Ritterliche Tugenden (Gottfried von Straßburg, Tristan)

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Thema dieses Artikels sind die ritterlichen Werte und Normen im Tristan Gottfrieds von Straßburg. Die Frage ist, was einen Ritter ausmacht, welche Vorrechte und Pflichten ihm obliegen, wie dieser beschrieben wird. So soll die ritterliche Rolle in der höfischen Welt des Tristan-Romans genauer verortet werden.[1]

Der ritterliche Hauptprotagonist des Romans ist Tristan. Das scheint zwar bereits der Titel auszusagen, doch erstaunlicherweise spielen im Verlaufe der Handlung neben einer Vielzahl weiterer höfischer Figuren selten wenige, eindeutig ritterliche Figuren eine Rolle, wenn man den Tristan mit anderen höfischen Romanen des Mittelalters vergleicht.[2] Hauptsächlich begegnen einem andere Ritter in Tristans Kämpfen, wie auch in Turnieren, oder am Hofe Markes oder in Parmenien während der Schwertleiteszenen etwa.

Zum Begriff

Die mittelalterlichen Dichter vermitteln uns Lesern den Eindruck, es gäbe eine ganz bestimmte Reihe von Tugenden, die, so scheint es, Kataloge und Kodizes an Regeltugenden oder Tugendregeln gefüllt haben, die der Ritter zu befolgen hatte. Doch sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es solch systematisierte Tugenden und Tugendlehren nur mehr in den dichterichen Werken zu finden gibt.[3]

Wenn in diesem Artikel also von ritterlichen Tugenden, Normen oder Werten als Äquivalent gesprochen wird, so bezieht sich dies auf die von Gottfried von Straßburg in seinem höfischen Roman Tristan formulierten und oft serialisierten bzw. systematisierten Begriffe und Vorstellungen von Tugenden. Religiöse und gesellschaftlich annerkante Werte, die man als real existent vorraussetzen könnte, werden damit zusammenhängen, doch sollte man die rittterlichen Tugenden, wie sie im Tristan geschildert werden, eher als ideal-typisierte Vorstellung der höfischen Welt sehen.

Der Ritterwerdungsprozess

Als institutionalisierten Akt der Ritterwerdung, der Erlangung der Ritterwürden also, ist die sog. Schwertleite zu sehen. Spätestens ab hier hat sich ein Ritter tugendhaft und konform zu bestimmten Werten und Normen zu verhalten. Doch hat ein jeder zum Ritter bestimmter Mann auf dem Weg dahin gewisse Grundvoraussetzungen zu erfüllen; sei es, dass sie ihm 'in die Wiege gelegt worden sind', oder dass er sich im Laufe seiner Kindheit und Jugend so manche ritterliche Fertigkeit und Tugend anzueignen hat. Aber gerade mit dem offiziell vollzogenen Akt der Ritterwerdung beginnt für den Ritter ein Leben, in dem er weitere Pflichten zu erfüllen, Werte umzusetzen und sich in seiner tugendhaften Ritterlichkeit zu üben und zu verbessern hat.

Ausführlich sollte sich zu diesem Punkt der Hauptartikel Tristans Schwertleite befassen. An dieser Stelle soll daher explizieter nur auf konkrete Rückschlüsse zum Ritterbegriff eingegangen werden, die für diesen Artikel relevant sind.

Bedingungen der Ritterwerdung (Vorschlag zur Schwertleite)

Bereits aus den Vorreden zur Schwertleite erfährt man durch Rual li Foitenant, welcher Tristan am Hofe König Markes von Britannien nach jahrelanger Suche gefunden hat, Interessantes zur Wichitgkeit der Erlangung der Ritterwürden. Würde Tristan nämlich Ruals Rat folgen und sich von Marke zum Ritter schlagen lassen, so wäre er iemer mêre / allen künegen ebenhêr (V.4388f.). Denn Tristan stammt von zwei Königen ab, genealogisch hat er folglich ähnlich privilegierte Anrechte; er müsste lediglich die Schwertleite erhalten, um diese Stellung zu erlangen. Aus dieser Textstelle lässt sich also entnehmen, welch gewichtige Rolle der Ritterstellung innerhalb der hierarchisch-machtrechtlichen Strukturen zukommt, dass diese Stellung Vorraussetzung höchster herrschaftlicher Ansprüche und Rechte ist.

Was aber Voraussetzungen sind, Ritter zu werden, machen gleich die folgenden V.4394f. von Ruals Ausführungen sowie die Antwort der anwesenden Adligen auf Ruals Ansprache in V.4399-4401 deutlich:

wan dû maht dîner sache
sus hin wol selbe nemen war (V.4394f.)
»hêrre, ez hât guote vuoge.
Tristan hât craft genuoge
und ist ein wol gewahsen man.« (V.4399-4401)

Rechtliche Bedingung Ritter zu werden scheint also zu sein, dass man in der Lage sein muss, sich selbst um eigene Sachen (rechtliche Angelegenheiten) kümmern zu können, was dann möglich sein sollte, so man körperlich und juristisch erwachsen ist, was Tristan, wie zu lesen ist, erreicht hat.

Vorausgesetzte Tugenden (Annahme der Schwertleite)

Die folgende Antwort (V.4405-4445) Tristans auf Ruals Vorschlag kommt einem Ritterlichkeit-Exkurs gleich.

wan ritterschaft, alsô man seit,
die muoz ie von der kintheit
nemen ir angenge
oder sî wirt selten strenge. (V.4417-4421)
senfte und ritterlîcher prîs
diu missehellent alle wîs
und mugen hân ich selbe wol gelesen,
daz êre wil des lîbes nôt.
gemach daz ist der êren tôt,
dâ man's ze lange und ouch zu vil
in der kintheite pflegen wil. (V.4427-4434)

Mit dem Titel 'Ritter', so führt die Rede Tristans aus, ist hohes Ansehen verbunden; aber nicht nur solches, dass man mit dem Führen des Titels erlangt, sondern auch solches, welches man selbst als Voraussetzung mit erfüllen, in die Ritterwerdung mit hinein bringen muss, ganz besonders nämlich rîlîches guot (V.4406). Denn der klare Sinn, Ritter geworden zu sein, besteht also darin, werltlîche êre zu erwerben und zwar genauer dadurch, indem man müßige Jugend dafür benutzt. Dass Tristan eben dies nicht getan hatte, seine Jugend also nicht darauf verwendet hat, ritterliche Würde und Tugenden zu erwerben und sich darin zu üben, obwohl Ritterschaft schon in der Kindheit anfängt, verleitet ihn zu einer vorwurfsvollen Selbstkritik. Denn Tristan weiß schon lange, hat davon auch selbst gelesen, dass ritterliche Ehre des lîbes nôt (körperliche Anstrengungen, V.4431) verlangt, somit gleichzeitig Bequemlichkeit und jugendliche Müßigkeit ausschließt. Nur hat Tristan seine Jugend nicht gerade auf diese Weise eines Ritters würdig verlebt, er wusste ja schließlich auch nicht um diese seine Zukunft, weswegen er dies nachholen will, wozu er sich körperlich und geistig bereit sieht.[Fromm 1989:Hier bes.: S.156f.][4]

Die Vorraussetzung für die Schwertleite sind Tugenden, die junge Männer schon mitbringen müssen, bevor sie zu Rittern werden, die aber, wenn sie dann Ritter sind, immer noch gelten und eingehalten werden müssen. Das sind vor allem: hôher muot (V.4567), vollez gout (V.4568), bescheidenheit (V.4569) und höfscher sin (V.4570). Diese Eigenschaften gelten als die Vorraussetzungen dafür, ein guter und ehrenvoller Ritter werden zu können, der großes Ansehen erwerben kann. Der Rat, nach diesen Tugenden zu leben erhält sowohl Tristan von Marke bei seiner Schwertleite als auch das Gefolge von Tristan selbst bei eben der.

Ritterliche Tugenden sind also nicht nur 'Besitz' und 'weltliches Ansehen', sondern auch bereitwilliger 'Einsatz von Körper und Geist'. Mit den körperlichen Bemühungen als Ritter, ist ein Verweis auf militärische Fertigkeiten ersichtlich, dass sich der Ritter also im Kampf zu üben hat und sein Können im Turnier, aber auch auf dem Felde, unter Beweis zu stellen hat, um Ehre zu erwerben. Geistige Fähigkeiten, welche hier als Selbstverständlichkeit durchzuschimmern vermögen, weisen auf Bildung und Gelehrtheit in Dingen wie Lesen und Schreiben hin,[5] die als wichtiges Bestandteil höfischer Kultur und höfischen Selbstverständnisses zu sehen sind. Dazu kommen noch triuwe unde milte (V.5040), welche als die Tugenden schlechthin zu sehen sind.

Die Schwertleite

In Betreff der Schwertleite sei erneut auf Tristans Schwertleite (Gottfried von Straßburg, Tristan) als selbständigen Artikel verwiesen.

Rechte und Pflichten als Ritter

Durch den noch jungen Ritter Tristan erfährt man Verschiedenes von Relevanz für das Verständnis des Ritterbegriffes. In seiner ermahnenden Ansprache an die Barone von Cornwall etwa macht Tristan einiges deutlich, was durch Recht und Gesellschaft von Rittern bzw. Adligen erwartet wird. Denn:

sô manhaft alse ir [die Barone] alle zît
alle unde an allen dingen sît,
sô soltet ir billîche
beide iuch und iuwer rîche
ahpaeren unde hêren
und an den êren mêren! (V.6069-6074)

So tapfer die Barone also alle und immer seien, so sollten sie von Rechts wegen dafür sorgen, sich selber und ihr Reich achtbar und angesehen zu halten an Ehre zu steigern. Man soll soll also nicht nur persönliche Tapferkeit beweisen, sondern sich ehrenhaft verhalten und das Ansehen des Reiches mit im Auge behalten.

Doch dass sich die Barone nun nicht an ihre Pflichten gehalten haben, macht Tristan ihnen zum Vorwurf. Denn dabei haben sie ihre Freiheit mit Schanden behandelt, die an dieser Stelle als höchstes Gut zu betonen ist, welches zu genießen die ritterliche Stellung berechtigt, doch dieses zu verteidigen auch verpflichtet.

nu habet ir iuwer vrîhet
iuwern vînden geleit
ze vüezen und ze handen
mit zinslîchen schanden. (V.6075-6078)

Außerdem haben die Barone ihre eigenen edelen kindelîn (V.6079) weggegeben, also ihre Pflicht, ihre Familie zu schützen und zu ehren, verletzt. Denn Väter sollen für ihre eigenen Kinder ihr Leben geben. Sie handeln nämlich gegen Gott, wenn sie ihre Kinder zu Leibeigenen machen, um ihre eigene Freiheit zu wahren:

jâ suln vetere vür ir kint,
wan sî mit in ein leben sint,
ir leben geben: deist mit gote.
ez ist gâr wider gotes gebote,
der sîner kinde vrîheit
der eigenschefte vür leit,
daz er sî zu schalken gebe
und er mit vrîheite lebe. (V.6103-6110)

Denn schließlich wirft Tristan den Baronen vor, selbst der Tapferkeit als Tugend und Pflicht nicht gerecht zu werden, da sich unter ihnen keiner finden lässt, der wider einen man sîn leben / an die wâge welle geben, / weder er belîbe oder gesige. (V.6091-6093).

Diese Szene abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich trotz Tristans Ermahnungen und Drängen keiner der Barone dazu bewegen lässt, sich auf den Kampf mit Morold einzulassen, sodass Tristan selbst Morold herausfordert und diesen auch besiegt. Wenn auch Tristan dabei vergiftend verwundet wird, doch wird ihn diese Verwundung nach Irland und somit zu Isolde führen. Die Szene steht damit also ganz im Zeichen des Handlungskonstruktes.

Schlussbetrachtung

Aus den angestellten Betrachtungen lassen sich 'Ritterliche Tugenden' erkennen und zusammenstellen, wie sie Gottfried von Straßburg in seinem Tristan-Roman darstellt. Diese lassen sich nur vor dem Hintergrund eines höfischen Werte- und Normenverständnisses verstehen, das zeitgenössisch in idealisierter Form vorgeherscht hat und in literarischer Form seinen Ausdruck gefunden hat. Auch Gottfried fügt sich in gewisser Weise in diese Tugendwelt, zumindest weiß er sie als literarisches Element zu nutzen. Auf durchaus abweichend vermittelte Ritterbilder und Tugenden etwa in der Heldenepik, die das heroisch kämpferische Element eines Ritters überhöht, oder der Artusepik sei an dieser Stelle jedoch nur andeutungsweise hingewiesen. Zu betonen sei aber, dass Gottfried mit einer ganz eigenen Vorstellung der minne ein anderes, kontrastreiches Verhältnis zum Rittertum herstellt.

Anmerkungen

  1. Die Zitierung einfacher Versangaben im Folgenden (abgekürzt mit 'V.') bezieht sich innerhalb dieses Artikels auf: Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke. Hrsg. v. Rüdiger Krohn. Bd. 1/2. Stuttgart 1993/1994 (RUB 4472/4473).
  2. Im Besonderen sei auf die reichhaltige und zentrale Überlieferung zum höfischen Ritter- und Tugendverständnis in den Artusromanen hingewiesen, wie aber auch der heroischen Ritterdarstellung in den mittelalterlichen Heldenepen.
  3. So weist Bumke darauf hin, dass der Terminus des riterlichen Tugendsystems, der eben die oben geschilderte Problematik impliziert, nur eine Begriffskonstruktion Gustav Ehrismanns sei.[Bumke 2008:S.416.]
  4. Siehe auch Fromms Hinweis auf purifizierende Selbstbezichtigung.[Fromm 1989]]
  5. Denn, dass Tristan zu schreiben, oder jedenfalls zu lesen vermag (vgl. V. 4430 ouch hân ich selbe wol gelesen), kann keineswegs als Selbstverständlichkeit angesehen werden.

Literaturangaben

<harvardreferences/>

Primärliteratur

  • Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke. Hrsg. v. Rüdiger Krohn. Bd. 1/2. Stuttgart 1993/1994 (RUB 4471/4472)

Sekundärliteratur

  • Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 2008 (30170). [*Bumke 2008]
  • Fromm, Hans: Tristans Schwertleite. In: ders.: Arbeiten zur deutschen Literatur des Mittelalters. Tübingen 1989. S.155-172. [*Fromm 1989]