Nahrung und deren soziale Bedeutung im Parzival
In Wolframs von Eschenbach Parzival wird die Nahrung sowie das Zusammenkommen zu einem Mahl mit verschiedenen sozialen Aspekten und Bedeutungen verknüpft und dabei sehr wirksam dargestellt. Dieser Artikel widmet sich diesen Darstellungen und zeigt die verschiedenen sozialen Aspekte auf, die im Parzival mit dem Thema Nahrung und gemeinsamer Nahrungsaufnahme verbunden sind.
Nahrung und deren soziale Bedeutung
Nahrung und deren, vor allem in Gesellschaften gemeinsame Aufnahme, haben gerade im Mittelalter wichtige Funktionen erfüllt und dienten nicht nur der Stillung des Hungers.[Ehlert 2000: 24] So stellen gemeinsame Mahlzeiten eine rechtsrituelle Handlung dar, die nicht folgenlos war und zu einem bestimmten, friedensstiftenden Verhalten verpflichtet.[Althoff 1990: 13f.] Das gemeinsame Mal repräsentiert ebenfalls funktionierende "Macht- und Herrschaftsstrukturen".[Nitsche 2000: 247] Gerade in der höfischen Literatur werden bei Mahlzeitdarstellungen meist das höfische Zeremoniell oder die Reglementierungen der höfischen Körper an der Tafel dargestellt.[Nitsche 2000: 249] Wolfram von Eschenbach weicht davon in seinem Werk Parzival ab, indem er die Darstellungen von Mahl und Nahrung mit einer Facette von Motiven verknüpft.
Nahrung und deren soziale Bedeutung im Parzival
Sexualität(130,3-135,25)[1]
Ein Motiv, welches mit der Nahrungsaufnahme verknüpft ist, ist das der Sexualität. Als Parzival nach der Abreise von seiner Mutter mit ihren Ratschlägen im Hinterkopf auf Jeschute trifft, ist dies der Anfang einer seltsamen Dynamik aus sexueller Gewalt und Nahrungsaufnahme. Parzival ringt mit Jeschute und nimmt dabei keinerlei Rücksicht auf ihren Willen:
Vers | mhd. | nhd. |
---|---|---|
131,11 | diu frouwe lûte klagte: | die Dame klagte laut |
131,26 | ern ruochte waz si sagte | er kümmerte sich nicht um das, was sie sagte |
131,13 | ir munt er an den sînen twanc | ihren Mund er an den seinen zwang |
131,21 | doch wart dâ ringens vil getân | da wurde viel gerungen |
Parzival bedrängt Jeschute in dieser Szene und wendet zugleich eine sexuell motivierte Gewalt an. Doch mitten in der Rangelei bekundet Parzival seinen Hunger:
Vers | mhd. | nhd. |
---|---|---|
131,23 | der knappe klagete'n hunger sân | der Jüngling klagte nun, dass er hungrig sei |
131,25 | waer ir ze frumen wîse | Wärt ihr klug |
131,26 | ir naemt iu ander speise | würdet ihr die andere Speise nehmen |
"Indem Jeschute auf die andere Speise verweist, bezeichnet sie sich selbst als sexuelle Speise." [Nitsche 2000: 256] Parzival entgeht diesem Verständnis einer sexuellen Bedeutungsebene und konzentriert sich dann ganz auf das richtige Essen, welches er in unhöfischer Weise zu sich nimmt.[Nitsche 2000: 256] Er aß soviel, bis er den Kropf voll hatte ("einen guoten kropf er az", 132,2) und trank dannach noch schwere Trünke ("swaere trünke tranc",132,3). Das unhöfische Verhalten beim Essen spiegelt dabei jenes unhöfische Verhalten wider, welches Parzival schon bei der Rangelei mit Jeschute um ihren Ring beweist. Parzival wirkt durch seine gewaltätige Art zu Essen wie ein "kulinarischer Vergewaltiger".[Nitsche 2000: 256] Die Doppeldeutigkeit ist, außer für Parzival selbst, klar ersichtlich. Jeschutes Mann Orilus greift bei seiner Rückkehr in das Zelt die sexuelle Bedeutungsebenen auf und bestraft Jeschute zu unrecht. Doch Jeschute ist nicht die einzige Frau, bei der Nahrung und sexuelle Komponente zusammenfällt. Gerade die Frauenfiguren werden an verschiedenen Stellen im Text als Speise dargestellt.[Nitsche 2000: 262] So wird Orgeluse als "verlockende Speise der Liebe"("reizel minnen gir",508,28) vorgestellt. Antikonies Körperformen werden vom Erzähler sogar noch eindeutiger mit der Beschreibung von Nahrung dargestellt:
Vers | mhd. | nhd. |
---|---|---|
409,26 | baz geschict an de spizze hasen | Einen Hasen an seinem Bratenspieß der besser gestaltet ist |
409,27 | ich waene den gesâht ir nie | habt ihr vermute ich nie gesehen, |
409,28 | dan si was dort unde hie | denn sie war dort besser gebaut |
409,29 | zwischen der hüffe unde ir brust. | zwischen der Hüfte und ihrer Brust |
409,30 | minne gerende gelust | Die Lust nach Liebe |
410,1 | kunde ir lîp vil wol gereizen | konnte ihr Körper sehr wohl reizen |
Mit dem Vergleich einer Speise wird die erotische Anziehungskraft der Damen besonders hervorgehoben.[Nitsche 2000: 262] Die Nahrungsaufnahme wird mit der Sexualität als Motiv verknüpft, weil die Aufnahme von Nahrung wie die Sexualität ein Bedürfnis ist, welches gestillt werden will. So kann es sittlich oder, wie im Falle Parzivals bei Jeschute, auch mit Gewalt gestillt werden.
Religion
Ein weiteres mit der Nahrungsaufnahme verknüpftes Motiv im Parzival ist die Religion. Das Motiv der Religion wird in Verbindung mit Nahrung taucht zweimal mit zwei unterschiedlichen Funktionen im Parzival auf. Aufgrund ihrer unterschiedlicher Funktion werden beide Abschnitte in zwei getrennten Unterpunkten dargestellt.
Fasten
Das Fasten hat im Parzival eine bestimmte religiöse Funktion und wird bei einem Treffen von Parzival auf seinen Oheim; ein Onkel; Trevrizent behandelt. Dieser Onkel von Parzival hat sich als Bußleistung für eine asketische Lebensweise durch das Fasten entschieden, um auf eine Heilung seines Bruders Anfortas zu hoffen.[Ehlert 2000: 36] Als Parzival auf Trevrizent trifft, hat er sich aufgrund der Geschehnisse auf Munsalvaesche und durch die Anschuldigung der Cundrîe von Gott losgesagt, weil er an der Hilfe Gottes zu zweifeln begonnen hat.[Ehlert 2000: 35]Trevrizent kann Parzival aufgrund seiner Lebensweise nur sehr karge Lebensmittel anbieten:
xxx,xx | mîn küche riuchet selten: | in meiner Küche raucht es selten: |
486,11 | dane was gesoten noch gebrâten | da wurde weder was gekocht noch gebraten |
486,12 | unt ir küchen unberaten | und ihre Küche war leer |
Diese pflanzliche, rohe und nicht gezüchtete sondern gesammelte Nahrung stellt die Fastenspeise dar, welche sich auf der untersten Schwelle der Kultur ansiedelt beziehungsweise die unterste Stufe des Nahrungssystems bedeutet.[Ehlert 2000: 36f.] Die ungekochte pflanzliche Nahrung ist alles andere als erlesen, da sie weder zu den sonst gerade bei adligen Mahle edlen Speisen gehören und durch ihre unbehandelte Art keine zivilisierte Speise darstellen. Der Erzähler hebt die Kargheit der Speise nochmals hervor und grenzt sie von einer adligen Speise ab, indem er eine sonst am Tisch geläufige Hygieneregel für das aus wilden Pflanzen bestehende Mahl der beiden Fastenden aufhebt:
487,1 | Swaz dâ was spîse für getragen, | Was da an Speisen aufgetragen wurde |
487,2 | belîben si dâ nâch ungetwagen, | blieben [die Hände] dannach ungewaschen, |
487,3 | daz enschadet in an den ougen niht, | so würde es ihren Augen nicht schaden [würde man sich daran reiben] |
487,4 | als man fischegen handen giht. | wie man es von fischigen Händen behauptet. |
Die Kargheit der Speise ist also ein wichtiger Bestandteil, um Parzial auf seine Buße vorzubereiten, die er nach Abschluss der Speise tätigt, in dem er Trevrizent darüber aufklärt, dass er selbst(Parzival) die Erlösungsfrage versäumt hat. Das Fasten fungiert im Parzival schließlich als ein Akt der Buße und der Reue. Nur durch die Erfahrung mit Trevrizent kann Parzival sich wieder Gott annähern.[Ehlert 2000: 39]
Speisewunder
Strafe(525,12-529,1)
Das gemeinsame Mahl ist wie oben bereits erwähnt wurde ein wichtiger Bestandteil in der mittelalterlichen Gesellschaft. Die Darbietung der Speisen und die verschiedenen Rituale haben eine hohe Signalwirkung und eine zeichenhafte Repräsentanz.[Mittermayr 2000: 9] Umso schlimmer wäre deswegen ein Ausschluss von diesem Ritual beziehungsweise von der Tischgemeinschaft.[Nitsche 2000: 259] Dies ist der Fall beim sexuellen Übergriff von Urjans auf eine Botin, die auf dem Weg zum König Artus war. Urjans, der wie die Botin auch, Gast war in dem Land des Artus ("er was gast, unt si gestin [in sîn lant].",525,16 ; 525,24), hat das Gastrecht, welches den Gast und den Gastgeber dazu verpflichtet, Frieden zu halten, mit seinem Übergriff auf die Botin gebrochen.[Ehlert 2000: 38-39] Artus ist durch diese Tat erzürnt und spricht Urjans nicht nur die Ritterehre ab, sondern verurteilte ihn auch zum Tod durch den Strick:
527,19 | man verteile imz leben unt sînen prîs, | - | Man sprach ihm durch Urteil sein Leben und seinen Ruhm ab |
527,20 | unt daz man winden solt ein rîs, | - | und das man einen Strick winden sollte |
527,21 | dar an im sterben wurd erkant | - | an dem er sterben sollte |
527,22 | âne bluotige hant. | - | ohne Blut an den Händen |
Durch Gawans Einschreiten wird die Strafe jedoch dergestallt umgewandelt, dass Urjans von der Tischgemeinschaft ausgeschlossen wird und vier Wochen mit den Hunden essen musste ("vier wochen er das niht vergaz: die zît ich mit den hunden az",524,17-18). Mit den Hunden bedeutet in diesem Falle, dass Urjans nicht nur aus dem gleichen Trog wie die Hunde essen muss, sondern auch wie die Hunde den Mund zum Aufnehmen der Nahrung nehmen muss ("ûz einem troge az sîn munt[...]",528,28). Die Nahrungsaufnahme wird in diesem Kontext als Mittel der Bestrafung genutzt. Auffällig dabei ist, dass der Ausschluss von der Tischgemeinschaft für 4 Wochen gering gegenüber dem zuerst ausgesprochenem Todesurteil erscheint. Die Strafe ist jedoch nicht zu unterschätzen, muss Urjans doch "liden hôhen pîn" (schwere Strafe erleiden) durch den Ausschluss. Bei einem späteren Treffen von Urjans auf Gawan erwähnt Urjans selbst nur die Strafe des Ausschlusses und nicht die zuerst angedrohte Todesstrafe. Die Strafe wiegt also trotz der kurzen Dauer deshalb besonders schwer, da Urjans mit dem Ausschluss von der Tischgemeinschaft einen erheblichen Ehrverlust hinnehmen muss.[Kramer 1984: 155] Auch die tiergleiche Nahrungsaufnahme mit dem Mund und das Essen bei den Hunden ist eine extreme soziale Herabsetzung.[Nitsche 2000: 259] Doch es nicht nur eine Strafe für Urjans, von der Tischgemeinschaft ausgeschlossen zu werden. So werden die anderen Teilnehmer der Tischgemeinschaft davor geschützt, mit dem Ehrlosen Urjans zu speisen, da er ihre Ehre durch seine Anwesenheit beim Mahl ebenfalls heruntergesetzt hätte.[Nitsche 2000: 259 Fn. 36]
soziale Entwicklung
Nahrung und deren Aufnahme hat im Mittelalter stets eine signifikante Rolle zu dem Leben am Hof beigetragen.[Classen 2001: 316] So gibt es höfische Verhaltensweisen, die man bei einem Mahl einzuhalten hat und die eine kultivierte Nahrungsaufnahme ermöglichen. Parzival selbst hat aufgrund seiner Erziehung fern vom Hofe kaum Kenntnis über soziale Regeln, höfischen Verhaltensweisen und Werten.[Classen 2001:319] Erst im Laufe der Geschichte lernt Parzival mehr über das Ritterdasein und anderen Werten, wie z.B. von Gurnemanz. Diese soziale Entwicklungs Parzivals geht einher mit dessen Umgang mit Nahrung und deren Aufnahme, sodass die Nahrungsaufnahme den Stand der sozialen Entwicklung sowie dessen Fortschritt widerspiegelt.[Classen 2001: 318] Es beginnt in Soltane, wo Parzival als Kind durch die Jagd teilweise große Tiere erlegt und sie zu seiner Mutter bringt. Teilweise sind die Tiere so schwer, dass sie eigentlich ein Maultier zum Transport benötigen würden:
swennerrschôz daz swaere, | Wann immer er das schwäre schoss, |
des waere ein mûl geladen genuoc, | daran wäre ein Maultier genug beladen |
als unzerworht hin heim erz truoc. | trug er es dennoch unzerteilt heim. |
Dies zeigt Parzivals schon frühe, körperlich stark ausgeprägte Entwicklung und seine rohe, gewaltsame Art im Umgang mit Nahrung.[Classen 2001: 319] In diesem Stadium, wo Parzival noch roh und brutal mit der Nahrung umgeht, ist er selbst in seiner sozialen Entwicklung kaum vorangeschritten und hat keinerlei Ahnung von höfischen Normen und anderen Tugenden. Nach seinem Aufbruch aus Soltane kommt Parzival an einem Zelt vorbei, in dem er Jeschute findet. Dort begeht er fast einen sexuellen Übergriff und verhält sich gegenüber Jeschute sowie gegenüber dem Essen wie ein roher Übeltäter. Durch seinen Übergriff muss Jeschute eine harte Strafe durch ihren Ehemann Orilus erleiden. Der maßlose Umgang mit dem Essen spiegelt die Gleichgültigkeit Parzivals über seine Umwelt wider.[Classen 2001: 320] Erst nach seinem Besuch bei Gurnemanz und einem gemeinsamen Mahl beider hat Parzival die nötigen Werte gelernt, die für einen Ritter und für das Verhalten bei einem höfischen Mahl vonnöten sind.[Classen 2001: 322]. Bei der Belagerung der Stadt der Condwirarmurs zeigt Parzival gleich einen ganz anderen höfischen Umgang mit Nahrung. Durch die Belagerung der Stadt kam es zu einer Hungersnot, da eine Versorgung der Stadt mit Essen nicht möglich war.[Classen 2001: 317]. Parzival teilt das für ihn und Condwiramurs besorgte Essen mit den Hungernden in der Stadt. Aus dem vorher noch gierigem Verschlingen von Nahrung wurde nun ein christlicher, mitfühlender Umgang mit Nahrung, indem man mit den armen Hungernden teilt.[Classen 2001: 323] Dieser nun ziviliserte Umgang mit Nahrung geht einher mit Parzivals Wandlung von einem rüpelhaften jungen Mann in einen noblen Ritter.[Classen 2001: 323]
Fazit
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences />
[*Althoff 1990] Gerd Althoff: "Der frieden-,bündnis- und gemeinschaftsstiftende Charakter des Mahles im früheren Mittelalter", in: Essen und Trinken im Mittelalter und Neuzeit, hg. u.a. von Trude Ehlert, Sigmaringen 1990(=2. Auflage), S. 13-27.
[*Classen 2001] Albrecht Classen: "The symbolic Function of Food as Iconic Representation of Culture and Spirituality in Wolfram von Eschenbach's Parzival(ca 1205)", in: Orbis Litterarum 2007(=Band 62 No.1), hg. u.a. von Lars Ole Sauerberg, Oxford 2007, S. 315-335.
[*Ehlert 2000] Trude Ehlert: "Das Rohe und das Gebackene. Zur sozialisierenden Funktion des Teilens von Nahrung im Yvain und Chrestiens de Troyes, im Iwein Hartmanns von Aue und im Parzival Wolframs von Eschenbach", in: Mahl und Repräsentation. Der Kult ums Essen, hg. Lothar Kolmer, Christian Rohr, München 2000, S. 23-41.
[*Kramer 1984] K.S. Kramer: "Mahl und Trunk", in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. u.a. von Aldabert Erler, Berlin 1944, S. 154-156.
[*Mittermayr 2000] Peter Mittermayr: "Das Mahl - Handlungsrahmen für Repräsentation und Kommunikation", in: Mahl und Repräsentation. Der Kult ums Essen, hg. Lothar Kolmer, Christian Rohr, München 2000, S. 9-10.
[*Nitsche 2000] Barbara Nitsche: "Die literarische Signifikanz des Essens und Trinkens im Parzival Wolframs von Eschenbach", in: Euphorion 2000(=Band 94), hg. von Wolfgang Adam, Heidelberg 2000, S. 256-270
- ↑ Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.