männern. Da beide sehr gut im Tjostieren sind, kann zuerst kein Sieger ermittelt werden und der Kampf verlagert sich vom Pferd herunter auf den Boden. Dort kämpfen sie mit ihren Schwertern gegeneinander. Die Schläge des Heiden, Feirefiz treffen Parzival mit einer starken Wucht. Erstgenannter schöpft Kraft aus der Liebe zu Secundille und aus der Magie der Steine seiner Rüstung, die ihn mit neuer Energie versorgen. Dem gegenüber schöpft Parzival Kraft aus seiner Liebe zur Königin und nach einer intensiven Auseinandersetzung auf Augenhöhe entscheidet die Hand Gottes über das Ende des Kampfes. Das Schwert von Parzival zerspringt, woraufhin Feirefiz sich dazu entschließt das Schwert von seinem Halbbruder abzuwenden. Der Heide achtet die Kampfkünste von Parzival mit Respekt und fragt diesen nach seinem Namen und seiner Herkunft. Parzival verweigert eine Antwort und daraufhin erzählt der Heide wer er ist. Er stellt sich Parzival als Feirefiz von Anschevîn vor. Parzival erwidert, dass auch er ein Anschevîn ist und er angeblich einen Bruder aus dem Heidenland haben soll. Er bittet Feirefiz seinen Helm abzunehmen, damit er ihn erkennen kann. Bevor die Männer jedoch ihre Helme abziehen, wirft Feirefiz sein Schwert in die Wildnis, um zu verdeutlichen, dass sich beide Männer ebenbürtig gegenüber stehen. Auf die Frage von Feirefiz, woran Parzival seinen Bruder erkennen würde, antwortet dieser: „ Wie ein beschriebenes Stück Pergament, schwarz und weiß durcheinander" (747, 26-27) [2]. Feirefiz bestätigt, dass er dieser ist und sie begrüßen sich mit einem Kuss. Harms thematisiert die Erzählweise vom ersten Aufeinandertreffen von Parzival und Feirefiz. Die Begegnung der Männer erfolgt – der Motivierung der augenblicklichen Handlung nach – ganz auffällig. Eschenbach klagt, dass die Erde doch so weit sei und trotzdem diese beiden Ritter einander begegnen müssen (737, 22f.). Zu Beginn denkt der Leser es scheint Zufall zu sein, erhält jedoch als Zeichen in der Dichtung, desto eindringlicher den Charakter einer von nichts Äußerem abhängigen Notwendigkeit. Harms schreibt ebenfalls, dass in der Darstellung des Kampfes immer mehr Hinweise eingeflochten sind, die erahnen lassen, dass die beiden Kämpfenden, Brüder sind. [Harms 1963: 164] Außerdem liegt dem Kampf etwas Gemeinsames, Verbindendes zugrunde, was von den Akteuren erst erkannt werden muss. Der Zweikampf dieser beiden Männer wird nach Harms ausführlicher als andere Zweikämpfe im Parzival dargestellt und zusätzlich mit vielen Zeichen der Anteilnahme des Dichters beschrieben. Eschenbach hat eine spezielle Art und Weise seine Geschichte mitzuteilen. Es gibt überraschende Wendungen und Inhalte, die zusammengeführt werden oder gar widersprüchlich sind. Der Erzähler beurteilt auch immer wieder selbst Szenen. So hebt er zum Beispiel vor Kampfbeginn die Sinnlosigkeit dessen hervor (737, 24). Erst später wird dem Leser eventuell bewusst, dass Eschenbach wahrscheinlich den Kampf als sinnlos bezeichnet, weil es sich bei den Kämpfenden um Verwandte handelt. Deswegen können diese Äußerungen keineswegs als autobiografische Bezeugung Eschenbachs gewertet werden. [Harms 1963: 165]
(752, 6-10) | |
will ich der wârheit grîfen zuo | Wenn ich die Wahrheit fassen will, |
beidiu mîn vater unde ouch duo | so muss ich sagen, dass wir zusammen, mein Vater und du |
und ich, wir wâren gar al ein | und ich, ein und dasselbe Wesen waren, |
doch ez an drîen stücken schein. | bloß in der Erscheinung drei. |
In dieser Textstelle sagt Feirefiz, dass Parzival, ihr gemeinsamer Vater und er das gleiche Wesen sind bzw. waren. Sie erscheinen nur in drei Gestalten. Jene Aussage von Feirefiz folgt kurz nach ihrer Feststellung, dass sie Halbbrüder sind. Als Ausgangspunkt soll die Bemerkung von Feirefiz dienen, um einen Vergleich zwischen den beiden Halbbrüdern zu ziehen. Die Textstelle lässt vermuten, dass es einige unbekannte Prallelen und mit Sicherheit auch Unterschiede zwischen den beiden Männern geben wird.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Halbbrüder
Lebensweg vor der ersten Begegnung
Vor der ersten Begegnung ziehen beide Ritter rastlos durch die Länder. Feirefiz betreibt einen großen Aufwand mit einem riesigen Heer, um seinem Vater Gahmuret zu finden (750,28-30). Hingegen ist Parzival auf der ziellosen Suche nach dem Gral. Gemeinsam haben die Männer, dass sie eine Aufgabe haben und aus diesem Grund unterwegs sind. Beide verfolgen die gesteckten Ziele beharrlich, mit dem Unterschied, dass Parzival alleine unterwegs ist und Feirefiz mit seinem Heer (753, 2-24). Der Minne sind beide Männer verschrieben. Parzival, die der Frau Condwiramurs und Feirefiz trägt Secundilles Minne in bzw. mit sich. Die geographischen Lebensräume der Halbgeschwister unterscheiden sich ebenso, denn der Heide lebt vor dem ersten Aufeinandertreffen überwiegend im Orient.
Äußeres Erscheinungsbild
Feirefiz wird als ein gewaltiger Herr beschrieben, der starke Muskeln hat. Seine Rüstung ist wohlhabend und sein Waffenrock besteht aus einem edlen Stoff, der mit hochwertigen Steinen besetzt ist (735, 17-30). Auf dem Helm trägt er ein totes Ecidemôn, das ihn vor giftigen Würmern beschützt. Sein Pferd ist mit dem seltenen und kostbaren Brokatstoff ausgestattet (736, 10). Parzival wird als ein gut aussehender Mann beschrieben, der eine Rüstung sowie Speer und Schild bei sich trägt (733, 24-28). Nach seiner Geburt beschreibt ihn Eschenbach als einen Mann mit rechten Gliedern (112, 27). Die Schilderung zeigt, dass Parzival sich damals deutlich von anderen Säuglingen unterscheidet. Im Gegensatz zu Feirefiz seiner kostbaren Ausrüstung ist Parzival beim Verlassen von Soltane ausschließlich mit einem Narrengewand und einem Paar rauen Stiefeln aus Kälberhaut ausgestattet (127, 4-11). [3] Äußerlich unterscheiden sich die beiden Brüder in ihrer Hautfarbe. Parzival ist ein heller Hauttyp und sein Halbbruder wird von Eschenbach als gescheckt beschrieben. Dies lässt sich auf den Umstand begründen, dass die Mutter von Feirefiz aus dem Orient stammt und dunkelhäutig ist. Auffällig ist bei dem äußeren Vergleichsaspekt, dass Parzival bezogen auf sein rein körperliches Erscheinungsbild immer wieder als sehr hübsch beschrieben wird. Bei seinem Halbbruder bezieht sich die Beschreibung Eschenbachs überwiegend auf die prachtvolle Ausrüstung bzw. Kleidung. Eine Gemeinsamkeit ist, dass die beiden Halbbrüder alleine durch ihr äußeres Erscheinungsbild eine große, positive Aufmerksamkeit erlangen. Feirefiz vorrangig durch seine außergewöhnliche und kostspielige Kleidung und Parzival durch seine Gestalt.
Charakterzüge
Ein grundlegender Unterschied zwischen den Halbgeschwistern ist zu Beginn die Glaubenszugehörigkeit, denn Feirefiz ist eine Heide und Parzival ist christlichen Glaubens. Eine charakterliche Ungleichheit ist, dass Feirefiz eine größere Tugendhaftigkeit und Courtoisie hat als sein Halbbruder. Diese Eigenschaften treten nach deren Kampf deutlich zum Vorschein: Feirefiz lobt Parzival für dessen außerordentliche Kampfkünste und behandelt ihn als einen ehrwürdigen, christlichen und höfischen Ritter. [Harms 1963: 166] Bei der ersten Begegnung verhält sich Feirefiz im Vergleich zu Parzival intelligenter, umsichtiger und reifer. Beispielhafte Situationen sind für Czerwinski, dass Feirefiz zuerst seinen Namen nennt (745, 26 f) und ebenfalls als Erster seinen Helm abnimmt, obwohl Parzival seine Abnahme zuvor verweigert hat. [Czerwinski 1989: 155] Ein weiteres Indiz für diese Behauptung ist, dass die weniger aggressive und geduldige Gesprächsführung von Feirefiz dazu beiträgt, dass sich die Halbbrüder nach anfänglichem Kampf auf eine friedliche Art und Weise kennenlernen und dadurch eine Freundschaft schließen können. [Sproedt 1964: 121] Im Gegensatz zu Feirefiz weist Parzival keine große Courtoise wie sein Halbbruder auf. Darüber hinaus stellt er spät fest, dass es sich bei seinem Gegenüber, um seinen Halbbruder handelt und dass das Eingreifen Gottes ihn von einem weiteren Verwandtschaftsmord abgehalten hat. [Harms 1963: 167] Immer wieder weiß Parzival nicht sich gegenüber seinen Verwandten richtig zu benehmen. Während Gawan, Ither und Artus in Parzival bereits den Sippenkörper erkennen, benötigt Parzival immer einen weiteren Hinweis, um seine Verwandte als diese zu identifizieren. Selbst als Feirefiz sich mit dem selben Nachnamen vorstellt, glaubt Parzival das Verwandtschaftsverhältnis noch immer nicht. Erst der Umstand, dass Feirefiz den Helm abzieht und damit Parzival ins Bewusstsein ruft, dass er einen gescheckten Halbbruder aus dem Morgenland hat, glaubt er seinem Halbbruder. Czerwinski bezeichnet dieses geschilderte Verhalten Parzivals als unbeirrt, misstrauisch, gewalttätig und unhöfisch zu. [Czerwinski 1989: 155] Dabei bezieht sich Czerwinski explizit auf das Geschehen nach dem Kampf (745, 27-751,30). Das Verhalten ist ein weiterer Indikator für Parzivals tumpheit im Umgang mit seinen Verwandten. Cundrie beschreibt Feirefiz als ein Minneritter ruhmreicher Taten (317, 3-10) und zusätzlich stellt sie Feirefiz vor Parzival als Held dar, der seinen Halbbruder an Ehre und Fehlerlosigkeit übertrifft. Im Gegensatz zu Cundrie sagt Ebuca, dass auch Parzival Ehren- und Tugendhaftigkeit besitzt. [Müller 2008: 170] Verglichen mit Parzival nimmt es Feirefiz nicht allzu ernst mit der Treue gegenüber Secundille. Feirefiz konvertiert überwiegend aufgrund seiner Minne zu Respanse de Schoye vom Heidentum zum Christentum. Dass er durch den Religionswechsel endlich den Gral sehen kann, spielt eine nebensächliche Rolle. Im Gegensatz zu seinem Halbbruder konvertiert Parzival nicht zu einer anderen Glaubenszugehörigkeit. Allerdings gibt es während Parzival seiner Gralssuche einen bestimmten Zeitraum, in dem er sich von Gott lossagt (Parzivals Glaubensverlauf).
Gemeinsam haben die Halbgeschwister, dass sie beide vorzügliche Minneritter sind und in ihrem Kampf immer wieder neue Kräfte durch den Gedanken an ihre Frauen und der Minne zu ihnen erhalten. Beide Männer sind deutlich von der Minne beeinflusst: Wolfgang Harms schreibt, dass die beiden Männer in einer engen Verbindung mit der Minne, die Wunderkraft von Steinen erfahren. Feirefiz durch die Edelsteine von Secundille (741,6 ff.) und Parzival durch den Gral (737, 23). [Harms 1963: 165] Gemeinsam haben die Halbbrüder ebenfalls, dass sie sich einen Ruf als kampfstarke Ritter gemacht haben.
(737, 19-21) | |
Hie wellnt ein ander vâren | Hier wollen zwei einander an die Kehlen, |
die mit kiusche Lemberg wâren | die so keusch wie Lämmer waren |
und lewen an der vrecheit. | und doch auch wahre Löwen an Wildheit. |
Sie werden von Eschenbach auf der einen Seite als keusch wie Lämmer und doch auch wild wie Löwen [4] beschrieben. Die wilde und kraftvolle Seite des Löwen verkörpern beide Männer immer wieder in ihren zahlreichen Kämpfen als Ritter. Die ruhigere Seite des Lamms taucht in unzähligen sozialen Interaktionen, beispielsweise in Gesprächen mit ihren Mitmenschen auf. Bei ihrem Aufeinandertreffen im Wald sind die beiden alleine unterwegs und auf der Suche nach einem Kampf und auf der Suche Ehre (737, 13). Dieses Verhalten zeugt von großem Mut und Selbstvertrauen der beiden Männer. Gegen Ende vereint die Seele der Halbbrüder auch noch den christlichen Glauben.
Familie
Bei Wolfram von Eschenbach spielen die Verschwandtschaftsmotive eine bedeutsame Rolle. Die meisten Figuren, die in der Dichtung vorkommen, sind miteinander verwandt, so sind es auch die Akteure Feirefiz und Parzival. Ihr Vater ist Gahmuret und somit stammen sie beide von Mazadan ab.
Nach der Auffassung des mittelalterlichen Rechtsverständnisses liefen die legitime Herrschaft und genealogische Kontinuität über die männliche Verwandtschaft. Die Familientraditionen setzen sich vom Vater über den Sohn fort. Jedoch ist die geschilderte Grundlinie im Werk Parzival meistens gestört. Die Abweichungen von der besagten Grundlinie treffen ebenfalls auf die Halbgeschwister zu. Beide lernen ihren leiblichen Vater nicht kennen und hinzu kommt, dass Parzival auch nicht die Herrschaft der vom Vater geerbten Länder antritt. [Bumke 1991: 140] Die chronologische Familienabfolge [5] besagt, dass Feirefiz Gahmurets erst geborener Sohn ist und diesen bekommt er mit seiner damaligen Frau Belacane, die aus dem Orient stammt. Parzival wird von Gahmurets zweiter Frau Herzeloyde geboren. Gegen Ende des Epos sind durch Feirefiz seine Heirat beide Männer vermählt. Parzival mit Condwiramurs und Feirefiz heiratet die Gralsträgerin Repanse de Schoye. Im Gegensatz zu Feirefiz hat Parzival mit seiner Frau zwei Söhne. Unterschiedlich sind die Gründe der beiden Halbgeschwister, weshalb sie ohne ihren Vater aufwachsen. Feirefiz und seine Mutter Belacane werden von Gahmuret verlassen, weil er zum einen nach neuen Abenteuern strebt und zum anderen, weil Belacane nicht christlichen Glaubens ist. Herzeloyde und Parzival verlieren Gahmuret, weil dieser im Kampf gegen Ipomidôn stirbt. Gemeinsam haben die Männer wiederum, dass sie ihren Vater bei einer Tjost verloren haben.
Lebensweg nach der ersten Begegnung
Nach der ersten Begegnung reiten die Halbbrüder gemeinsam zurück ins Lager nach Joflanze. Dort werden sie bereits erwartet und es erfolgt ein großes Fest Feirefiz zu Ehren. Die Halbgeschwister sind die ganze Zeit beieinander. Am Tag darauf erscheint Cundrîe und verkündet Parzival, dass er zum Gralskönig berufen ist und eine Person mitbringen darf. Feirefiz darf Parzival begleiten. Nach der Ankunft in Munsalvaesche stellt Parzival die erlösende Mitleidsfrage und wird zum Gralskönig ernannt. Dort trifft er seine Frau Condwiramurs, die ebenfalls zur Gralsburg gerufen wurde. Die unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten der beiden Männer bringen einen großen Unterschied und dementsprechende Folgen mit sich. Der Heide Feirefiz kann den Gral aufgrund seines heidnischen Glaubens nicht erkennen. Dies beweget ihn zusammen mit seinen Gefühlen bzw. der Minne gegenüber der Gralsträgerin Repanse de Schoye zum Christentum konvertieren zu. Nach der Taufe heiratet Feirefiz die ehemalige Gralsträgerin und geht mit ihr nach Indien. Dadurch entsteht zum zweiten Mal eine genealogische Verbindung zwischen der Mazadan- und Titurelsippe. [Bumke 1991: 141] Feirefiz ist im Vergleich zu Parzival unbeständiger in seiner Minne, da Parzival seit der ersten Begegnung seine Frau liebt. Feirefiz hingegen liebt lange Zeit die orientalische Königin Secundille, hält dieser Minne aber nicht stand und vergisst sie als er Repanse de Schoye zum ersten Mal trifft. Im Unterschied zu Parzival ist Feirefiz [6] untreu gegenüber seiner ersten Minne. Gemeinsam haben die Halbgeschwister, dass die Unwissenheit nach dem anderen Familienmitglied und dessen Aufenthalt durch das Aufeinandertreffen geklärt wird. Auch die bisherige Rastlosigkeit im Leben der beiden wurde zum Teil durch ihr Treffen besänftigt. Diese Aussage trifft mehr auf Feirefiz zu, denn er war auf der Suche nach seinem Vater und hat durch das Treffen seines Halbbruders erfahren, dass dieser nicht mehr am Leben ist. Nach dem ersten Aufeinandertreffen wird Parzival bekanntlich zum Gral berufen und dadurch erfüllt sich auch sein Reiseziel (781, 1-3).
Figuren und Handlungsprinzipien
Das Prinzip der Aktanten verbirgt sich hinter den Charakterzügen von Parzival und Feirefiz. Dabei geht es um Handlungs- bzw. Interaktionsprinzipien, die zum Inventar einer Geschichte gehören. Die Wissenschaftsmetaphorik siedelt diese Aktanten auf der Ebene der Tiefenstruktur an: gemeint sind die der Ebene der Handlung und der dargestellten Welt vorausgesetzten bzw. zugrunde gelegten Organisationsprinzipien. Auf der Ebene der Textoberfläche erscheinen sie als Figuren. Die Personen haben meist einfache Handlungsprinzipien mit komplexerer Bedeutung aufgeladen. [Schulz 2012: S. 16] Aktanten können also auf unterschiedliche Figuren aufgespalten oder in einer Person miteinander verschmolzen werden. [Schulz 2012: S. 17] Bei Parzival und Feirefiz lässt sich dies nicht eindeutig festlegen. Zum einen sind sie Repräsentanten der gleichen thematischen Rolle, nämlich die des mutigen, tapferen und starken Ritters und somit der gleichen Aktante (737, 19-21). Auf der anderen Seite verkörpert Parzival sehr lange Zeit, die Rolle des tumphen Ritters (745,23) und Feirefiz, die des vernünftigen und intelligenten Ritters (745, 26). Eine Gemeinsamkeit der beiden Charaktere versteckt sich in der Erzähltheorie nach Armin Schulz. Denn jener ist der Ansicht, dass die mittelalterliche Anthropologie, also die mittelalterliche Vorstellung vom Menschen, Individuen keineswegs so scharf von anderen Individuen und seiner Umwelt zu trennen, wie dies in der Moderne üblich ist. Vielmehr haben die Charaktere, in diesem Fall Parzival und Feirefiz, eine Teilhabe an Kräften, Mächten und Eigenschaften. [Schulz 2012: S. 18] Dieser Annahme klingen jedoch noch archaischere Muster nach: Der Vorstellungsrahmen ist derjenige eines Körpers, dessen Glieder die einzelnen Subjekte sind. Somit wird beim Leser das Bild eines transpersonalen Sippenkörpers hervorgerufen. Das Muster körperlicher Partizipation kann verstehen helfen, wieso in Wolframs von Eschenbachs Parzival, das Haupt-Handlungsrepertoire des Helden von Parzival auf Feirefiz übertragen wird. Parzival begegnet der Welt hauptsächlich im Modus des Kämpfens. Nach seiner Ernennung zum König der Gralsburg, muss er sein Handeln verändern. Aus diesem Grund wird die Kampfesgier von Parzival auf seinen Halbbruder Feirefiz übertragen, denn dieser erkundigt sich prompt, ob er die Taufe erkämpfen kann, um im darauf folgenden Schritt Repanse de Schoye heiraten zu können. [Schulz 2012: S. 19] [7]
Fazit
Resümierend stellt sich nun die Frage vom Anfang: Inwiefern ähneln sich die beiden Männer überhaupt und in welchen Gesichtspunkten unterscheiden sie sich voneinander?!
Die Aussage von Feirefiz "will ich der" (752, 6-10), die schon zu Beginn des Artikels angeführt ist, beschreibt die Parallelen und Unterschiede zwischen den beiden Charakteren gut. Bevor sich die Männer das erste Mal begegnen, leben sie geografisch gesehen in unterschiedlichen Regionen, ähneln sich aber in ihren Kampfkünsten und der Minne. Gemeinsam haben sie auch, dass sie beide ein Ziel haben, weshalb sie unterwegs sind. Im nächsten Schritt wird das äußere Erscheinungsbild verglichen. Parallelen haben sie hierbei, dass sie durch physiologische Merkmale ihrer Körper auffallen. Mit dem Unterschied, dass sich Feirefiz durch seine Hautfarbe und seine kostbare Kleidung von seinem Halbbruder abhebt. Ein großes Selbstvertrauen und Mut zeichnen die Gemeinsamkeiten der Charaktere der beiden aus. Im Vergleich zu Feirefiz, weiß Parzival sich des Öfteren nicht angemessen zu benehmen. Väterlicherseits haben die Halbbrüder die gleiche Blutslinie, jedoch unterschiedliche Mütter. Im Gegensatz zu Feirefiz ist Parzival seiner Minne beständiger und hat zwei Söhne. Im letzten Vergleichsaspekt, dem „Lebensweg nach der ersten Begegnung“, gibt es in beider Leben einschneidende Veränderungen. Parzival wurde endlich zum Gral berufen und anschließend zum Gralskönig ernannt. Feirefiz verliebt sich in die Gralsträgerin und wechselt aufgrund jener Minne seine Religion, um die Auserwählte heiraten zu können. Der letzte Gliederungspunkt „ Figuren und Handlungsprinzipien“ verdeutlicht die Systematik hinter den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Halbbrüder. Denn der Erzähltheorie Schulz zu folge, verbirgt sich hinter Eschenbachs mittelalterlichem Epos, das Prinzip der Aktanten. Dieses verleiht den beiden Halbbrüdern eine besondere Zweierbeziehung, die ihre Charaktere in manchen Teilen verschmelzen lässt und in anderen deutlich voneinander abspaltet. Abschließend lässt sich festhalten, dass sämtliche Vergleiche und Unterschiede akribisch skizziert und interpretiert wurden. Beim kritischen Hinterfragen, wird festgestellt, dass es sich hierbei um keine Zufälle seitens Eschenbachs Erzählweise handelt. Vielmehr steckt eine ausgeklügelte und für mittelalterliche Epen, typische Erzähltheorie hinter den beiden Charakteren, die dafür sorgt, dass Parzival und Feirefiz sich in einigen Punkten ähneln und in anderen wiederum nicht.
Anmerkungen
- ↑ Vgl. Parzival und Feirefiz (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
- ↑ Im Folgenden stets zitierte Ausgabe: Parzival (vgl. Primärliteratur).
- ↑ Vgl. Parzival: Seine Schönheit und Stärke (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
- ↑ Wolfram wählt hier den "Löwen" um die beiden Männer zu symbolisieren. Einerseits sicherlich um den beiden Eigenschaften wie Tapferkeit und Stärke an die Seite zu stellen. Allerdings rekurriert der Mythos, dass Löwenjunges tot geboren werden und dann durch ihres Vaters Gebrüll, zum Leben erwachen, auf die Wiederauferstehung Christus durch seinen Vater.[Pelizaeus 2009: 181f.] So könnte man meinen, Wolfram eröffnet noch eine tiefere Ebene mit dieser Symbolik. Die Heroen schließen sich damit an Christus Ewigkeitsanspruch an, wenn sie durch ihre Kampfhandlungen unerreichbare Größe und Ruhm erlangen.
- ↑ Vgl. Verwandtschaftstafel im Artikel Inhaltsangabe "Parzival" (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
- ↑ Zusätzliche Informationen zu Feirefiz (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
- ↑ Zur Ergänzung: Das Motiv der Doppelung (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
siehe auch: Inhaltsangabe
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
▲ Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
Sekundärliteratur
<HarvardReferences /> [*Bumke 1991] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 1991.
[*Czerwinski 1989] Czerwinski, Peter: Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflexivität im Mittelalter, Frankfurt/ New York: Campus 1989.
[*Harms 1963] Harms, Wolfgang: Der Kampf mit dem Freund oder dem Verwandten in der deutschen Literatur um 1300, München: Edios 1963.
[*Müller 2008] Müller, Nicole: Feirefiz-das Schriftstück Gottes, Frankfurt u.a.: Lang 2008.
[*Schulz 2012] Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediavistischer Perspektive, Berlin: Walter de Gruyter 2012.
[*Sproedt 1964] Sproedt, Kriemhild: Gahmuret und Belakane, Verbindung von Heidentum und Christentum in einem menschlichen Schicksal, Hamburg: n.b. 1964.