Musik und Gesang (Gottfried von Straßburg, Tristan): Unterschied zwischen den Versionen

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
K (Textersetzung - „<HarvardReferences />“ durch „“)
 
(15 dazwischenliegende Versionen von 2 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
Dieser Artikel wird sich damit beschäftigen, wie sich Musik und Gesang im Tristan-Stoff zur Minne verhalten. Im Zentrum der Fragestellung steht dabei, welchen Einfluß Musik auf das Minnen hat und ob der Gesang des Liebespaares als Ausdruck der Absolutheit ihrer Liebe dienen kann. Desweiteren muss betrachtet werden, inwiefern für das gemeinsame Musizieren (und somit auch gemeinsames Lieben) die Erziehung der Protagonisten eine Rolle spielt und inwieweit Tristan Isolde dabei prägt. Abschließend möchte ich noch beleuchten ob und wie Gottfrieds von Straßburgs Sprachmusik und Tristans Musik korrelieren.
Dieser Artikel wird sich damit beschäftigen, wie sich Musik und Gesang im Tristan-Stoff zur [[Minne (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Minne]] verhalten. Im Zentrum der Fragestellung steht dabei, welchen Einfluß Musik auf das Minnen hat und ob der Gesang des Liebespaares als Ausdruck der Absolutheit ihrer Liebe dienen kann. Desweiteren muss betrachtet werden, inwiefern für das gemeinsame Musizieren (und somit auch gemeinsames Lieben) die Erziehung der Protagonisten eine Rolle spielt und inwieweit [[erlernt von::gelehrt von::angewendet von::Tristan (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Tristan]] [[erlernt von::angewendet von::Die Isolde-Charaktere (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Isolde]] dabei prägt. Abschließend möchte ich noch beleuchten, welche Bedeutung Musik für Tristan und Isolde in ihrer von einander isolierten Rolle hat. Gibt es also einen Unterschied zwischen seiner Musik und ihrem Gesang?
 


==Einswerdung des Liebespaares durch Musik==
==Einswerdung des Liebespaares durch Musik==
Zeile 6: Zeile 5:
Tristan wird schon in seiner frühesten Jugend ins Ausland geschickt, um Fremdsprachen zu lernen, schnell beginnt er auch Bücher zu lesen. Die musikalische Ausbildung beginnt für Tristan mit dem Saitenspiel.
Tristan wird schon in seiner frühesten Jugend ins Ausland geschickt, um Fremdsprachen zu lernen, schnell beginnt er auch Bücher zu lesen. Die musikalische Ausbildung beginnt für Tristan mit dem Saitenspiel.


:''Under disen zwein lernungen''
:Under disen zwein lernungen
:''der buoche unde der zungen''
:der buoche unde der zungen
:''sô vertete er sîner stunde vil''
:sô vertete er sîner stunde vil
:''an iegelîchem seitspiel.''
:an iegelîchem seitspiel.
:''dâ kêrte er spâte unde vruo''
:dâ kêrte er spâte unde vruo
:''sîn emezekeit sô sêre zuo,''
:sîn emezekeit sô sêre zuo,
:''biz er es wunder kunde.'' (V. 2093 - 2099)
:biz er es wunder kunde. (V. 2093 - 2099)


Erst anschließend übt er sich in der Kriegskunst und im Reiten, also Dingen, die überlebensnotwenig sind für einen Ritter. Es folgen Studien der Jagd und weitere Reisen. Rual formt auf diese Art und Weise das höfische Ritterideal in der Figur des Tristan neu, indem er Tristan so ausbildet, dass die Maßstäbe für die Gesamtheit der höfischen Ritter deutlich höher sind, als vor Tristans Ausbildung. An dieser Reihenfolge und Hierarchie der Auflistung sieht man welchen Stellenwert schon früh das Wort und die Musik in Tristans Leben hat und kann sofort erahnen, welche Wichtigkeit diesen Größen in seinem weiteren Leben haben werden.
Erst anschließend übt er sich in der [[Kampf (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Kriegskunst]] und im Reiten, also Dingen, die überlebensnotwenig sind für einen Ritter. Es folgen Studien der [[Jagd (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Jagd]] und weitere Reisen. Rual formt auf diese Art und Weise das [[Höfische Lebenswelt (Gottfried von Straßburg, Tristan)|höfische Ritterideal]] in der Figur des Tristan neu, indem er Tristan so ausbildet, dass die Maßstäbe für die Gesamtheit der höfischen Ritter deutlich höher sind, als vor Tristans Ausbildung. An dieser Reihenfolge und Hierarchie der Auflistung sieht man welchen Stellenwert schon früh das Wort und die Musik in Tristans Leben haben und kann sofort erahnen, welche Wichtigkeit diesen Größen in seinem weiteren Leben noch haben werden.
Später im Roman erfahren wir, dass Tristan sich durchaus auch in der Musiktheorie auskennt, neben dem praktischen Musizieren.
Später im Roman erfahren wir, dass Tristan sich durchaus auch in der Musiktheorie auskennt, neben dem praktischen Musizieren.


:''daz beste daz er kunde,''
:daz beste daz er kunde,
:''sô schuollist, sô hantspil,''
:sô schuollist, sô hantspil,
:''daz ichniht sunder zalen wil,''
:daz ichniht sunder zalen wil,
:''daz leite er ir besunder vür'' (V. 7966 - 7969)
:daz leite er ir besunder vür (V. 7966 - 7969)


===Isoldes Ausbildung===
===Isoldes Ausbildung===
Isolde wiederum wird ebenfalls seit frühester Kindheit in Buchwissen (Sie kann also auch Latein) und Saitenspiel von einem Hauslehrer unterrichtet.  
Isolde wiederum wird ebenfalls seit frühester Kindheit in Buchwissen (sie kann also auch Latein) und Saitenspiel von einem [[gelehrt von::Hauslehrer]] unterrichtet.  


:''die lêrte er dô und alle wege''
:die lêrte er dô und alle wege
:''beidiu buoch und seitspil.'' (V. 7726 f.)
:beidiu buoch und seitspil. (V. 7726 f.)


und
und


:''diu schoene si kunde''
:diu schoene si kunde
:''ir sprâche dâ von Develîn,''
:ir sprâche dâ von Develîn,
:''si kunde franzois und latîn,''
:si kunde franzois und latîn,
:''videlen wol ze prîse''
:videlen wol ze prîse
:''in welhischer wîse.'' (V. 7984 - 7988)
:in welhischer wîse. (V. 7984 - 7988)


Doch scheint es, dass ein anderer Schwerpunkt gesetzt ist, denn Isoldes Mutter wurde vom selben Lehrer vor allem in Wissenschaften, also Alchemie ausgebildet.
Doch scheint es, dass ein anderer Schwerpunkt gesetzt ist, denn [[Die Isolde-Charaktere (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Isoldes Mutter]] wurde vom selben Lehrer vor allem in Wissenschaften, also Alchemie ausgebildet.


:''der was der küniginne''
:der was der küniginne
:''meister unde gesinde''
:meister unde gesinde
:''und haete sî von kinde''
:und haete sî von kinde
:''gewitzeget sêre''
:gewitzeget sêre
:''an maneger guoten lêre,''
:an maneger guoten lêre,
:''mit manegem vremedem liste,''
:mit manegem vremedem liste,
:''den sî von im wiste.'' (V. 7708 - 7714)
:den sî von im wiste. (V. 7708 - 7714)


Es ist anzunehmen, dass die jüngere Isolde diese Materie ebenfalls in aller Ausführlichkeit erlernt. Isolde ist in jedem Fall durch ihre bisherige Ausbildung zur frouwe erzogen worden.
Es ist anzunehmen, dass die jüngere Isolde diese Materie ebenfalls in aller Ausführlichkeit erlernt. Isolde ist in jedem Fall durch ihre bisherige Ausbildung zur ''frouwe'' erzogen worden.
Erst als Tristan einen neuen Maßstab der Höfischheit durch sein Können mit nach Irland bringt, zeigt sich, dass Isolde noch nicht edel genug ist.
Erst als Tristan einen neuen Maßstab der Höfischheit durch sein Können mit nach Irland bringt, zeigt sich, dass Isolde noch nicht edel genug ist.


===Isoldes Vervollkommnung durch Tristan===
===Isoldes Vervollkommnung durch Tristan===
Als Gegenleistung für die Heilung Tristans durch die Königin Isolde, beginnt dieser die jüngere Isolde in seinen Künsten zu unterrichten.  
Als Gegenleistung für die Heilung Tristans durch die Königin Isolde, beginnt dieser die jüngere Isolde in seinen [[Die Kunst am Hof (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Künsten]] zu unterrichten.  


:''und kanstu keiner lêre''
:und kanstu keiner lêre
:''und keiner vuoge mêre''
:und keiner vuoge mêre
:''danne ir meister oder ich,''
:danne ir meister oder ich,
:''des underwîse sî durch mich.''
:des underwîse sî durch mich.
:''dar umbe wil ich dir dîn leben''
:dar umbe wil ich dir dîn leben
:''und dînen lîp ze miete geben''
:und dînen lîp ze miete geben
:''wol gesund und wol getân.'' (V. 7851 - 7857)
:wol gesund und wol getân. (V. 7851 - 7857)


Isolde lernt schnell und wissbegierig. Hauptsächlich im Musizieren vermittelt Tristan Isolde neue Fähigkeiten. Diese werden feiner, ihre Sinne für die Musik geschärft.
Isolde lernt schnell und wissbegierig. Hauptsächlich im Musizieren vermittelt Tristan Isolde neue Fähigkeiten. Diese werden feiner, ihre Sinne für die Musik geschärft.


:''daz allerbeste, daz si dô''
:daz allerbeste, daz si dô
:''under allen sînen listen vant,''
:under allen sînen listen vant,
:''des underwant si sich zehant''
:des underwant si sich zehant
:''und was ouch vlîzec dar an,''
:und was ouch vlîzec dar an,
:''swes s'in der werlde began.'' (V. 7974 - 7978)
:swes s'in der werlde began. (V. 7974 - 7978)


Doch auch in der ''morâliteit'' (V.8008 f.) , der Sittenlehre, welche feinen Anstand und Gottesnähe vermittelt, unterrichtet Tristan Isolde.  
Doch auch in der ''morâliteit'' (V.8008 f.) , der Sittenlehre, welche feinen Anstand und [[Der Gottesbegriff im Tristan|Gottesnähe]] vermittelt, unterrichtet Tristan Isolde.  
Isolde wird also erst durch das Können Tristans und durch dessen Anwesenheit in Irland und am irischen Hof zur vollkommenen frouwe und zu
Isolde wird also erst durch das Können Tristans und durch dessen Anwesenheit in Irland und am [[ertönt in::irischen Hof]] zur vollkommenen ''frouwe'' und zu
einem noch besseren Idealbild.
einem noch besseren Idealbild.


:''hie von sô wart ir wol gesite,''
:hie von sô wart ir wol gesite,
:''schône und reine gemuot,''
:schône und reine gemuot,
:''ir gebaerde süeze unde guot.'' (V. 8024 - 8026)
:ir gebaerde süeze unde guot. (V. 8024 - 8026)


Der folgende Abschnitt zeigt, dass Tristans Kunst, die er an Isolde weitergibt, es erst möglich macht, dass sich das Liebesglück entwickelt und die zwei Seelen zu einem Ganzen verschmelzen. Isolde wäre nicht ohne Tristan, denn er macht sie zur erhabenen frouwe; Tristan wäre nicht ohne Isolde, denn sie bringt mit dem Liebestrank die Liebe.
Der folgende Abschnitt zeigt, dass Tristans Kunst, die er an Isolde weitergibt, es erst möglich macht, dass sich das Liebesglück entwickelt und die zwei Seelen zu einem Ganzen verschmelzen. Isolde wäre nicht ohne Tristan, denn er macht sie zur erhabenen ''frouwe''; Tristan wäre nicht ohne Isolde, denn sie bringt mit ihrem musikalischen Pendant die Möglichkeit zum Einswerden in der Liebe.


===Musik und Gesang als Ausdruck der erfüllten Liebe===
===Absolute Liebe als Resultat von Musik und Gesang===
Während dem Aufenthalt in der Minnegrotte beschäftigt sich das Paar intensiv mit seiner Liebesthematik. In der freien Natur, außerhalb ihrer Grotte erzählen sie sich Geschichten von unerfüllter und sehnsuchtsvoller Liebe und mythologischen Figuren, die an ihrer Liebe scheitern oder zu Grunde gehen.  
Während des Aufenthalts in der [[ertönt in::Minnegrotte (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Minnegrotte]] beschäftigt sich das Paar intensiv mit seiner Liebesthematik. In der freien [[Landschaft (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Natur]], außerhalb ihrer Grotte erzählen sie sich Geschichten von unerfüllter und sehnsuchtsvoller Liebe und [[Antikenrezeption im Mittelalter|mythologischen Figuren]], die an ihrer Liebe scheitern oder zu Grunde gehen.  


:''dâ sâzen sî z'ein ander an''
:dâ sâzen sî z'ein ander an
:''die getriuwen senedaere''
:die getriuwen senedaere
:''und triben ir senemaere''
:und triben ir senemaere
:''von den, die vor ir jâren''
:von den, die vor ir jâren
:''von sene verdorben wâren.'' (V. 17183 - 17186)
:von sene verdorben wâren. (V. 17183 - 17186)


Diese Geschichten machen Tristan und Isolde so traurig, dass sie sich in die Minnegrotte zurückziehen und zusammen musizieren.
Diese Geschichten machen Tristan und Isolde so traurig, dass sie sich in die Minnegrotte zurückziehen und zusammen musizieren.


:''Sô s'aber der maere denne''
:Sô s'aber der maere denne
:''vergezzen wolten under in,''
:vergezzen wolten under in,
:''sô slichen s'in ir clûse hin''
:sô slichen s'in ir clûse hin
:''und nâmen aber ze handen,''
:und nâmen aber ze handen,
:''dar an s'ir lust erkanden,''
:dar an s'ir lust erkanden,
:''und liezen danne clingen''
:und liezen danne clingen
:''ir harpen unde ir singen'' (V. 17200 - 17206)
:ir harpen unde ir singen (V. 17200 - 17206)


Zuerst wird an diesem Modell deutlich, dass es der Liebe und den Liebenden außerhalb eines hermetischen Raums, in diesem Fall der Allegorie der Minnegrotte, schlecht ergeht, dass dort Gefahren und Kummer auf alle Beteiligten warten, an welchen sie scheitern müssen, und wo Dinge stattfinden, sogar schon in der bloßen Reflexion in Form von Geschichtenerzählungen, die traurig stimmen. Im abgeschlossenen Raum der Grotte können die äußeren Einflüsse aber keinen Schaden anrichten. Tristan und Isolde finden sich ganz mit sich allein und frei von jeder Norm in der Materie ihrer Zuneigung und Sexualität.
Zuerst wird an diesem Modell deutlich, dass es der Liebe und den Liebenden außerhalb eines hermetischen Raums, in diesem Fall der Allegorie der Minnegrotte, schlecht ergeht, dass dort Gefahren und Kummer auf alle Beteiligten warten, an welchen sie scheitern müssen, und wo Dinge stattfinden, sogar schon in der bloßen Reflexion in Form von [[Antikes Geistesgut im Roman (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Geschichtenerzählungen]], die traurig stimmen. Im abgeschlossenen Raum der Grotte können die äußeren Einflüsse aber keinen Schaden anrichten. Tristan und Isolde finden sich ganz mit sich allein und frei von jeder Norm in der Materie ihrer Zuneigung und [[Ausdruck von::Sexualität und Erotik (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Sexualität]].
Das Einzige, was mit in diesen Raum darf ist der Klang der Musik und des Gesangs. Alle melancholischen Erinnerungen sind in die Außenwelt verbannt.
Das Einzige, was mit in diesen Raum darf ist der Klang der Musik und des Gesangs. Alle melancholischen Erinnerungen sind in die Außenwelt verbannt.
Musik ist hier Ausdruck „äußerster“ Intimität. Was immer der eine harft, erwidert der andere angemessen mit seiner Stimme.  
Musik ist hier Ausdruck „äußerster“ Intimität. Was immer der eine harft, erwidert der andere angemessen mit seiner Stimme.  


:''sweder ir die harphen genam,''
:sweder ir die harphen genam,
:''sô was des anderen site,''
:sô was des anderen site,
:''daz ez diu notelîn dermite''
:daz ez diu notelîn dermite
:''suoze unde senelîche sanc.'' (V. 17214 - 17217)
:suoze unde senelîche sanc. (V. 17214 - 17217)


Es werden die wohl lyrischsten und zartesten „Instrumente“ verwendet. Die Harfe wird im Mittelalter eher mit den Fingern gestrichen als gezupft und die Stimme kann sich beinahe jeder Stimmung anpassen. Es entsteht ein sphärischer Klang, der von den Liebenden erzeugt wird und der sie einschließt. Das Paar bildet in seinem Musizieren eine Einheit, ein vollständiges Ganzes. Musik kann hier guten Gewissens auch als Metapher für den Geschlechtsakt in der Abgeschiedenheit der Grotte angesehen werden. Sie geben sich einander völlig hin und verschmelzen. Ganz so wie Harfenklang und Gesang miteinander eins werden. Musik ist gleichsam Ausdruck reinster Liebe, als auch romantischster Sexualität.
Es werden die wohl lyrischsten und zartesten „Instrumente“ verwendet. Die Harfe wird im Mittelalter eher mit den Fingern gestrichen als gezupft und die Stimme kann sich beinahe jeder Stimmung anpassen. Es entsteht ein sphärischer Klang, der von den Liebenden erzeugt wird und der sie einschließt. Das Paar bildet in seinem Musizieren eine Einheit, ein vollständiges Ganzes. Sie geben sich einander völlig hin und verschmelzen. Ganz so wie Harfenklang und Gesang miteinander eins werden. Musik ist nun Ausdruck reinster Liebe und die Liebenden befinden sich nun überhalb ihrer sexuellen Leidenschaft [Sziráky: S. 508 f.].


:''ouch lûtete ietweder clanc''
:ouch lûtete ietweder clanc
:''der haphen unde der zungen,''
:der haphen unde der zungen,
:''sô s'in ein ander clungen,''
:sô s'in ein ander clungen,
:''sô suoze dar inne,''
:sô suoze dar inne,
:''als ez der süezen Minne''
:als ez der süezen Minne
:''wol z'einer clûse wart benant:''
:wol z'einer clûse wart benant:
:''la foissiure a la gent amant.'' (V. 17218 - 17224)
:la foissiure a la gent amant. (V. 17218 - 17224)


Dieser Moment des Romans hat nichts mehr mit der triebigen Entjungferung Isoldes auf dem Schiff zu tun, die nicht einmal näher beschrieben wird. (s. V. 12044 - 12049)  
Dieser Moment des Romans hat nichts mehr mit der triebigen Entjungferung Isoldes auf dem Schiff zu tun, die nicht einmal näher beschrieben wird. (s. V. 12044 - 12049)  
Hier wird die harmonische Vereinigung der Körper und der Seelen beschrieben, wie sie noch keinmal zuvor erwähnt wurde. Tristan und Isolde sind am Ziel ihrer Liebesidylle angelangt.
Hier wird die harmonische Vereinigung der Körper und der Seelen beschrieben, wie sie noch keinmal zuvor erwähnt wurde. Tristan und Isolde sind am Ziel ihrer Liebesidylle angelangt.
   
   
:''diu wâre wirtinne''
:diu wâre wirtinne
:''diu haete sich dar inne''
:diu haete sich dar inne
:''alrêrste an ir spil verlân.'' (V. 17229 - 17231)
:alrêrste an ir spil verlân. (V. 17229 - 17231)
 
Interessanterweise haben beide die Kunst zu musizieren, wie oben beschrieben, in der höfischen Gesellschaft erlernt, wobei Isolde viel von Tristan gelehrt bekam, nachdem er wieder gesund war. Somit wird also der Grundstein für erfolgreiche Liebe durch höfische Erziehung gelegt.
Dies kann einer der Gründe sein, warum sich beide auf dem harmonischen Höhepunkt ihres Gemeinsamseins zurück in die Gesellschaft sehnen, die ja ihre gemeinsame Existenz, sowie das Musizieren, konstituierte und somit untrennbar, trotz allen Widrigkeiten, mit Tristan und Isolde verknüpft ist. Wenige Verse später verlassen sie ihren Schutzraum, den sie auch nicht mehr brauchen, denn die innigste Vereinigung haben sie bereits erlebt und treten in die Welt ein, wodurch sie sich gleichzeitig wieder verwundbar gegenüber Allem machen, dass nicht gleich inniglich liebt.


Interessanterweise haben beide die Kunst zu musizieren, wie oben beschrieben, in der [[ertönt in::höfischen Gesellschaft]] erlernt, wobei Isolde viel von Tristan gelehrt bekam, nachdem er wieder gesund war. Somit wird also der Grundstein für erfolgreiche Liebe durch höfische Erziehung gelegt.
Dies kann einer der Gründe sein, warum sich beide auf dem harmonischen Höhepunkt ihres Gemeinsamseins zurück in die Gesellschaft sehnen, die ja ihre gemeinsame Existenz, sowie ihr Musizieren, konstituierte und somit untrennbar, trotz allen Widrigkeiten, mit Tristan und Isolde verknüpft ist. Wenige Verse später verlassen sie ihren Schutzraum, den sie auch nicht mehr brauchen, denn die innigste Vereinigung haben sie bereits erlebt und treten in die Welt ein, wodurch sie sich gleichzeitig wieder verwundbar gegenüber Allem machen, dass nicht gleich inniglich liebt.


==Tristans Musik==
==Tristans Musik==
An mehreren Stellen im Roman wird die Wirkung von Tristans musikalischem Können deutlich. Diese Stellen sollen hier betrachtet und deren Bedeutung kontextualisiert werden.
An mehreren Stellen im Roman wird die Wirkung von Tristans musikalischem Können deutlich. Diese Stellen sollen hier betrachtet und deren Bedeutung kontextualisiert werden.
===Tristan und die Norweger===
===Tristan und die Norweger===
Zum ersten Mal beeindruckt Tristans Musik die norwegischen Händler. Diese kommen überein, dass sie Tristan, aufgrund seiner feinen Künste entführen wollen, um ihre eigene Ehre durch Tristans Können zu vermehren.
Zum ersten Mal beeindruckt Tristans Musik die [[erfreut::Die Norweger (Gottfried von Straßburg, Tristan)|norwegischen Händler]]. Diese kommen überein, dass sie Tristan, aufgrund seiner feinen Künste entführen wollen, um ihre eigene Ehre durch Tristans Können zu vermehren.


:''ouch sang er wol ze prîse''
:ouch sang er wol ze prîse
:''schanzûne und spaehe wîse,''
:schanzûne und spaehe wîse,
:''refloit und stampenîe.''
:refloit und stampenîe.
:''alsoher cûrtôsîe''
:alsoher cûrtôsîe
:''treip er vil und sô vil an,''
:treip er vil und sô vil an,
:''biz aber die werbenden man''
:biz aber die werbenden man
:''ze râte wurden under in:''
:ze râte wurden under in:
:''kunden s'in iemer bringen hin''
:kunden s'in iemer bringen hin
:''mit keiner slahte sinnen,''
:mit keiner slahte sinnen,
:''sî möhten sîn gewinnen''
:sî möhten sîn gewinnen
:''grôzen vrumen und êre.'' (V. 2293 - 2303)
:grôzen vrumen und êre. (V. 2293 - 2303)


Tristans höfische Gesinnung und insbesondere seine Musikalität wird ihm hier zum Verhängnis. Sein Gesang und das Geigenspiel werden hier zum Motiv, weswegen ihn die Norweger entführen. Tristans Musik ist Impetus für den ganzen restlichen Verlauf seines Lebens, denn ohne sie wäre er nicht an Markes Hof gelangt.
Tristans höfische Gesinnung und insbesondere seine Musikalität wird ihm hier zum Verhängnis. Sein Gesang und das Geigenspiel werden hier zum Motiv, weswegen ihn die Norweger entführen. Tristans Musik ist Impetus für den ganzen restlichen Verlauf seines Lebens, denn ohne sie wäre er nicht an [[erfreut::ertönt in::Marke (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Markes Hof]] gelangt [Sziráky: S. 486].


===Tristan und Marke===
===Tristan und Marke===
Bevor Marke Tristan zum ersten Mal sieht hört er ihn, wie er zusammen mit der Jagdgesellschaft musiziert.
Bevor Marke Tristan zum ersten Mal sieht hört er ihn, wie er zusammen mit der [[erfreut::angewendet von::Jagd (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Jagdgesellschaft]] musiziert.
 
:''und alle ir horn nâmen''
:''und hürneten vil schône''
:''mit ime in sîme dône.''
:''er vuor in vor ze prîse,''
:''si nâch in sîner wîse''
:''bescheidenlîchen unde wol.''
:''diu burc diu wart gedoenes vol.'' (V. 3216 - 3222)


Hier dient seine Musik wieder dazu die Handlung voran zu treiben. Tristan gelingt es mit seiner Musik im Positiven auf sich aufmerksam zu machen. Umso wirksamer muss Tristans Musik sein, weil sie ''in vremdem horndone'' (V. 3248) erschallt, also aufgrund der Fremdheit künstlerisch überformt ist, so dass ihm auch niemand in seinem musikalischen Können folgen kann. Er sticht somit als außerordentlicher Künstler am Hofe heraus und kann sich in die Gesellschaft integrieren; Integration also aufgrund von Individualität.
:und alle ir horn nâmen
:und hürneten vil schône
:mit ime in sîme dône.
:er vuor in vor ze prîse,
:si nâch in sîner wîse
:bescheidenlîchen unde wol.
:diu burc diu wart gedoenes vol. (V. 3216 - 3222)


:''sîne noten und sîne ursuoche,''
Hier dient seine Musik wieder dazu die Handlung voran zu treiben. Tristan gelingt es mit seiner Musik im Positiven auf sich aufmerksam zu machen. Umso wirksamer muss Tristans Musik sein, weil sie ''in vremdem horndone'' (V. 3248) erschallt, also aufgrund der Fremdheit künstlerisch überformt ist, so dass ihm auch niemand in seinem musikalischen Können folgen kann. Er sticht somit als außerordentlicher Künstler am Hofe heraus und kann sich in die Gesellschaft integrieren: Integration also aufgrund von Individualität [Sziráky: S. 486].
:''sîne seltsaene grûeze''
:''die hapfete er sô süeze''
:''und machete sÎ schoene''
:''mit schoenem seitgedoene,''
:''daz iegelîcher dâ zuo lief,''
:''dirre jenem dar nâher rief.'' (V. 3566 - 3572)


Außerdem tritt Tristan hier als orphetische Gestalt in Erscheinung, die es vermag die höfische Gesellschaft durch sein ''süeze''s Spiel für sich zu gewinnen. Wiederum eine Form von Integrationsprozess in den gesellschaftlichen Lebensbereich, in dem er erfolgreich sein wird.
:sîne noten und sîne ursuoche,
:sîne seltsaene grûeze
:die hapfete er sô süeze
:und machete sÎ schoene
:mit schoenem seitgedoene,
:daz iegelîcher dâ zuo lief,
:dirre jenem dar nâher rief. (V. 3566 - 3572)


Außerdem tritt Tristan hier als orphetische Gestalt in Erscheinung, die es vermag die höfische Gesellschaft durch sein ''süeze[s]'' Spiel für sich zu gewinnen. Wiederum eine Form von Integrationsprozess in den gesellschaftlichen Lebensbereich, in dem er erfolgreich sein wird.


==Isoldes Musik==
==Isoldes Musik==
Isoldes musikalische Wirkung wird folgender Maßen beschrieben:
Isoldes musikalische Wirkung wird folgender Maßen beschrieben:


:''si sang ir pastûrele,''
:si sang ir pastûrele,
(...)
(...)
:''wol unde wol und alze wol.''
:wol unde wol und alze wol.
:''wan von ir wart manc herze vol''
:wan von ir wart manc herze vol
:''mit senelîcher trahte.'' (V. 8072 - 8077)
:mit senelîcher trahte. (V. 8072 - 8077)
 
Isolde erreicht also mit ihrem Gesang direkt das Herz, jenes Minneorgan, das schon im [[Der Prolog (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Prolog]] ([[Begriff der "edelen herzen" (Gottfried von Straßburg, Tristan)|''edelen herzen'']] V. 47) beschrieben wird. Beinahe lässt Isoldes Fähigkeit sie als Liebesgöttin erstrahlen, denn nicht einmal Tristan erreicht das Herz so direkt. Er zieht die Menschen aufgrund seiner ''vremede[n]'' Musik und höfischen Kunst in seinen Bann. Isoldes ''tougenliche sanc'' (V. 8122) dringt in die ''edele herzen''. Darin liegt ein Teil ihrer Schönheit, welche somit nicht nur rein optisch ist, sondern auch auf einer transzendierteren seelischen Ebene [Sziráky: S. 502] erfahren werden kann.
Dass Isolde als Sirene bezeichnet wird,
 
:diu junge süeze künegîn,
:alsô zôch sî gedanken în
:ûz maneges herzen arken,
:als der agestein die barken
:mit der Syrênen sange tuot.
:si sanc in maneges herzen muot (V. 8107 - 8112)
 
darf nicht negativ ausgelegt werden. Denn die Herzen, welche sie erreicht, zieht sie zwar an, da aber ihre Musik Ausdruck der Minne ist und somit aus ihrem ''edelen herzen'' kommt und für Liebe nur ''edele herzen'' empfänglich sind (s. Prolog), kann Isoldes ''tougenliche sanc'' auch nur auf ''edele herzen'' wirken, wo sie, die Sirene, überhaupt keinen Schaden anrichten könnte [Sziráky: S. 499, 502 f.].


Isolde erreicht also mit ihrem Gesang direkt das Herz, jenes Minneorgan, das schon im Prolog (''edelen herzen'' V. 47) beschrieben wird. Beinahe lässt Isoldes Fähigkeit sie als Liebesgöttin erstrahlen, denn nicht einmal Tristan erreicht das Herz. Er zieht die Menschen aufgrund von seiner ''vremede''(n) Musik in seinen Bann. Isoldes ''tougenliche sanc'' (V. 8122) dringt in die ''edele herzen'', worin ein Teil ihrer Schönheit liegt, welche somit nicht rein optisch ist, sondern somit auch auf einer transzendierteren seelischen Ebene<ref>Sziráky, Anna: Éros - Lógos - Musiké.  Gottfrieds "Tristan" oder eine    utopische renovatio der Dichtersprache  und der Welt aus dem Geiste  der  Minne und Musik, Bern [u.a.] 2003  (Wiener Arbeiten zur  germanistischen  Altertumskunde und Philologie), S. 502.</ref> erfahren werden kann.
==Gottfrieds Sprachmusik==
==Fazit==
==Fazit==
==Einzelnachweise==
Wir sehen also, dass Musik und Gesang in Gottfrieds von Straßburg Tristan eine Reihe von Bedeutungen hat, die von großer Wichtigkeit für die Handlung und die transzendente Ebene des Romans sind. Einerseits gelingt es dem Liebespaar tatsächlich durch Musik völlig eins zu werden, miteinander und mit dem Minneideal. Andererseits gelingt es Gottfried durch die Wirkung der Musik im Roman, eine Vorstellung von völligem Einswerden zu vermitteln. Eine Absolutheit, die nicht in konkrete Worte gefasst werden kann, suggeriert er somit geschickt durch das Mittel der Musikalität in der Minnegrotte. Im harmonischen Klang-Werden der Protagonisten und im im-Einklang-schwingen werden sie selbst Musik, verlieren so gleichsam ihre materielle Hülle und können sich für die kurze Phase der zeitlosen Minnegrottesituation auch seelisch vereinen, ähnlich wie später im [[Liebestod|Liebestod]].
Musik dient zudem handlungskonstituierend, gewissermaßen als Impetus des Romans durch ihre Anzeihungskraft. Ohne sie würde Tristans Karriere als Ritter und Liebhaber nicht beginnen.
Des Weiteren obliegt der Musik im Tristan eine integrative Aufgabe: Tristan kommt als Fremder an den Hof Markes und ihm gelingt es gerade durch die außergewöhnliche Fremdartigkeit seiner Musik die Menschen zu beeindrucken, wodurch sie sich seiner annehmen und ihn in die höfische Gesellschaft integrieren. Isoldes Musik wirkt noch direkter auf die Menschen. Sie erreicht mit ihrem Gesang die Herzen und verzaubert sie dadurch. Man kann der Musik im Tristan eine gewisse Zauberkraft zuschreiben - eine Macht die es vermag Menschen zu beeinflussen.
Zuletzt ist die Musik in jeder Beziehung ''minne'': Es geht um die Vereinigung von Seelen und um zwischenmenschliche Beziehungen. Sei es die Minnegrottesituation, oder Tristans Integration am Hofe. Am Ende wirkt Musik als Anziehungskraft, als Zaubermittel der minne. Sie ist Ausdruck der Liebe, Ausdruck der ''edelen herzen'' und wirkt auch genau auf diese.
==Literatur==
==Literatur==
* Zitationen aus dem Tristan-Text sind zu finden in: Gottfried von   Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach  dem Text von  Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem   Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart   2007-2008. (RUB 4471-4473).
* Zitationen aus dem Tristan-Text sind zu finden in: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach  dem Text von  Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2007-2008. (RUB 4471-4473).
* Sziráky, Anna: Éros - Lógos - Musiké.  Gottfrieds "Tristan" oder eine   utopische renovatio der Dichtersprache und der Welt aus dem Geiste der   Minne und Musik, Bern [u.a.] 2003 (Wiener Arbeiten zur germanistischen   Altertumskunde und Philologie).
 
*[*Sziráky] Sziráky, Anna: Éros - Lógos - Musiké.  Gottfrieds "Tristan" oder eine utopische renovatio der Dichtersprache und der Welt aus dem Geiste der Minne und Musik, Bern [u.a.] 2003 (Wiener Arbeiten zur germanistischen Altertumskunde und Philologie).
 
[[Kategorie:Erziehung]] [[Kategorie:Gesellschaft]] [[Kategorie:Musik]] [[Kategorie:Liebe]] [[Kategorie:Kunst]] [[Kategorie:Motive]] [[Kategorie:Erotik]] [[Kategorie:Sexualität]] [[Kategorie:Sprache]] [[Kategorie:Magie]]
[[Kategorie:Artikel]]

Aktuelle Version vom 6. Mai 2024, 12:04 Uhr

Dieser Artikel wird sich damit beschäftigen, wie sich Musik und Gesang im Tristan-Stoff zur Minne verhalten. Im Zentrum der Fragestellung steht dabei, welchen Einfluß Musik auf das Minnen hat und ob der Gesang des Liebespaares als Ausdruck der Absolutheit ihrer Liebe dienen kann. Desweiteren muss betrachtet werden, inwiefern für das gemeinsame Musizieren (und somit auch gemeinsames Lieben) die Erziehung der Protagonisten eine Rolle spielt und inwieweit Tristan Isolde dabei prägt. Abschließend möchte ich noch beleuchten, welche Bedeutung Musik für Tristan und Isolde in ihrer von einander isolierten Rolle hat. Gibt es also einen Unterschied zwischen seiner Musik und ihrem Gesang?

Einswerdung des Liebespaares durch Musik

Tristans Ausbildung

Tristan wird schon in seiner frühesten Jugend ins Ausland geschickt, um Fremdsprachen zu lernen, schnell beginnt er auch Bücher zu lesen. Die musikalische Ausbildung beginnt für Tristan mit dem Saitenspiel.

Under disen zwein lernungen
der buoche unde der zungen
sô vertete er sîner stunde vil
an iegelîchem seitspiel.
dâ kêrte er spâte unde vruo
sîn emezekeit sô sêre zuo,
biz er es wunder kunde. (V. 2093 - 2099)

Erst anschließend übt er sich in der Kriegskunst und im Reiten, also Dingen, die überlebensnotwenig sind für einen Ritter. Es folgen Studien der Jagd und weitere Reisen. Rual formt auf diese Art und Weise das höfische Ritterideal in der Figur des Tristan neu, indem er Tristan so ausbildet, dass die Maßstäbe für die Gesamtheit der höfischen Ritter deutlich höher sind, als vor Tristans Ausbildung. An dieser Reihenfolge und Hierarchie der Auflistung sieht man welchen Stellenwert schon früh das Wort und die Musik in Tristans Leben haben und kann sofort erahnen, welche Wichtigkeit diesen Größen in seinem weiteren Leben noch haben werden. Später im Roman erfahren wir, dass Tristan sich durchaus auch in der Musiktheorie auskennt, neben dem praktischen Musizieren.

daz beste daz er kunde,
sô schuollist, sô hantspil,
daz ichniht sunder zalen wil,
daz leite er ir besunder vür (V. 7966 - 7969)

Isoldes Ausbildung

Isolde wiederum wird ebenfalls seit frühester Kindheit in Buchwissen (sie kann also auch Latein) und Saitenspiel von einem gelehrt von::Hauslehrer unterrichtet.

die lêrte er dô und alle wege
beidiu buoch und seitspil. (V. 7726 f.)

und

diu schoene si kunde
ir sprâche dâ von Develîn,
si kunde franzois und latîn,
videlen wol ze prîse
in welhischer wîse. (V. 7984 - 7988)

Doch scheint es, dass ein anderer Schwerpunkt gesetzt ist, denn Isoldes Mutter wurde vom selben Lehrer vor allem in Wissenschaften, also Alchemie ausgebildet.

der was der küniginne
meister unde gesinde
und haete sî von kinde
gewitzeget sêre
an maneger guoten lêre,
mit manegem vremedem liste,
den sî von im wiste. (V. 7708 - 7714)

Es ist anzunehmen, dass die jüngere Isolde diese Materie ebenfalls in aller Ausführlichkeit erlernt. Isolde ist in jedem Fall durch ihre bisherige Ausbildung zur frouwe erzogen worden. Erst als Tristan einen neuen Maßstab der Höfischheit durch sein Können mit nach Irland bringt, zeigt sich, dass Isolde noch nicht edel genug ist.

Isoldes Vervollkommnung durch Tristan

Als Gegenleistung für die Heilung Tristans durch die Königin Isolde, beginnt dieser die jüngere Isolde in seinen Künsten zu unterrichten.

und kanstu keiner lêre
und keiner vuoge mêre
danne ir meister oder ich,
des underwîse sî durch mich.
dar umbe wil ich dir dîn leben
und dînen lîp ze miete geben
wol gesund und wol getân. (V. 7851 - 7857)

Isolde lernt schnell und wissbegierig. Hauptsächlich im Musizieren vermittelt Tristan Isolde neue Fähigkeiten. Diese werden feiner, ihre Sinne für die Musik geschärft.

daz allerbeste, daz si dô
under allen sînen listen vant,
des underwant si sich zehant
und was ouch vlîzec dar an,
swes s'in der werlde began. (V. 7974 - 7978)

Doch auch in der morâliteit (V.8008 f.) , der Sittenlehre, welche feinen Anstand und Gottesnähe vermittelt, unterrichtet Tristan Isolde. Isolde wird also erst durch das Können Tristans und durch dessen Anwesenheit in Irland und am ertönt in::irischen Hof zur vollkommenen frouwe und zu einem noch besseren Idealbild.

hie von sô wart ir wol gesite,
schône und reine gemuot,
ir gebaerde süeze unde guot. (V. 8024 - 8026)

Der folgende Abschnitt zeigt, dass Tristans Kunst, die er an Isolde weitergibt, es erst möglich macht, dass sich das Liebesglück entwickelt und die zwei Seelen zu einem Ganzen verschmelzen. Isolde wäre nicht ohne Tristan, denn er macht sie zur erhabenen frouwe; Tristan wäre nicht ohne Isolde, denn sie bringt mit ihrem musikalischen Pendant die Möglichkeit zum Einswerden in der Liebe.

Absolute Liebe als Resultat von Musik und Gesang

Während des Aufenthalts in der Minnegrotte beschäftigt sich das Paar intensiv mit seiner Liebesthematik. In der freien Natur, außerhalb ihrer Grotte erzählen sie sich Geschichten von unerfüllter und sehnsuchtsvoller Liebe und mythologischen Figuren, die an ihrer Liebe scheitern oder zu Grunde gehen.

dâ sâzen sî z'ein ander an
die getriuwen senedaere
und triben ir senemaere
von den, die vor ir jâren
von sene verdorben wâren. (V. 17183 - 17186)

Diese Geschichten machen Tristan und Isolde so traurig, dass sie sich in die Minnegrotte zurückziehen und zusammen musizieren.

Sô s'aber der maere denne
vergezzen wolten under in,
sô slichen s'in ir clûse hin
und nâmen aber ze handen,
dar an s'ir lust erkanden,
und liezen danne clingen
ir harpen unde ir singen (V. 17200 - 17206)

Zuerst wird an diesem Modell deutlich, dass es der Liebe und den Liebenden außerhalb eines hermetischen Raums, in diesem Fall der Allegorie der Minnegrotte, schlecht ergeht, dass dort Gefahren und Kummer auf alle Beteiligten warten, an welchen sie scheitern müssen, und wo Dinge stattfinden, sogar schon in der bloßen Reflexion in Form von Geschichtenerzählungen, die traurig stimmen. Im abgeschlossenen Raum der Grotte können die äußeren Einflüsse aber keinen Schaden anrichten. Tristan und Isolde finden sich ganz mit sich allein und frei von jeder Norm in der Materie ihrer Zuneigung und Sexualität. Das Einzige, was mit in diesen Raum darf ist der Klang der Musik und des Gesangs. Alle melancholischen Erinnerungen sind in die Außenwelt verbannt. Musik ist hier Ausdruck „äußerster“ Intimität. Was immer der eine harft, erwidert der andere angemessen mit seiner Stimme.

sweder ir die harphen genam,
sô was des anderen site,
daz ez diu notelîn dermite
suoze unde senelîche sanc. (V. 17214 - 17217)

Es werden die wohl lyrischsten und zartesten „Instrumente“ verwendet. Die Harfe wird im Mittelalter eher mit den Fingern gestrichen als gezupft und die Stimme kann sich beinahe jeder Stimmung anpassen. Es entsteht ein sphärischer Klang, der von den Liebenden erzeugt wird und der sie einschließt. Das Paar bildet in seinem Musizieren eine Einheit, ein vollständiges Ganzes. Sie geben sich einander völlig hin und verschmelzen. Ganz so wie Harfenklang und Gesang miteinander eins werden. Musik ist nun Ausdruck reinster Liebe und die Liebenden befinden sich nun überhalb ihrer sexuellen Leidenschaft [Sziráky: S. 508 f.].

ouch lûtete ietweder clanc
der haphen unde der zungen,
sô s'in ein ander clungen,
sô suoze dar inne,
als ez der süezen Minne
wol z'einer clûse wart benant:
la foissiure a la gent amant. (V. 17218 - 17224)

Dieser Moment des Romans hat nichts mehr mit der triebigen Entjungferung Isoldes auf dem Schiff zu tun, die nicht einmal näher beschrieben wird. (s. V. 12044 - 12049) Hier wird die harmonische Vereinigung der Körper und der Seelen beschrieben, wie sie noch keinmal zuvor erwähnt wurde. Tristan und Isolde sind am Ziel ihrer Liebesidylle angelangt.

diu wâre wirtinne
diu haete sich dar inne
alrêrste an ir spil verlân. (V. 17229 - 17231)

Interessanterweise haben beide die Kunst zu musizieren, wie oben beschrieben, in der ertönt in::höfischen Gesellschaft erlernt, wobei Isolde viel von Tristan gelehrt bekam, nachdem er wieder gesund war. Somit wird also der Grundstein für erfolgreiche Liebe durch höfische Erziehung gelegt. Dies kann einer der Gründe sein, warum sich beide auf dem harmonischen Höhepunkt ihres Gemeinsamseins zurück in die Gesellschaft sehnen, die ja ihre gemeinsame Existenz, sowie ihr Musizieren, konstituierte und somit untrennbar, trotz allen Widrigkeiten, mit Tristan und Isolde verknüpft ist. Wenige Verse später verlassen sie ihren Schutzraum, den sie auch nicht mehr brauchen, denn die innigste Vereinigung haben sie bereits erlebt und treten in die Welt ein, wodurch sie sich gleichzeitig wieder verwundbar gegenüber Allem machen, dass nicht gleich inniglich liebt.

Tristans Musik

An mehreren Stellen im Roman wird die Wirkung von Tristans musikalischem Können deutlich. Diese Stellen sollen hier betrachtet und deren Bedeutung kontextualisiert werden.

Tristan und die Norweger

Zum ersten Mal beeindruckt Tristans Musik die norwegischen Händler. Diese kommen überein, dass sie Tristan, aufgrund seiner feinen Künste entführen wollen, um ihre eigene Ehre durch Tristans Können zu vermehren.

ouch sang er wol ze prîse
schanzûne und spaehe wîse,
refloit und stampenîe.
alsoher cûrtôsîe
treip er vil und sô vil an,
biz aber die werbenden man
ze râte wurden under in:
kunden s'in iemer bringen hin
mit keiner slahte sinnen,
sî möhten sîn gewinnen
grôzen vrumen und êre. (V. 2293 - 2303)

Tristans höfische Gesinnung und insbesondere seine Musikalität wird ihm hier zum Verhängnis. Sein Gesang und das Geigenspiel werden hier zum Motiv, weswegen ihn die Norweger entführen. Tristans Musik ist Impetus für den ganzen restlichen Verlauf seines Lebens, denn ohne sie wäre er nicht an Markes Hof gelangt [Sziráky: S. 486].

Tristan und Marke

Bevor Marke Tristan zum ersten Mal sieht hört er ihn, wie er zusammen mit der Jagdgesellschaft musiziert.

und alle ir horn nâmen
und hürneten vil schône
mit ime in sîme dône.
er vuor in vor ze prîse,
si nâch in sîner wîse
bescheidenlîchen unde wol.
diu burc diu wart gedoenes vol. (V. 3216 - 3222)

Hier dient seine Musik wieder dazu die Handlung voran zu treiben. Tristan gelingt es mit seiner Musik im Positiven auf sich aufmerksam zu machen. Umso wirksamer muss Tristans Musik sein, weil sie in vremdem horndone (V. 3248) erschallt, also aufgrund der Fremdheit künstlerisch überformt ist, so dass ihm auch niemand in seinem musikalischen Können folgen kann. Er sticht somit als außerordentlicher Künstler am Hofe heraus und kann sich in die Gesellschaft integrieren: Integration also aufgrund von Individualität [Sziráky: S. 486].

sîne noten und sîne ursuoche,
sîne seltsaene grûeze
die hapfete er sô süeze
und machete sÎ schoene
mit schoenem seitgedoene,
daz iegelîcher dâ zuo lief,
dirre jenem dar nâher rief. (V. 3566 - 3572)

Außerdem tritt Tristan hier als orphetische Gestalt in Erscheinung, die es vermag die höfische Gesellschaft durch sein süeze[s] Spiel für sich zu gewinnen. Wiederum eine Form von Integrationsprozess in den gesellschaftlichen Lebensbereich, in dem er erfolgreich sein wird.

Isoldes Musik

Isoldes musikalische Wirkung wird folgender Maßen beschrieben:

si sang ir pastûrele,

(...)

wol unde wol und alze wol.
wan von ir wart manc herze vol
mit senelîcher trahte. (V. 8072 - 8077)

Isolde erreicht also mit ihrem Gesang direkt das Herz, jenes Minneorgan, das schon im Prolog (edelen herzen V. 47) beschrieben wird. Beinahe lässt Isoldes Fähigkeit sie als Liebesgöttin erstrahlen, denn nicht einmal Tristan erreicht das Herz so direkt. Er zieht die Menschen aufgrund seiner vremede[n] Musik und höfischen Kunst in seinen Bann. Isoldes tougenliche sanc (V. 8122) dringt in die edele herzen. Darin liegt ein Teil ihrer Schönheit, welche somit nicht nur rein optisch ist, sondern auch auf einer transzendierteren seelischen Ebene [Sziráky: S. 502] erfahren werden kann. Dass Isolde als Sirene bezeichnet wird,

diu junge süeze künegîn,
alsô zôch sî gedanken în
ûz maneges herzen arken,
als der agestein die barken
mit der Syrênen sange tuot.
si sanc in maneges herzen muot (V. 8107 - 8112)

darf nicht negativ ausgelegt werden. Denn die Herzen, welche sie erreicht, zieht sie zwar an, da aber ihre Musik Ausdruck der Minne ist und somit aus ihrem edelen herzen kommt und für Liebe nur edele herzen empfänglich sind (s. Prolog), kann Isoldes tougenliche sanc auch nur auf edele herzen wirken, wo sie, die Sirene, überhaupt keinen Schaden anrichten könnte [Sziráky: S. 499, 502 f.].

Fazit

Wir sehen also, dass Musik und Gesang in Gottfrieds von Straßburg Tristan eine Reihe von Bedeutungen hat, die von großer Wichtigkeit für die Handlung und die transzendente Ebene des Romans sind. Einerseits gelingt es dem Liebespaar tatsächlich durch Musik völlig eins zu werden, miteinander und mit dem Minneideal. Andererseits gelingt es Gottfried durch die Wirkung der Musik im Roman, eine Vorstellung von völligem Einswerden zu vermitteln. Eine Absolutheit, die nicht in konkrete Worte gefasst werden kann, suggeriert er somit geschickt durch das Mittel der Musikalität in der Minnegrotte. Im harmonischen Klang-Werden der Protagonisten und im im-Einklang-schwingen werden sie selbst Musik, verlieren so gleichsam ihre materielle Hülle und können sich für die kurze Phase der zeitlosen Minnegrottesituation auch seelisch vereinen, ähnlich wie später im Liebestod. Musik dient zudem handlungskonstituierend, gewissermaßen als Impetus des Romans durch ihre Anzeihungskraft. Ohne sie würde Tristans Karriere als Ritter und Liebhaber nicht beginnen. Des Weiteren obliegt der Musik im Tristan eine integrative Aufgabe: Tristan kommt als Fremder an den Hof Markes und ihm gelingt es gerade durch die außergewöhnliche Fremdartigkeit seiner Musik die Menschen zu beeindrucken, wodurch sie sich seiner annehmen und ihn in die höfische Gesellschaft integrieren. Isoldes Musik wirkt noch direkter auf die Menschen. Sie erreicht mit ihrem Gesang die Herzen und verzaubert sie dadurch. Man kann der Musik im Tristan eine gewisse Zauberkraft zuschreiben - eine Macht die es vermag Menschen zu beeinflussen. Zuletzt ist die Musik in jeder Beziehung minne: Es geht um die Vereinigung von Seelen und um zwischenmenschliche Beziehungen. Sei es die Minnegrottesituation, oder Tristans Integration am Hofe. Am Ende wirkt Musik als Anziehungskraft, als Zaubermittel der minne. Sie ist Ausdruck der Liebe, Ausdruck der edelen herzen und wirkt auch genau auf diese.

Literatur

  • Zitationen aus dem Tristan-Text sind zu finden in: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2007-2008. (RUB 4471-4473).
  • [*Sziráky] Sziráky, Anna: Éros - Lógos - Musiké. Gottfrieds "Tristan" oder eine utopische renovatio der Dichtersprache und der Welt aus dem Geiste der Minne und Musik, Bern [u.a.] 2003 (Wiener Arbeiten zur germanistischen Altertumskunde und Philologie).