Parzivals tumpheit (Wolfram von Eschenbach, Parzival): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 25. Juli 2012, 07:14 Uhr
"Aber nicht nur die Worte sind wichtig, die am häufigsten vorkommen; nicht minder bedeutsam können Worte sein, die ein Dichter im Raum seiner Dichtung an Stellen einfügt, denen er eine bestimmte, die Dichtung und ihr Anliegen erhellende Funktion verleiht." [Rupp 1957: S. 97] Diese Aussage des Parzival Kenners Heinz Rupp verweist auf die herausragende Rolle des Wortes "tump(-heit)", das es im Rahmen des Romans einnimmt. Wolfram von Eschenbach verwendet es hauptsächlich in Bezug auf seinen Helden Parzival und drückt mit dessen Verwendung einen Entwicklungsprozess des Helden aus.
"tumpheit" in den Kindes- und Jugendjahren
Weltfremdheit
Im III. Buch schildert der Erzähler Parzivals Kinder-und Jugendjahre, die er abgeschieden im Wald von Soltâne verbringt, seinen Weg zum Artushof, sowie seine Erziehung durch Gurnemanz. Insgesamt 17 von "24 "tump"-Belegen, die sich auf Parzival beziehen" [Rupp 1957: S. 99], stehen in diesem Buch, das den noch weltfremden Parzival präsentiert. Für Heinz Rupp ist die Verteilung der "tump"-Belege ein wichtiges Indiz für Parzivals Entwicklungsprozess und dessen Beurteilung durch den Erzähler. Er konstatiert, dass Parzival "[n]ie [...] im 4. Buch, das die Erwerbung der Condwiramurs schildert, nie im 5. Buch, das vom Gralsbesuch und von der versäumten Frage erzählt, und auch nie im 6. Buch, in den Geschehnissen am Artushof und bei Parzivals Absage an Gott" [Rupp 1957: S. 99] "tump" genannt wird. Während seiner Zeit in Soltâne hat Parzival nur seine Mutter [[Herzeloyde (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Herzeloyde] und die Knechtschaft als Bezugspersonen, die Parzival "an küneclîcher fuore betrogen (um königliche Lebensart gebracht -") (118, 2).[1] Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen bedingen unter anderem seine "tumpheit". Diese ist fern jeder höfischen Erziehung anzusiedeln und er befindet sich deshalb in einer Art "Rohzustand". Er besitzt "keine ausreichende Kenntnis der christlichen Religion, kein Wissen, keinen Verstand, keine moralische Unterscheidungsfähigkeit." [Bumke 2004: S. 147] Diese fehlenden Kompetenzen sind Gründe für Parzivals Verfehlungen und Sünden, die ihm später von Trevrizent angelastet werden. Die Eigenschaften, die ihm mitgegeben werden, sind jedoch vorrangig von seinem Familienerbe bestimmt: die "art" [Bumke 2004: Vgl. S. 147] und ein schönes Äußeres. Die Mischung aus seinem Familienerbe und der weltfremden Erziehung machen, Joachim Bumke zufolge, "Parzivals "tumpheit" aus." [ebd.: S. 147]
Parzival und die Ritter
Parzivals "tumpheit" wird erstmals offenkundig als er im Wald von Soltâne auf Ritter trifft (120, 26 - 124, 26). Der Erzähler stellt dieses Aufeinandertreffen mit viel Komik dar, dahinter steckt jedoch pure Unwissenheit Parzivals. Der "knappe[...] der viel tumpheit weilt (der so viel Dummheit offenbarte, [...]") (124, 16), ist geblendet von der Pracht der Ritter und glaubt, Gott vor sich zu haben. Die Ritter jedoch erklären ihm ihre Herkunft und ebnen ihm so den Weg zum Artushof.
Parzivals Fahrt zum Artushof
Sein Weg zum Artushof steht im Zeichen seiner "tumpheit". Mutter von::Herzeloyde , zutiefst verletzt von seinem Fortgang, zieht Parzival ein "tôren kleit" an. Heinz Rupp konstatiert, dass "sie [die Kleider] der äußere sichtbare Ausdruck seines inneren Zustands" [Rupp 1957: S. 99] sind. Der Erzähler verurteilt Parzival aber nicht für seine "tumpheit", sondern versteht sie vielmehr als Konsequenz einer fehlenden höfischen Erziehung, was er an mehreren Stellen kommentiert. Parzival sei "tump unde wert" - "noch so dumm und schon so edel" (126,19). Nach der gewalttätigen Begegnung mit Jeschute, die auch auf Herzeloydes missverständlchen Ratschläge zurückzuführen ist, nimmt der Erzähler Parzival aufgrund seiner fehlenden "site" erneut in Schutz.
139,15 | het er gelernt sîns vater site | Hätte er vom Vater das Betragen gelernt, |
die werdeclîche im wonte mîte, | das dem als einen rechten Ritter eigen war, | |
diu bukel waere gehurtet baz, | so hätte er bei der Gelegenheit den Schildbuckel wahrlich besser gestoßen, | |
da diu herzoginne al eine saz, | als da die Herzogin allein im Bett saß. | |
diu sît vil kumbers durch in leit. | Die mußte nachher seinetwegen viel Kummer leiden. |
Auf seinem Weg zum Artushof erklärt der Erzähler nochmals Parzivals "tumbes" Verhalten: "in zôch nehein Curvenâl: er kunde kurtôsie niht (Ihn hatte kein Curvenâl erzogen, er wußte gar nichts von der feinen Lebensart -") (144,20f). Wolfram von Eschenbach war es demzufolge wichtig, das Augenmerk auf die richtige Bewertung von Parzivals Verfehlungen zu legen. Bei Joachim Bumke wird Parzivals Verhalten als Konsequenz seines beschränkten Verstandes gesehen, [Bumke 2004: Vgl. S 148] wohingegen Rupp dafür plädiert, dass Parzival spätestens bei Gurnemanz "seine "tumpheit" genommen wird" [Rupp 1957: S. 99].
Parzival und Ither
Besonders gehäuft tritt die Verwendung des Wortes "tump(-heit)" in Bezug auf die Tötung Ithers auf. Diese Tat wird ihm später bei dem Einsiedler Trevrizent als eine seiner großen Sünden angelastet. Getrieben von der Versprechung des König Artus, die Rüstung des Roten Ritter zu bekommen, und gedemütigt vom Schlag des Ither, macht "Parzivâl der tumbe" (155,19) von seinem Speer Gebrauch und tötet Ither. Parzival "in tumber not (Parzival in der Klemme seiner Dummheit.") (156,10), wird nun von Iwânet in die Rüstung des Roten Ritter geholfen. "Parzival ist aber noch kein Ritter" [Rupp 1957: S. 100] sondern trägt symbolisch noch das "tôren kleit" unter seiner Rüstung.
Die Schönheit Parzivals als Relativierung seiner "tumpheit"
Immer wieder kommt es im Laufe der Handlung um Parzival zu einer Relativierung seiner Taten und seines "tumben" Auftretens durch sein Äußeres, welches seine "tumpheit" zu überstrahlen scheint. [Huber 1981: vgl. S. 166-167.] In seiner Schönheit wird sogar eine Verbindung zu Gott hergestellt:
Dô lac diu gotes Kunst an im. | [...], dass Gott an ihm ein wahres Wunderwerk vollbracht hatte. |
von der âventiure ich daz nim, | Der Erzählung entnehme ich, |
diu mich mit wârheit des beschiet. | die es verlässlich überlieferte |
nie mannes varwe baz geriet | dass es keinen schöneren Mann gegeben hat |
vor im sît Adâmes zît. | seit Adams Zeit. |
123, 13-17
Man kann hier eine religiöse Bestimmung vorausahnen, die durch die von Gott gegebene Schönheit garantiert ist. [Huber 1981: vgl. S. 157.]
In der ersten Begegnung mit Rittern zeigt sich die angesprochene Relativierung ganz deutlich. Parzival erkennt sich nicht als Ritter, sondern nimmt sie als Götter wahr. In genau diesem Augenblick wird auf seine Schönheit verwiesen und seine "tumbe" Tat wird durch sein Äußeres überstrahlt. Wolfram setzt diese Technik immer wieder ein. In Situationen in denen Parzivals "tumpheit" deutlich wird und er von seinem Weg abkommt, wird Bezug auf sein Äußerliches und damit seine Verbindung zu Gott genommen. [Huber 1981: vgl. S. 157.]
Weitere Informationen zu dieser Thematik stehen: hier
Fazit
Es ist klar herauszustellen, dass Parzivals "tumpheit" nicht als Naturzustand zu verstehen ist. Vielmehr ist es, wie schon erwähnt, die Folge der Erziehung durch Herzeloyde. Sie hält ihn quasi unter Verschluss vor der Welt und allem was dazu gehört und so wird er durch sein Aufwachsen im Wald von Soltane, um königliche Lebensart gebracht. (118, 1-2) Nie hat er etwas von Rittern und ähnlichem gehört und so verwundert es nicht, dass er die Ritter im Wald nicht als solche erkennt. Der Begriff der Dummheit wäre aus diesem Grund kein passender Name für seinen Zustand, vielmehr handelt es sich um eine Art Weltfremdheit. Mehrmals wird in Buch III vom Erzähler darauf hingewiesen, dass seine "tumpheit" von einer falschen oder eben nicht ritterlichen Erziehung rührt. Es erscheint so, dass Wolfram diesen Fakt als sehr wichtig für das Verständnis der Person Parzival gesehen hat. Festzuhalten ist zumindest, dass seine Taten, die er im Laufe der Handlung begeht und die daraus resultierenden Sünden, auf seine "tumpheit" zurückzuführen sind. Darüber hinaus werden seine Taten, von seiner Schönheit und der damit verbundenen Verbindung zu Gott überstrahlt und relativiert.
Forschungsliteratur
- ↑ Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
<HarvardReferences />
[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36)
[*Rupp 1957] Rupp, Heinz: Die Funktion des Wortes tump im ,Parzival´ Wolframs von Eschenbach, in: Germanisch-romanische Monatsschrift NF 7 (1957), S. 97 - 105.
[*Huber 1981] Huber,Hanspeter Mario: Licht und Schönheit in Wolframs „Parzival“. Ab- handlung zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich. Inaug. Diss. Zürich, Bern: Juris Druck + Verlag 1981.