Schwertsplitter (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Definition

Tristan wird nach dem Drachenkampf gefunden. Man beachte die Scharte im Schwert (Markierung nicht im Original). Holzschnitt aus dem Jahre 1448.

Der Schwertsplitter bricht aus Tristans Schwert, als dieser Morold im Zweikampf besiegt (V. 7050-7059). Er verbleibt in Morolds Kopf, wo er schließlich von Morolds Schwester Isolde gefunden wird (V. 7184-7186) - sie entdeckt, dass der Splitter in eine Scharte in Tristans Schwert passt, der bis dahin als Mörder vor den Isolden unentdeckt geblieben war (V. 10072-10086, 10122).

Der Splitter lüftet die wahre Identität Tristans; er ist der Beweis, dass Tristan Morold getötet hat. Tristan gerät durch den Splitter in Todesgefahr, da er der Rache der jungen Isolde zeitweise schutzlos ausgeliefert ist (V. 10138-10206).

Vorgeschichte: Kampf

Tristan und Morold kämpfen. Zum Kampf kommt es, da Marke Gurmun zinspflichtig ist (V. 5924 f.) und Tristan sich als einziger zum Zweikampf mit Morold, Gurmuns Vorkämpfer, bereit erklärt, um England und Cornwalls von der schande (V. 5966)[1] des Zins (die Versklavung von Jungen) zu befreien .

Tristan rüstet sich für den Kampf und Marke gürtet ihm ein Schwert um (V. 6578-6581). Morold verletzt Tristan mit seinem Schwert, das vergiftet ist schwer am Schenkel (V. 6919-6930, 6942-6943). Noch während des Kampfes klärt Morold Tristan darüber auf, dass nur seine Schwester Isolde Tristan von der tödlichen Vergiftung heilen könne (V. 6944-6953). Tristan kann Morold jedoch mit Hilfe seines Pferdes rammen, zu Boden reißen und ihm den Helm fortschlagen (V. 7010-7021). Kurz bevor Morold wieder aufsitzen kann, kommt Tristan ihm zuvor, schlägt ihm die rechte Hand samt Schwert ab und trifft mit einem zweiten Schwertschlag Morolds Kopf:

und truoc ouch der sô sêre nider, Der ging so tief herunter,
dô er daz wâfen zucte wider, daß, als er die Waffe wieder herausziehen wollte,
daz von dem selben zucke von ebendiesem Schlag
des swertes ein stucke ein Stück des Schwertes
in sîner hirneschal beleip, in der Schädeldecke steckenblieb,
daz ouch Tristanden sider treip das später Tristan eintrug
ze sorgen und ze grôzer nôt: Gefahr und große Bedrängnis.
ez haete in nâch brâht ûf den tôt. Es hätte ihm fast den Tod verursacht.
(V. 7053 - 7060) (V. 7053 - 7060)

Anschließend schlägt Tristan dem geschwächten Morold den Kopf ab, sodass von Morold nichts als ein zestuckete[r] man (V. 7141) zurückbleibt.

Vorgeschichte: Entdeckung

Der Splitter wird mitsamt dem toten Morold nach Irland zu Gurmun überführt und von der älteren Isolde entdeckt, als sie und ihre Tochter Isolde den toten Bruder und Onkel betrauern, den Leichnam küssen und die Kopfwunden begutachten, um ihren Schmerz zu vertiefen (V. 7173-7186).

Die ältere Isolde zieht den Splitter mithilfe einer kleinen Zange heraus, betrachtet ihn gemeinsam mit ihrer Tochter - und gemeinsam legen sie ihn zur Aufbewahrung in ein Kästchen (V. 7187-7195). Was Isolde dazu bewegt, den Splitter aufzubewahren wird nicht erläutert. Hier wäre eine Erklärung jedoch hilfreich - beide Isolden wissen schließlich, dass Tristan der Mörder Morolds ist, können aber definitiv nicht ahnen, dass sie Tristan einmal begegnen werden, ohne zu wissen, dass er Tristan ist und einzig und allein der Schwertsplitter das Geheimnis seiner Identität lüften wird.

Dem verletzten Tristan kann nicht geholfen werden, da nur Isolde, Morolds Schwester, ihn zu heilen vermag. Tristan begibt sich also nach Irland und kann dadurch, dass er sich als Spielmann Tantris ausgibt, die ältere Isolde dazu bringen, ihn zu heilen (V. 7323-7331, 7560, 7955-7961). Im Gegenzug verpflichtet sich Tristan, die jüngere Isolde zu unterrichten (V. 7839-7880). Durch eine Lüge verschafft sich Tristan nach einiger Zeit von Isolde die Erlaubnis, nach Hause zu fahren (V. 8159-8225).

Nachdem Tristan im Zuge der Brautfahrt als "Tantris" erneut nach Irland fährt und den Drachen erfolgreich besiegt (V. 8629-9059), bemerkt die jüngere Isolde an Tristans Schwert, dass der aufbewahrte Splitter aus Morolds Kopf ein herausgebrochenes Stück aus eben diesem Schwert ist (V. 10065-10122). Durch den Schwertsplitter erkennt die jüngere Isolde also, dass Tantris zugleich Tristan und somit Mörder Morolds ist. Isolde beschließt daraufhin, Tristan zu töten: diz swert daz muoz sîn ende wesen! (V. 10138). Der Schwertsplitter bringt Tristan also in Lebensgefahr. Da aber die Isolden auf Tristen als wahren Drachentöter angewiesen sind und ihm als Tantris ihren Schutz versicherten, müssen sie auf Rache verzichten (V. 10207-10280).

Vorausdeutung

Mehrmals benutzt der Erzähler den Schwertsplitter als Vorausdeutung:

dô er daz wâfen zucte wider,
daz vom dem selben zucke
des swertes ein stucke
in sîner hirneschal beleip,
daz ouch Tristanden sider treip
zu sorgen und ze grôzer nôt:
ez haete in nâch brâht ûf den tôt.
(V. 7054-7060)
(Ein Stück des Schwertes in der Schädeldecke steckenblieb, das später Tristan eintrug Gefahr und große Bedrängnis. Es hätte ihm fast den ::Tod verursacht.)

sowie dâ sît daz selbe stuckelîn / Tristanden brâhte ze nôt. (V. 7194-7195)(Wo später dieses kleine Stück Tristan in Gefahr bringen sollte.) Auch, dass Tristan nach dem Kampf seine Wunde vor Morolds Begleitern bedeckt hält, benutzt der Erzähler als Vorausdeutung: und ernerte in ouch daz selbe sider (V. 7135) (Später sollte ihn das retten S. 431). Später wird auf diese Stelle Bezug genommen (siehe V. 7885-7904).

Dies kann verschieden intepretiert werden. Einerseits könnten die Vorausdeutungen der Spannungserhöhung dienen (der Rezipient darf sich gespannt fragen, welche Ereignisse die Geschichte noch beinhaltet; um welche Gefahr oder große Bedrängnis es sich handelt). Andererseits könnte die Vorausdeutung einen Rezipienten, der die Geschichte mehrmals hört oder liest, auf die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Schwertsplitter und den Herausforderungen, denen sich Tristan stellen muss, hinweisen, sodass dem Rezipienten der Zusammenhang im Nachhinein noch einmal verdeutlicht wird.

Der Splitter als "Bonbon"

Es stellt sich die Frage, inwiefern der Schwertsplitter den Handlungsverlauf beeinflusst. Die Geschichte würde auch ohne den Schwertsplitter funktionieren: Tantris bliebe als Morold-Mörder unerkannt, würde trotzdem als Drachentöter sein Recht auf Isolde geltend machen und eventuell auf der Rückfahrt zu Marke Isolde über seine wahre Identität aufklären. Für eine Rache von Seiten Isolde wäre es dann wohl zu spät und Tristan außer Gefahr.

Der Schwertsplitter ist also gewissermaßen ein nicht zwingend notwendiges Motiv, das jedoch die Geschichte verkompliziert und dadurch den Spannungsbogen noch weiter spannt: Der Rezipient weiß um den aufbewahrten Splitter, von dem der Protagonist Tristan jedoch wiederum nichts ahnen kann. Tristan befindet sich unerkannt in Obhut der Isolden und die Entdeckung den Zusammengehörens von Splitter und Scharte nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip wird durch eine Reihe von Ereignissen herbeigeführt:

1. Der Splitter bricht aus Tristans Schwert.
2. Er verbleibt in Morolds Kopf (und wird beispielsweise nicht von seinen Begleitern entfernt).
3. Die ältere Isolde findet den Splitter (und ihre Tochter "findet" das dazugehörige Schwert).
4. Sie bewahrt ihn auf! (Warum genau?)
5. Die junge Isolde betrachtet Tristans Schwert. (Auch der Erzähler ist an dieser Stelle ratlos: und enweiz niht, wie sie des gezam, / daz sî daz swert ze handen nam (V. 10065-10066)).
6. Ihr fällt der Scharte auf.
7. Sie erkennt, dass der aufbewahrte Splitter in eben diese Scharte passt.

Würde nur eines der Ereignisse wegfallen, würde der gesamte Aufbau der Splitter-Episode in sich zusammegefallen (zu weiteren durch den Zufall motivierten Handlungsketten siehe Zufall).

Als es schließlich zur Entdeckung kommt, erreicht der Spannungsbogen seinen Höhepunkt: Tristan befindet sich in Lebensgefahr. Ohne den Schwertsplitter wäre dem Rezipienten dieses "Vergnügen" vorenthalten worden.

Literatur

  1. Mit Versangabe im Folgenden zitiert aus: Gottfried von Straßburg: Tristan, ins Neuhochdeutsche übers. von Krohn, 12. Auflage, Stuttgart 1980.