Kämpfe mit Verwandten im Parzival - Zerstörung dynastischer Identität ?: Unterschied zwischen den Versionen

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=Erkennen und Erkennbarkeit von Verwandtschaft=
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Eine Identifizierung im Wolframs epischen Konstrukt vollzieht sich über eine gelungene Erkennung von Zeichen.  Offensichtlich wird, dass Eschenbach die Zeichen und ihre Erkennbarkeit als Probleme definiert, was sich in den - für den Protagonisten gilt dies im besonderen Maße- nahezu unauflösbaren genealogischen Vernetzungen manifestiert.Wolframs Erkenntnistheorie müsste also auf einer bestimmten Äußerlichkeit beruhen, die die natürlichen und sozialen Attribute eines Menschen in seiner äußeren Hülle offenbart und so ein Erkennen anhand der ''Oberfläche'' möglich macht.[Hahn 1977: 395.] <ref>Genaueres zu einer möglichen mittelalterlichen Erkenntnistheorie bei Ingrid Hahn.</ref>.  Nicht die die Verwandtschaftsproblematik, sondern die Vielzahl an falsch verstanden Zeichen im Parzival, weisen auf die Problematisierung der Erkennbarkeit der Zeichen und ihren zugrundeliegenden Regeln, hin.[Delabar 1990: 136-139.] Wolfgang Harm teilt dem Zeichensystem vier Kategorien zu, die den Umgang mit den Zeichen darstellen: Wissen, Erkennen, Nicht-Erkennen und Verkennen. Wichtig für Parzival ist die Kategorie des Nicht-Erkennens, die nach Harms eine Nicht-Identität des Protagonisten mit seinem eigenen Wesen diagnostiziert. Damit offenbart sich, dass Parzival durch seine Kämpfe mit seinen Verwandten nicht nur die Identität seines dynastischen Körpers zerstört, sondern auch, dass seine eigene Findung, seine Verankerung in sich selbst und in seiner Umwelt noch nicht vollzogen ist. So lange wie Parzival mit seinen Verwandten kämpft, ist seine anvisierte Idealität noch nicht erreicht. Damit definiert sich der Kampf mit Verwandten als Bewertungskriterium für Figuren im Parzival.[Harms 1963: 10.]  
Eine Identifizierung im Wolframs epischen Konstrukt vollzieht sich über eine gelungene Erkennung von Zeichen.  Offensichtlich wird, dass Eschenbach die Zeichen und ihre Erkennbarkeit als Probleme definiert, was sich in den - für den Protagonisten gilt dies im besonderen Maße- nahezu unauflösbaren genealogischen Vernetzungen manifestiert. Wolframs Erkenntnistheorie müsste also auf einer bestimmten Äußerlichkeit beruhen, die die natürlichen und sozialen Attribute eines Menschen in seiner äußeren Hülle offenbart und so ein Erkennen anhand der ''Oberfläche'' möglich macht.[Hahn 1977: 395.] <ref>Genaueres zu einer möglichen mittelalterlichen Erkenntnistheorie bei Ingrid Hahn.</ref>.  Nicht die die Verwandtschaftsproblematik, sondern die Vielzahl an falsch verstanden Zeichen im Parzival, weisen auf die Problematisierung der Erkennbarkeit der Zeichen und ihren zugrundeliegenden Regeln, hin.[Delabar 1990: 136-139.] Wolfgang Harm teilt dem Zeichensystem vier Kategorien zu, die den Umgang mit den Zeichen darstellen: Wissen, Erkennen, Nicht-Erkennen und Verkennen. Wichtig für Parzival ist die Kategorie des Nicht-Erkennens, die nach Harms eine Nicht-Identität des Protagonisten mit seinem eigenen Wesen diagnostiziert. Damit offenbart sich, dass Parzival durch seine Kämpfe mit seinen Verwandten nicht nur die Identität seines dynastischen Körpers zerstört, sondern auch, dass seine eigene Findung, seine Verankerung in sich selbst und in seiner Umwelt noch nicht vollzogen ist. So lange wie Parzival mit seinen Verwandten kämpft, ist seine anvisierte Idealität noch nicht erreicht. Damit definiert sich der Kampf mit Verwandten als Bewertungskriterium für Figuren im Parzival.[Harms 1963: 10.]  
 
Wie kommt es aber nun zu Parzivals unvollständiger eigener Identität und seiner damit einhergehenden Unfähigkeit die Zeichen seines Umfeldes richtig zu deuten? Der Ursprung dieser Dysfunktion kann nur in seiner [[Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Kindheit in Soltane]] liegen, die in ihrer Abgeschiedenheit seine Adoleszenz stark beeinflusst hat. ''[…] Erkennen als Interpretation verstehbarer Zeichen [ist] im sozialen Umfeld einerseits erlernbar und erfolgt doch andererseits gleichsam apriorisch aufgrund der Bedingungen des eigenen Sein ''[Hahn 1977: 444.] behauptet Hahn. Parzival hatte in seiner Jugend aber nur  Zugang zu einem begrenzten Zeichensystem, seine Mutter offenbarte ihm nur die für sie wichtigen Zusammenhänge. Alles was mit Genealogie, Verwandtschaft, Dynastie und damit auch eigener Identität verbunden ist, verbannte sie aus Soltane. So verhinderte sie einerseits ein grundlegendes Lernen des Zeichensystems und andererseits lähmte sie Parzivals Identitätsbildung.


Wie kommt es aber nun zu Parzivals unvollständiger eigener Identität und seiner damit einhergehenden Unfähigkeit die Zeichen seines Umfeldes richtig zu deuten? Der Ursprung dieser Dysfunktion kann nur in seiner [[Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Kindheit in Soltane]] liegen, die in ihrer Abgeschiedenheit seine Adoleszenz stark beeinflusst hat. ''[…] Erkennen als Interpretation verstehbarer Zeichen [ist] im sozialen Umfeld einerseits erlernbar und erfolgt doch andererseits gleichsam apriorisch aufgrund der Bedingungen des eigenen Sein ''[Hahn 1977: 444.] behauptet Hahn. Parzival hatte in seiner Jugend aber nur  Zugang zu einem begrenzten Zeichensystem, seine Mutter offenbarte ihm nur die für sie wichtigen Zusammenhänge. Alles was mit Genealogie, Verwandtschaft, Dynastie und damit auch eigener Identität verbunden ist, verbannte sie aus Soltane. So verhinderte sie einerseits ein grundlegendes Lernen des Zeichensystems und andererseits lähmte sie Parzivals Identitätsbildung. 
=Zerstörung dynastischer Identität an drei Beispielen=
=Zerstörung dynastischer Identität an drei Beispielen=



Version vom 13. Juli 2015, 16:53 Uhr

Hinweis: Dieser Artikel entsteht derzeit im Rahmen des Haupt- und Oberseminars zu Wolframs Parzival (Sommersemester 2015) und befindet sich noch in der Entstehung und wird deshalb noch häufig überarbeitet werden.

Im Fokus dieses Artikels soll nicht die Beschreibung der Kämpfe[1]stehen, sondern es soll geklärt werden, welche Funktion[2] sie haben. Kann das Sippenparadoxons Wolframs aufgelöst werden, das beinhaltet die Ritter oftmals ihre eigenen Familienmitglieder bekämpfen, um zu Ehre und Ruhm zu kommen? Und in welcher Beziehung stehen diese Kämpfe zu der dynastischen Identität der Männer.

Sein oder Nicht sein - eine genealogische Frage

Dass Kämpfe zwischen Verwandten vom moralischen Aspekt betrachtet zu verneinen sind, ergibt sich von selbst. Doch diese Auseinandersetzungen haben im Parzival von Wolfram von Eschenbach noch einer weitere brisante Komponente, durch die Konnex von Identität und Genealogie[3]. "Sozialisation ist zu Wolframs Zeiten in erster Linie an Identifikation des Individuums mit seiner Familie geknüpft, die ihre Bedeutung im Kontext der hochmittelalterlichen Gesellschaftsstruktur, ihre Privilegien und den gesellschaftlichen Rang, kurz ihre Daseinsberichtigung aus der Tradition ihrer Herkunft ableitet. [...] Daher kommt dem der Genealogie als Medium des Selbstverständnisses des Individuums in jener Zeit eine heut kaum noch zu ermessende Bedeutung zu. [Sutter 2003: 216] So lässt sich erklären, dass Kämpfe mit Verwandten eine Funktion innerhalb des epischen Konstruktes haben müssen, die Folgenden dargelegt werden soll.

Erkennen und Erkennbarkeit von Verwandtschaft

Eine Identifizierung im Wolframs epischen Konstrukt vollzieht sich über eine gelungene Erkennung von Zeichen. Offensichtlich wird, dass Eschenbach die Zeichen und ihre Erkennbarkeit als Probleme definiert, was sich in den - für den Protagonisten gilt dies im besonderen Maße- nahezu unauflösbaren genealogischen Vernetzungen manifestiert. Wolframs Erkenntnistheorie müsste also auf einer bestimmten Äußerlichkeit beruhen, die die natürlichen und sozialen Attribute eines Menschen in seiner äußeren Hülle offenbart und so ein Erkennen anhand der Oberfläche möglich macht.[Hahn 1977: 395.] [4]. Nicht die die Verwandtschaftsproblematik, sondern die Vielzahl an falsch verstanden Zeichen im Parzival, weisen auf die Problematisierung der Erkennbarkeit der Zeichen und ihren zugrundeliegenden Regeln, hin.[Delabar 1990: 136-139.] Wolfgang Harm teilt dem Zeichensystem vier Kategorien zu, die den Umgang mit den Zeichen darstellen: Wissen, Erkennen, Nicht-Erkennen und Verkennen. Wichtig für Parzival ist die Kategorie des Nicht-Erkennens, die nach Harms eine Nicht-Identität des Protagonisten mit seinem eigenen Wesen diagnostiziert. Damit offenbart sich, dass Parzival durch seine Kämpfe mit seinen Verwandten nicht nur die Identität seines dynastischen Körpers zerstört, sondern auch, dass seine eigene Findung, seine Verankerung in sich selbst und in seiner Umwelt noch nicht vollzogen ist. So lange wie Parzival mit seinen Verwandten kämpft, ist seine anvisierte Idealität noch nicht erreicht. Damit definiert sich der Kampf mit Verwandten als Bewertungskriterium für Figuren im Parzival.[Harms 1963: 10.]

Wie kommt es aber nun zu Parzivals unvollständiger eigener Identität und seiner damit einhergehenden Unfähigkeit die Zeichen seines Umfeldes richtig zu deuten? Der Ursprung dieser Dysfunktion kann nur in seiner Kindheit in Soltane liegen, die in ihrer Abgeschiedenheit seine Adoleszenz stark beeinflusst hat. […] Erkennen als Interpretation verstehbarer Zeichen [ist] im sozialen Umfeld einerseits erlernbar und erfolgt doch andererseits gleichsam apriorisch aufgrund der Bedingungen des eigenen Sein [Hahn 1977: 444.] behauptet Hahn. Parzival hatte in seiner Jugend aber nur Zugang zu einem begrenzten Zeichensystem, seine Mutter offenbarte ihm nur die für sie wichtigen Zusammenhänge. Alles was mit Genealogie, Verwandtschaft, Dynastie und damit auch eigener Identität verbunden ist, verbannte sie aus Soltane. So verhinderte sie einerseits ein grundlegendes Lernen des Zeichensystems und andererseits lähmte sie Parzivals Identitätsbildung.

Zerstörung dynastischer Identität an drei Beispielen

Parzival vs. Ither

Parzival hat nach seinem Auszug aus Soltane kaum Lebensbewältigungsstrategien, die ihm in dieser neuen fremden Welt zur Verfügung stehen. Um in dieser zerstörerischen und verwirrenden Welt Fuß zu fassen, bleibt ihm nur die aggressive Durchdringung der fremden Umwelt oder die Resignation und den Untergang, er entscheidet sich für die erste Option. [Sutter 2003: 217] Auf diesem Weg begegnet er nun Ither.[Die beiden] treffen sich auf ihren jeweiligen Wegen nach außen bzw. nach innen. Parzival kommt aus von außen und hat den Artus-Hof und damit die Artus-Sippe zum Ziel. Ither kommt von innen, vom Artushof und hat, ausgedrückt in seiner Forderung an Artus, das Außen , seinen Selbstausschluß, zum Ziel.[Delabar 1990: 106.] Die durch reine Aggression vollzogene Tötung von Ither verschafft Parzival "Lebensraum" [Sutter 2003: 217]und zugleich initiiert sie den Beginn von Parzivals Einführung in den Habitus des weltlichen Ritters. Hier beginnt er seine Adoleszenz abzuschütteln und eine neue Identität herauszubilden. Gleichzeitig offenbart sich die Komplexität und die genealogische Verwicklungen des adeligen Standes.

Bezeichnenderweise wird Parzival bei seinem ersten Kontakt mit einer Sippe[5] sogleich von dieser instrumentalisiert, ihre Konflikt zu lösen. An dieser Stelle eröffnet sich das erste mal Parzivals Paradoxon in ganzer Signifikanz. Obwohl er ein Sippeninterner ist, gelingt es ihm nicht, in diese Position zu schlüpfen. In dieser Situation wird er auch von seinen Mitmenschen als Außenseiter angesehen und so für die Lösung sippeninterner Konkurrenzproblematiken ausgenutzt. Während die meisten der Personen denen Parzival im Laufe seiner Reisen begegnet, seine dynastische Kollektivität bemerken, bleibt es ihm bis zum Ende des Werkes verwehrt, sich selbst und andere in den Sippenkörper einzuordnen.

Im Gegensatz zu Parzival kann Ither seine Herkunft an seinem Körper identifizieren und begrüßt ihn daraufhin als junchêrre (145, 10).

Ithers Tod gilt als eine der drei Sünden Parzivals. Nie wieder trifft der Vorwurf der realen Verletzung seines eigenen Sippenkörpers so stark zu Tage wie bei dieser ersten ritterlichen Tat des Iuvens (475, 22-27/ 689,5 / 689, 7- 690, 2)[6].:

Original Übersetzung
du hâst dîn eigen verch erslagen.

[…] sît daz ir bêde wârt ein blout,



Du hast dein eigenes Leben und dein Fleisch ermordet:

Ihr beide wart ein Blut.


(475, 21ff. )

Hier geht es aber nicht nur um eine moralische Verletzung die dem Sippenkörper zugeführt wird, sondern vielmehr um eine real-physische Läsion. Indem er seinem dynastischen Verband eines wertvollen Mitgliedes beraubt, vermindert er sowohl die soziale, als auch die macht-politische Stellung dieser und letztendlich auch seiner eigenen Identität.[Czerwinski 1998: 151.]

Parzival vs. Gawan

Dieser Konflikt zwischen Parzival und Gawan nimmt hinsichtlich der Verwandtschaftsproblematik eine erhöhte Brisanz gegenüber dem Ither-Kampf ein, hat doch Parzival seine standesspezifische Sozialisation weitestgehend nachgeholt. Trotzdem weist er immer noch eine spezifische individuelle Zeichenlosigkeit in Bezug auf seine Sippen auf. Der Ritter weist sich in keiner der bekannten Weisen, durch ein Wappen oder Zimmer aus und benutzt keine verbale Konfliktvermeidenden Kommunikation, indem er seinen Namen nennt oder nach dem des Gegners fragt.[Delabar 1990: 154f.] Diese Zeichenlosigkeit Parzivals ist durch seine defizitäre eigene Identität bedingt, denn obwohl er sich als Ritter instituiert hat, hat er sein volles Wesen mit seinen Verbindungen zu den großen Dynastien nicht begriffen und so ist Parzival immer noch ein Fremder gegenüber seiner eigenen Identität.

Gawans Identifizierung seines Verwandten misslingt aufgrund dieser Zeichenlosigkeit Parzivals in Bezug auf seine Sippe, zudem verwirrt der cranz Gawan, den Parzival fälschlicherweise als Gramoflanz ausweist.(679, 18-22) Seine orientalisch anmutende Rüstung verweist ihn auf den Platz eines Externen und grenzt ihn somit aus Gawans Kontext aus. (PASST DAS NOCH ZU HEGEL?)

Die Kollision zwischen den beiden größten Rittern ihrer Dynastien wird gleich zu Beginn des Kampfes vollkommen ad absurdum geführt:

Original Übersetzung
'wênc gewunnen, vil verlorn

hât swer behaldet dâ den prîs:

der klagt doch immer, ist er wîs .


Wenig gewonnen, viel verloren

hat derjenige von ihnen, der dort die Oberhand behält

Klug geworden muss er seinen Sieg beweinen.

(680, 4ff. )

Auf Grund ihres Verwandtschaftsverhältnisses ist die Kollision von Anfang an zum Scheitern verurteilt, würde ja ein Sieg des Einen gleichzeitig eine Verletzung des eigenen Sippenkörpers bedeuten. Hier stehen sich die beiden Grundsätze triuwe als Inbegriff des richtigen Sippen-Verhaltens und Ehre als Inbegriff adeliger Idealvorstellungen gegenüber und scheinen sich wechselseitig auszuschließen. Paradoxerweise eröffnet Gawan diesen Kampf ja nur, weil der denkt Parzival sei Gramoflanz (679, 14-22). Mit dieser Konfrontation will er also die Reputation seiner Sippe wiederherstellen und die Anschuldigungen sühnen, aber durch seine Unfähigkeit, Parzival als Teil seines Sippenkörpers zu identifizieren, schadet er seinem eigenem dynastischen Verband. Die Anmerkung über die wîs offenbart hier zusätzlich, dass Ehre und Gewaltverzicht nicht miteinander im selben Paradigma des ritterlichen Habitus bestehen können.[Delabar 1990: 162.]

Während Gawans Motivation für diese Auseinandersetzung zumindest klar umrissen ist[7] gestaltet sich Parzivals Agens heterogen. Er ist rein von der Ehr-sucht der feudalaristokratischen Männerwelt angetrieben. Den vermeintlich gleichrangigen Krieger muss er automatisch bekämpfen, um seiner ritterlichen Erfüllung zu entsprechen. Obwohl beide Heroen ihre Identitätseinheit durch den gemeinsamen Sippenkörper nicht erkennen, muss sich Gawan im epischen Konstrukt nicht mit den Vorwürfen, sein eigenen Leib im Kampf verletzt zu haben, konfrontieren lassen. Zusätzlich bekennt auch nur Parzival sich schuldig am Kampf: schuldec ich mich ergeben wil(688, 28), während Gawan nur über den verlorenen Kampf und dem damit einhergehenden Ehrverlust klagt (689, 9-21.) Dieser scheinbare Gegensatz lässt sich Hegels Theorie [8] folgend demgemäß auflösen. Da Parzival diese Kollision für sich entscheiden kann, hat er den Kampf nicht nur verschuldet, sondern auch von Zaun gebrochen. Daraus ergibt sich seine Erfolgshaftung. Die Annahme, dass Dynastie als ganzer Körper, der sich aus seinen Mitgliedern konstituiert, angesehen wird, beweist das Bild, welches vom Kampf gezeichnet wird:

Original Übersetzung
erkantiu sippe unt hôch geselleschaft

was dâ mit hazlîcher kraft

durch scharpfen strît zein ander komen.



Ungeleugnete Verwandtschaft und dazu edle Freundesliebe zwischen Rittern

war ja hier in einem Kampf mit sich selber aneinandergeraten,

der wurde erbittert und mit harten Waffen geführt.


(680, 13ff. )

Beendet wird der Kampf durch ein kommunikativ einschreitendes Moment in Form von Kindern, die Gawans Namen rufen.(688, 17f.) Bezeichnenderweise fällt hier Gawans Namen und nicht Parzivals, sodass seine Identität hinter die seines Kombattanten zurücktritt, bedingt durch ihre defizitäre Ausprägung.

Im Gegensatz zu seinem ersten Kampf mit einem genealogisch Verbundenem, erkennt Parzival nach Abschluss, dass er gegen einen grundlegenden Punkt des Sippenkodex verstoßen hat.(688, 19- 689, 8.) Dies verdeutlicht, dass er mittlerweile die Systematik des Sippenkörpers durchaus verstanden hat, sie aber nicht in der Praxis erkennen und umsetzen. Diese Entwicklung Parzivals, sein Verstehensprozess wird auch von Gawan angesprochen: hiest krumbiu tumpheit worden sleht(689, 26.). Ein vollkommenes Verstehen der Regeln und Normen des genealogischen Konstruktes ist erst möglich, wenn die eigenen Position in diesem Geflecht klar umrissen und erkannt ist.

Parzival vs. Feirefiz

In Parzivals Kampf mit seinem Halbbruder offenbart sich mit aller Konkretheit die Korrelation der beiden Identitätsräume ??? der Adeligen. Obwohl Parzival am Ende seiner Reise steht, ist es ihm nicht gelungen auf den Stationen seiner Identitätsvervollständigung seine eigenen Sippenbindungen vollständig zu entschlüsseln. Damit bleibt ihm bis zum Ende die vollständige Erkennung des Geflechts seiner genealogischen Relationen verborgen und so ist sein Kampf mit seinem Bruder unabwendbar. Weil es ihm nicht gelingt sich selber über und mit seiner Sippe zu definieren, kann er auch seine Verwandten nicht erkennen und schädigt so zwangsläufig seinen eigenen Sippenkörper.

Original Übersetzung
mit dir selben hâstu hie gestritn.

gein mir selbn ich komm ûf strît geritn,

mich selben het ich gern erslagn:


Mit dir selber hast du hier gekämpft.

Der mir gegenüberstand , als ich in den Ring geritten kam, das war ich.

Mich selber hätte ich gern totgeschlagen .

(752, 15 ff. )


Der Ausgang dieses Kampfes ist bezeichnend für Parzivals Stagnation. Wie bei Ither und Gawan ist es ihm nicht möglich seine Verwandtschaftsbeziehungen zu erkennen und einen Kampf zu vermeiden. Nicht er beendet den Kampf sondern, Gott muss es tun. Die Analogie zum Itherkampf wird durch seine Waffen nicht einmal verstärkt (744, 15-18.). Dass er immer noch das gestohlene Schwert seines ersten Kampfes benutzt, offenbart seine Stagnation in der geraubten Identität des Ithers. Denn besonders im Kampf offenbahrt sich die Identität vor allem über das Äußere. Waffen, Rüstung, Wappen und sogar das Reittier geben dem Gegner aufschlussreiche Hinweise, wer sich unter der Rüstung befindet. Dass solche eine symbolische-abstrakte Kommunikation bei Kollisionen im Vordergrund stehen, wird auch bestärkt durch das völlige Fehlen einer verbalen vermittelnden Kommunikation. Den hohen Wert der damit der ritterlichen Ausstattung zugesprochen wird, verkennt Parzival völlig, indem er die gestohlene Rüstung des Ithers trägt. Es ist ihm nicht gelungen seine eigene Identität zu schaffen, deshalb nutzt er die gestohlene, um nicht identitätslos zu erscheinen und schlussendlich aus der adeligen Welt ausgestoßen zu werden.

Dass Parzivals Defizit jedoch weit größer ist, als das anderer Standesgenossen macht Feirefiz Verhalten deutlich. Er gesteht seine Niederlage, bietet Waffenruhe an, offenbart seinen Namen und sein Geschlecht, obwohl sein Bruder ihm das verweigert (744, 29- 745, 30). Hier treten Parzivals zwei Identitätsräume miteinander in Konflikt, einerseits seine Zugehörigkeit zu seiner Sippe und andererseits seine Ritteridentität. Eine zuerst erfolgende Namensnennung von Parzivals Seite würde seinen Kombattanten einen Wissenszuwachs zusprechen, der sich nicht synchronisch auf beide Krieger bezieht. Damit wäre der Gegner in der Lage über Fortgang oder Abbruch des Kampfes zu entscheiden, auf der Basis von genealogischen Verflechtungen. Dadurch findet eine Hierarchisierung der Kombattanten satt, indem die Machtposition des Gegners, durch die Verfügungsgewalt über das Instrument der Gnade, gestärkt wird. Wie oben bereits ausgeführt bestimmt sich die Ehre als konstitutives Merkmal von Persönlichkeit und wo die Tapferkeit das Herzstück der Ehre darstellt, muss umgekehrt die Einheit als Zerstörung von Prestige und damit auch Identität bedeuten. [Haubrichs 1996:47] Abbruch eines Kampfes würde für Parzival damit in den Wirkungsbereich von Feigheit eintreten, die zulasten seiner Identität geht, da er Kommunikation begonnen hat, die zum Kampfabbruch führte. So versteht Parzival den sippeninternen Gewaltverzicht nicht als pazifizierendes Moment, um die Stabilität und Kontinuität der Sippe zu sichern, sondern von einem personellen, kriegerischen Standpunkt als Unterdrückung seines ritterlichen Identitätsbegriffes, der auf Ehre, Unbesiegbarkeit und Ruhm fußt. So verstößt der Held gegen die Regel der Kampsansage, die gerade dazu dient, den Kampf unter Verwandten auszuschließen und den Grund für den Kampf zu klären.[Urscheler 2002:225] Zusätzlich zieht sich das Motiv der kommunikativen Unfähigkeit Parzivals, bedingt durch seine Isolation sowohl in der Kindheit als auch auf seinen Aventiurefahrten, durch das gesamte epische Konstrukt, auf die Spitze getrieben bei Anfortas unterlassenen Frage.[Ridder 2004: 48.]

Obwohl Parzival nach seinem Besuch bei Trevrizent eindeutig als Repräsentant des Grals angesehen werden kann, sieht er seine strukturelle Gleichheit zu seinem Bruder nicht. Dies manifestiert sich durch seine formale Unterordnung: daz ich iu duzen biete, swenn ich mich zühte niete. (749, 29f.). [Delabar 1990: 179]Dies wiederum beweist, dass Parzival im Kontrast zu seinem Bruder immer noch nicht seine eigene Identität und damit Rolle im Sippenkörper erforscht hat.

Die Auseinandersetzung mit seinem Bruder unterscheidet sich qualitativ vom Gawankampf Parzivals. Wolfram hebt in diesem Fall öfter die Verletzung der eigenen Integrität hervor als bei Gawan. Daraus lässt sich ableiten, dass es innerhalb der Verwandtschaftsbeziehungen hierarchische Abgrenzungen gibt. Je enger die genealogische Verflechtung ist, um so mehr gehören die Figuren einer Identität einem Körper an. [Delabar 1990: 173.] Ohne jeglichen dynastischen Instinkt bedarf es erst eines sekundär vermittelnden, verbalen Anstoßes (Nennung der Herkunftsbezeichnung), um Parzival auf den richtigen Weg zu bringen. Er geht noch einen Schritt weiter, verlangt einen sichtbaren Beweis für die Verwandtschaft, durch das Abnehmen des Helmes. Andere Helden des epischen Konstruktes gelingt es hingegen in ihm unmittelbar ihren eigenen Sippenkörper zu erkennen, ohne Parzival zu identifizieren. (755, 26-29 weitere Belege) [Czerwinski 1998: 154f.]

Unvermeidbarkeit der Kämpfe?

Warum aber kommt es so häufig zu Kämpfen zwischen Verwandten, wenn sie doch identitätsvernichtend für das Individuum und den Sippenkörper sind? Diese Zwangsläufigkeit der Anarchie, die sich gegen die kriegerische Gesellschaft selbst richtet, wird auch direkt vom Erzähler in Bezug auf Parzival und Feirefiz kritisiert: ôwê, sît d'erde was sô breit, daz si ein ander nicht vermiten(737, 22f.) Es stellt sich hier also die Frage nach der Funktion dieses bestimmten gewalttätigen Aktionismus.

Parzival vs. Ither

Nach seiner ersten Begegnung mit den Rittern im Wald, ist Parzival wie berauscht von der Ausstattung des Ritters. Auch wenn Karnahkarnanz ihm erklärt, dass eine Instandsetzung als Ritter nur über den Artushof zu realisieren ist, bleibt doch dieser erste Anblick, das Staunen über die Rüstung bei Parzival bestehen.(212, 13-123, 11) Deshalb ich es folgerichtig, dass er Ithers Rüstung fordert um seine eigene ritterliche Erfüllung zu vollenden. Für ihn sind das äußere Zeichen des Ritters, der Identifikationsfaktor der Rüstung, und das Verhaltensmuster, das daran geknüpft ist, noch nicht unterscheidbar. [Sosna 2002: 175] Bezeichnenderweise wird Parzival aber nicht durch diese Rüstung zu einem Krieger, sondern dar inne ich Ritter werden muoz (154. 7). Sein Ritter-Sein ist an diese Rüstung gebunden, weshalb er sie auch bis zum Ende des Buches weiter tragen wird, ohne eine individuelle personalisierte Kampfausrüstung auszuwählen, obwohl sie als Zeichen seines fundamentalen Fehlers fungiert: Sus sint diu alten wâpen mîn ê dicke und aber worden schîn(689, 1f.). Damit bringt er zwar seine ritterliche Erfüllung voran, nicht aber seine Identitätsausbildung, denn diese ist mit der Rüstung nur geliehen. Diese Problematik wird noch einmal verdeutlich, indem es Parzival nicht möglich ist Harnisch von Ither zu lösen und sich selbst zu rüsten.(155, 19-156, 24.) Die problamtische Übernahme der Kampfesausstattung beweist einerseits den illegitimen Vorgang, der Parzival die Rüstung einbrachte und er fundiert den Aspekt, der Identitätsübernahme, die ebenfalls nicht dem Idealfall entspricht. Jene Identität, die vollends über Äußerlichkeiten definiert wird, muss an sich schon defizitär sein und entspricht einer genealogisch nicht fixierten Pseudoidentität[9] [Sutter 2003:217], die Parzivals mangelnden dynastischen Instinkt erklärt. Trotzdem gelingt ihm erst durch die Auseinandersetzung mit Ither der Eintritt in die höfisch-ritterliche Umwelt und damit ist sie der Movens seiner feudalaristokratischen Entwicklung. Paradoxerweise ist nun diese Konfrontationen zugleich identitätsvernichtend aber auch die Grundlage seines Identitätsbildungsprozesses. Wenn auch diese Tat der Auftakt einer sich steigernden Linie des Unheils für Parzivals ist, so initiiert sie gleichzeitig auch den Beginn seiner ritterlichen Erfüllung.

Aber warum bedarf es hier eines Verwandten, um Parzivals ersten Kampf und somit den Beginn seines Ritter-Dasein anzutreiben? Seine grundlegende Problematik im gesamten epischen Konstrukt wird eine Ungewissheit gegenüber seinen eigenen Sippen sein, eine tumpheit, die ihn immer wieder in schwere Konflikte führt. Ausgangspunkt seines Defizits ist dabei eine gewisse Ambivalenz, ein gleichzeitiges sippeninternes und sippenexternes Moment, das er fast bis zum Ende nicht überwinden kann. Ausgelöst durch seine Kindheit im Exil und verschärft durch die Identitätsübernahme von Ither, der als Sippeninterner über den Weg des Ausstiegs[10]. aus dieser, versucht ihre Spitzenposition zu belegen[Delabar 1990: 102.] manifestiert sich diese Doppelseitigkeit seines Inneren. Diese erste Kampf mit einem Verwandten ist also unvermeidbar, um die Grundlage für Parzivals späteres Versagen in Bezug auf seinen Sippenkörper zu legen. Zudem erlangt Parzival durch diese erste Sünde seine einzigartige Zwischenstellung, die seinen Weg zwischen Schuld und Überhöhung bestimmt und Strukturierungsgrundlage des überdimensionalen Handlungsgeflechts des Romans ist.[Huber 1996: 61]

Gawan vs. Pazival

Adelige Idealvorstellungen machen es unvermeidbar auf der Jagd nach strît und minne nach immer höheren Zielen und stärkeren Gegnern zu streben. Macht man sich die statuszuweisende Rolle der Ehre im höfischen Roman klar, kristalisiert sich heraus, dass sie ein nach Außen gerichtetes Gut ist, ein guter Name, der vor allem coram publico von Bedeutung ist. Haubrichs spricht bei einem Ehverlust von einer dem Menschen als unbelegte Puppe. Fällt die Ehre ist ist das Leben gefallen.[Haubrichs 1998:36]. Vor dieser Folie erkennt man den Movens dieses Kampfes deutlich. Demgemäß entspringt die größte Ehre, durch einen Sieg gegen den gewaltigsten Gegner. das gerade Gawan dieser gleichrangige Kontrahent ist, verdeutlicht sich durch seine genealogischen Voraussetzungen, die mit den von Parzival gleichziehen: ûz der tjoste geslehte / wârn si bêde samt erborn,. (680, 2f.) impliziert, dass sie gleichrangige Gegner sind und um der Ruhmmaximierung Folge zu leisten ist ein Kampf unvermeidbar. Bekräftigt wird dieses Bild durch die folgende Darstellung des Kampfes der beiden Kombattanten: ein kampf, daz nie wart gesehn / herter strît mit swerten. (691, 20f.) oder Parzîval mit mannes wer / het den prîs behalden […] (694, 26f. und weiter bis 695, 7). Obwohl dieses Gefecht gegen den fundamentalen sippeninternen Gewaltverzicht verstößt, ist der Ehrzuwachs für Parzival enorm. Dass er sich gegen den besten Krieger des Artushof durchsetzten konnte, bringt ihn seiner ritterlichen Erfüllung näher und so lässt sich dieser Verwandtenkampf legitimieren.[11].

Parzival vs. Feirefiz

Wieso nun muss dieser Endkampf zwischen Parzival und seinem Bruder stattfinden, haben sie doch von allen Kämpfenden die engste verwandtschaftliche Verbindung? Der Erzähler beantwortet diese Frage zu Beginn des Kampfes: Sîn gir stuont nâch minne unt nâch prîss gewinne (736, 1f.). Der letzte größte am schwersten zu besiegende Ritter ist Feirefiz:

Original Übersetzung
sît ez sich hât an den gezogt

in bestêt ob allem strîte ein vogt

Uf sînr unverzagten reise.


Denn es ist dahin geraten,

wo sich ihm einer entgegenstellt auf seiner Heldenfahrt

der mehr als aller Krieg gewaltig ist.


( 734, 29-735, 19 zusätzlich reflektiert die Darstellung seiner Reichtümer (739, 9-30) Feirefiz Identität als letzter Gegner Parzivals. Für beide Kombattanten gilt, dass ihre ritterliche Identität und Ehre nur vollkommen ist, wenn sie diesem letzten Gegner gegenüberstehen, weshalb auch Sweaters herze Trumme freuen jach (738, 6). Wenn sich auch beide nicht ihren genealogischen Verstrickungen bewusst sind, so ist es doch das Bewusstsein, dass dieser Kampf sie beide endgültig ihrer ritterlichen Erfüllung zuführt.

Dass dieser Kampf unvermeidlich ist wird weiterhin deutlich, wenn man sich ihren symbolisch-genealogischen Ursprung anschaut:

Original Übersetzung
den lewen sîn muoter tôt gebirt:

von sîns vater galme er lebendec wirt.

dise zwêne wârn ûz krache erborn,

von maneger tjost ûz prîse erkorn:

Der Löwe wird bekanntlich von seiner Mutter tot geboren,

und erst das Brüllen seines Vaters macht ihn dann lebendig.

Jene zwei waren aus brüllendem Schlachtenlärm geboren,

viele Tjosten hatten sie als die rechten Erben des Ruhms anerkannt. (738, 19-22 )

Lebendig werden beide Männer erst durch den Akt des Kampfes, ihre Bestimmung ist folglich auch nur durch diesen zu erreichen. Pazivals und Feirefizs Konformität, entstanden durch ihren gemeinsamen Ursprung, durch ihr gemeinsames Schicksal, muss sie zwangsläufig zueinander führen. Ihr Leben beginnt mit dem Akt des Kampfes und so müssen auch ihre Jahre der Identitätsfindung mit einem solchen Akt schließen, denn erst dieser Zusammenprall offenbart ihnen beiden ihre gesamte dynastische Identität. [12] Zudem ist die Kollision auch aus der internistischen Motivation beider Heroen unvermeidbar. Um ihre ritterliche Erfüllung vollenden zu können, streiften sie jahrelang durch ihre Welten und bekämpften zahlreiche Krieger, um der Ehre willen. Jetzt stehen sie sich gegenüber, als größter Krieger ihrer Generation, als die einzig angemessenen Gegner. Die adeligen Idealvorstellungen treiben beide in diesen Kampf um die höchste Ehre und den größten Ruhm. Dieser Endkampf der beiden am weitesten entfernten Punkte der Dynastie besiegelt letztgültig die […] Einheit der Edelsten im Bilde des dynastischen Körpers, in dem einer kollektiv-reflexiven Korporal-Identität: corpus mysticum.[Czerwinski 1998: 151.] Zudem wird hier der kosmologische Anspruch des Konstruktes Sippe deutlich, der über alle Grenzen hinaus bindend und einheitsstiftend wirkt.[Delabar 1990: 172.] Die Kollision der beiden Kombattanten wird aber auch noch aus religiöser Sicht motiviert, das Gott […]in sorge freude kunde wern (741, 30). Erst der Leidensweg, angefangen über Parzivals Äther-Mord bis hin zu dem verhängnisvollen Bruderkampf, kann ihm seine Bestimmung offenbaren, seine Position als Graskönig und vollkommene Integration in den Sippenkörper.

Wo aber liegt die Ursache in Parzivals fehlendem dynastischen Instinkt? Was unterscheidet ihn so grundlegend von den anderen Rittern seiner Gegenwart? Dafür kann nur seine Kindheit in Soltane verantwortlich gemacht werden. Im Gegensatz zu seinen Lebensgenossen wurde ihm eine aristokratisch-standesgemäße Kindheit versagt. Eine Adoleszenz, die im wesentlichen den Mann auf seine Rolle in der Welt vorzubereiten hat. [Sosna 2003: 168] Das führt zu einer genealogischen Beziehungslosigkeit, normbewehrte, rechtliche und moralische Pflichten bleiben ihm unbekannt und eine greifbare Gotteslehre wird nicht erkennbar.[Münkler 2015: 104f.] Durch seine Exklusion aus der Adelswelt ist es ihm nicht möglich, den Aggregatzustand aristokratischer Identität, d.h. die isolierte Besonderheit einzelner Körper aufhebende und übergreifende Allgemeinheit, vollständig zu begreifen. Da er diese Kollektiv-Identität nicht erfassen kann, kann er folgerichtig auch nicht die Mitglieder dieses Kollektivs erkennen und muss scheitern im Zusammenprall mit seinen Verwandten.

Der These dieses Artikels folgend, bildet die Dynastie das wichtigste identitätsstiftende Element im epischen Konstrukt Wolframs. Wieso spielt dann Gewalt überhaupt noch eine Rolle im Leben der Heroen? Das Konzept einer Sippe versteht sich durch die Exklusion von der Außenwelt und der Inklusion einer bestimmten Mitgliederanzahl, bestimmt durch Geburt. Eine erfolgreiche Existenz dieses Mikrokosmos beruht unter Anderem auf seiner Machtausübung, die vor allem auf der Fähigkeit zur Gewaltausübung besteht. Diese ist nur gewährleistet, wenn man fähige Krieger in den eigenen Reihen hat. Kurz gesagt, die Dynastien bei Wolfram verfügen nicht über ein Gentilcharisma, sondern Verwandtschaft muss im übertragenen Sinne verdient sein. Diesem Prinzip folgend reist Gahmuret in den Orient um Ruhm und Ehre zu erlangen BELEG, Gawan präsentiert vor Artus seinen gesamten Reichtum BELEG und Parzival kann seinen Bruder nicht duzen, weil er ihn für mächtiger hält (749, 18-30). [Czerwinski 1998: 156.]


--> Vergleich zu Ither Bedeutung des ersten Kampfes

Fazit

Der Kampf mit den Verwandten ist mit doppelter Funktionalität belegt: Einerseits ist er ein Zeichen für das Noch-Nicht-Gelingen einer Identität, die nicht mehr in einer bewussten Körper-Kollektivität liegt, sondern im Körper einer reflexiven Dynastie. Andererseits ist er ein Zeichen einer sich vollendenden adeligen Identität.[Czerwinski 1998: 149.] Damit sind die Kämpfe mit den Verwandten zugleich identitätsvernichtend und identitätsbildend und verweisen damit auf das Grundparadoxon einer Elite, die sich durch ein Gewaltmonopol definiert, welches sich zwangsläufig immer gegen sich selbst richtet, aber ohne diese Gewaltfähigkeit ihre eigene Identität verlieren muss. Dabei fungiert Gewalttätigkeit einerseits als individuelles Bewährungsfeld für Krieger, wie im Gawankampf dargestellt oder als als Mittel der sozialen Konfliktlösung wie im Itherkmapf.[Ridder 2004: 42.] In den Kämpfen ist die Dialektik des adeligen Körpers auf die Spitze getrieben. Sippe und Gewalt stehen sich kontradiktorisch gegenüber, können aber ohne einander nicht existieren.[Czerwinski 1998: 153.] Gewalt ohne Sippe würde eine anarchische Welt bedingen und Sippe ohne Gewalt würde die Exklusivität und Abgrenzung dieser Dynastien unmöglich machen. Daraus ergibt sich, dass die Kämpfe mit Verwandten nicht vermeidbar sind. Sie sind kein Antagonismus von Ehre und kolossalem Fehltritt, welcher ex negativo didaktisch auf das Richtige weist. Sie spiegeln vielmehr den Dualismus der adeligen Welt wieder, stiften die Identität der Kriegergemeinschaft erst und sind damit Bestandteil von ihr.[Ridder 2004: 51.]

Sutter 204: Individuum tritt hinter Familie zurück Der einzelne wird vom anderen zunächst als als Vertreter seiner Abkunft erkannt und er st inwzeiter Linie als Person Realität : Menschen besaßen nicht zuerst eine Idividualidientität sondern eine standen Familien und religiöse identität Geschichtsbewusstsein bei Wolfram über als denken in eigenen familiengeschichtlcihen zusammenhängen

Die Identitätsstiftende Wirkung der Kämpfe wird nochmals verdeutlicht, dass Parzival gegen Gawan und Feirefiz kämpft, ohne sie zu erkennen. Dadurch wird klar, dass diese Kämpfe wichtig sind für seine ritterliche Vollendung. Um sie überhaupt geschehbar zu machen, darf Parzival seine Verwandten nicht erkennen, sonst müssten die Kämpfe abgebrochen werden.

Die zugrundeliegende Problematik offenbart sich nochmals im identifikationsbestimmenden komplementären System von sippenexterner Gewaltidealisierung und sippeninternem Gewaltverzicht, die nicht in Widerspruch zueinander stehen dürften, was aber wie im epischen Konstrukt bewiesen, nicht möglich zu sein scheint.[Delabar 1990:55; 71 ]

Anmerkungen

  1. Der Artikel Vergleich allgemeiner Formen von Verwandtschaftskämpfen in der höfischen Dichtung und im Parzival schlüsselt die Handlungsschemata der Kämpfe auf und ergänzt damit den folgenden Artikel und sein Verständnis.
  2. Welche Funktion allgemein Kämpfe für die Standesidentität der Ritter haben, erklären die Artikel Narrenkleid und Rüstung: Standesidentität im Parzival und das Paradoxon der Gewalt im Parzival
  3. Genaueres zu der Verbindung von Sozietät und Identität des Individuums in dem Artikel Das Paradoxon der Gewalt im Parzival bei dem Unterpunkt Parzival - ein Sippenroman?
  4. Genaueres zu einer möglichen mittelalterlichen Erkenntnistheorie bei Ingrid Hahn.
  5. Ungeachtet der moralischen Fragwürdigkeit seiner Tat, erlangt er dennoch Ehre durch sie. [Schu 2002:377] Der Knappe Iwanet lobt ihn beispielsweise, dass er die Taten Ithers durch seinen Sieg auf sich übertrage habe (V.156, 12ff) und die Tafelrunde nimmt ihn aufgrund seines Triumphes in ihre Reihen auf.(V.280, 10ff) Das beweist eine Spaltung zwischen Ideal und Realität, die dem Artushof zugrunde liegt. Die Artikel Der ritterliche Kampf im Parzival - ein Vergleich der Artus- und Gralswelt und Das Paradoxon der Gewalt im Parzival beschäftigen sich weiterführend mit den Krisen des Artushofes, die hier angedeutet werden.
  6. Im Folgenden stets zitierte Ausgabe: [Parzival].
  7. "Die Rache als Ehrenpflicht ist eine Forderung des Personenverbandes, dem man angehört. Er hat den Verlust erlitten, nicht der einzelne, er fordert die Wiederherstellung des Gleichgewichts.[Haubrichs 1998:39] Damit definiert sich der eigentliche Kampfe Gawans gegen Gramoflanz, der einen "zukünftiger" Verwandten darstellt als idenititätsstiftend, verankert er den Ausführenden doch noch einmal unmittelbar in seiner Sippe. Damit offenbart sich die Fehde und der damit einhergehende Kampf als Inklusionsmittels für den Einzelnen in seine Sozietät durch die Exklusion, die bis in die Vernichtung reichen kann eines äußeren Feindbildes reichen kann.
  8. Wie nun aber im Heroenzustande das Subjekt mit seinem gesamten Wollen, Tun, Vollbringen im unmittelbaren Zusammenhange bleibt, so steht es auch ungeteilt für das ein, was irgend an Folgen aus diesem Tun entspringt. Wenn wir dagegen handeln oder Handlungen beurteilen, so fordern wir, um dem Individuum eine Handlung imputieren zu können, daß es die Art seiner Handlung und die Umstände, unter welchen dieselbe vollbracht ist, gewusst und erkannt habe.[…] Der heroische Charakter aber macht diese Unterscheidung nicht, sondern steht für das Ganze seiner Tat mit seiner ganzen Individualität ein […] Die selbständige Gediegenheit und Totalität des heroischen Charakters will die Schuld nicht teilen und weiß von diesem Gegensatz der subjektiven Absichten und der objektiven Tat und ihrer Folgen nichts, während bei der Verwicklung und Verzweigung des heutigen Handelns jeder auf alle anderen rekurriert und die Schuld soweit als möglich von sich zurückschiebt […] In der Heroenzeit aber, in welcher das Individuum wesentlich Eins und das Objekt als von ihm ausgeht das Seinige ist und bleibt, will das Subjekt nun auch, was es getan hat, ganz und allein getan haben und das Geschehene vollständig in sich hineinverlegen […] [Hegel XXXX: 246f.] .
  9. Dies wird bestärkt sich durch die Auftritte Parzivals, die ihn nicht als Person darstellen, sondern als geradezu leitmotivischer Charakter als Roter Ritter. [Sutter 2003:217]
  10. Beispielsweise vollzieht Ither eine räumlich Trennung vom Artushof, indem er diesen verlässt und außerhalb der Tore auf eine Antwort wartet[Delabar 1990: 102.] .
  11. Delabar spricht hier allerdings von einer strukturellen Konkurrenz der beiden Ritter als Vertreter verschiedener Herrschaften, die verantwortlich ist für diesen Kampf [Delabar 1990: 163 ff.] .
  12. Wolfram wählt hier den "Löwen" um die beiden Männer zu symbolisieren. Einerseits sicherlich um den beiden Eigenschaften wie Tapferkeit und Stärke an die Seite zu stellen. Allerdings rekurriert der Mythos, dass Löwenjunges tot geboren werden und dann durch ihres Vaters Gebrüll, zum Leben erwachen, auf die Wiederauferstehung Christus durch seinen Vater.[Pelizaeus 2009: 181f.] So könnte man meinen, Wolfram eröffnet noch eine tiefere Ebene mit dieser Symbolik. Die Heroen schließen sich damit an Christus Ewigkeitsanspruch an, wenn sie durch ihre Kampfhandlungen unerreichbare Größe und Ruhm erlangen.

Literaturverzeichnis

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Textausgabe

[*Parzival]Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.