Typologie im Tristan (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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In diesem Artikel soll das Prinzip der erklärt::Typologie kurz angesprochen, aber nicht vertieft werden. Vielmehr sollen hier betrachtet::Textstellen genauer betrachtet werden, in denen Tristans Inszenierung als Held Parallelen zu alttestamentlichen Glaubenshelden aufweisen.

Typologie

Bezeichnend für die christliche Geschichtsdeutung des Mittelalters war ihre eschatologische Ausrichtung. Eschatologisch (Eschatologie von altgriechisch esça...; „Lehre von den letzten Dingen“ (zu éschatos: der letzte)[Meyer 1973: Sp. 1]) bedeutet "auf das Ende hinweisend" und bezeichnet ein heilsgeschichtliches Verständnis der Geschichte, nach dem alles, was geschieht, letztendlich der Erfüllung des göttlichen Plans dient.
Hier setzt die Typologielehre an, die grundsätzlich darauf beruht, jedem in der Geschichte oder Dichtung vor Christus auftauchenden "Typus" einen auf Christus und den göttlichen Heilsplan bezogenen "Antitypus" zuzuordnen, der die Erfüllung der im Typus gegebenen Verheißung verkörpert [Richardson 1996: S. 88]. Der Begriff geht dabei zurück auf das griechische typos zurück, das Paulus im Römerbrief gebraucht und das in der Vulgataübersetzung als figura wiedergegeben wird:

sed regnavit mors ab Adam usque ad Mosem etiam in eos qui non peccaverunt in similitudinem praevaricationis Adae qui est forma futuri. [Vulgata:Römer 5, 14]
("Doch herrschte der Tod von Adam bis Mose auch über die, die nicht gesündigt haben und mit gleicher Übertretung wie Adam, welcher ist ein Bild des, der zukünftig war")[Weddige 2006: S. 81]

Daher bezeichnet man die Typologielehre auch als steht für::Figuraldeutung. Diese basiert also auf dem Gedanken von Verheißung und Erfüllung: Die Welt ist das Buch, in dem es zu lesen gilt (vgl.[Weddige 2006: S. 65]). So werden Figuren und Geschehnisse aus dem Alten Testament als Hinweise auf steht für::neutestamentliche Figuren und Geschehnisse gedeutet (z.B. die Opferung Isaaks als Vorahnung des Opfertods Christi [Luther 2008:1. Mose 22,1-19]), die dann aber nicht nur eine Wiederholung des schon Gewesenen darstellen, sondern vielmehr Erfüllung und Vollendung des in den alten Gestalten Verheißenen [Weddige 2006: S. 81-82]. Doch nicht nur biblische Stoffe können Typen zu heilsgeschichtlichen Antitypen enthalten: Auch die heidnische Literatur wird christlich umgedeutet (und somit sozusagen "exorziert" und als Kulturschatz in die christliche Ära hinübergerettet). So wird zum Beispiel Orpheus[Ovid 2010: X,1-85], der in die Unterwelt hinabsteigt, zu einem äußerst populären Antitypus für steht für::Christus, der den Tod überwindet, und begegnet uns heute in unzähligen Darstellungen auf mittelalterlichen Kunstwerken [Richardson 1996: S. 89].

Die folgende Betrachtung zeigt, dass auch im Tristan typologieartige Muster auftreten, Parallelen nämlich zwischen biblischen Glaubenshelden und Gottfrieds Protagonisten.

Tristan / David

Auch wenn Gottfried den alttestamentlichen verweist auf::König David nicht mit einem Worte erwähnt [Richardson 1996: S. 89], fallen dem Leser gleich auf den ersten Blick zu viele Parallelen mit dieser Figur ins Auge, als dass man einen Bezug leugnen könnte. Wie in verschiedenen wissenschaftlichen Aufsätzen bereits ausführlich dargelegt wurde (z.B. [Richardson 1996], [Denomy 1956]) bezieht sich diese (typologisch anmutende) Ähnlichkeit sowohl auf physische Attribute und Fertigkeiten als auch auf Erzählmotive und ganze Szenen innerhalb der Erzählungen.

Erscheinung, Charakter und Kunstfertigkeit

Michelangelos "David" in Florenz

Sowohl David als auch Tristan bestechen durch ihre ungewöhnlich schöne Erscheinung. Beide verfügen über ein derartiges Charisma, dass sie bald von allen als Autorität geachtet werden und spielend die höchsten Ehren bei Hof erringen, ja sogar offiziell als Thronfolger gelten dürfen [Denomy 1956:S. 226]. Ihr außerordentlich gutes Harfespiel öffnet beiden die Herzen großer Könige; bei Tristan sogar zweimal: Seine Musik ist ihm nicht nur Schlüssel zu Markes Hof (V. 3505-3756), sondern öffnet ihm als Spielmann Tantris auch Tür und Tor zum Hof der irischen Königin Isolde (V. 7503-7838).

David:

  • Und er war bräunlich, mit schönen Augen und von guter Gestalt. [Luther 2008:1. Samuel 16,12]
  • ...des Saitenspiels kundig, ein tapferer Mann und tüchtig zum Kampf, verständig in seinen Reden und schön gestaltet, und der HERR ist mit ihm [Luther 2008:1. Samuel 16,18]


Tristan:

dar zuo was ime der lîp getân,
als ez diu Minne gebôt.
sîn munt was rehte rôsenrôt,
sîn varwe lieht, sîn ougen clâr.
brûnreideloht was ime daz hâr,
gecrûspet bî dem ende.
sîn arme und sîne hende
wol gestellet unde blanc.
sîn lîp ze guoter mâze lanc.
sîne vüeze und sîniu bein,
dar an sîn schoene almeistic schein,
diu stuonden sô ze prîse wol,
als man'z an manne prîsen sol.
sîn gewant, als ich iu hân geseit,
daz was mit grôzer höfscheit
nâch sînem lîbe gesniten.
an gebaerde unde an schoenen siten
was ime sô rehte wol geschehen,
daz man in gerne mohte sehen.(V. 3332-3350 [1])
(Außerdem war er so schön, wie die Liebe selbst es sich wünschen könnte. Sein Mund war von vollem Rosenrot, seine Haut hell, seine Augen leuchtend. Sein Haar war braungelockt und ganz und gar gekräuselt. Seine Arme und Hände waren wohlgeformt und weiß. Er hatte die richtige Körpergröße. Seine Füße und Beine, an denen seine Schönheit sich am deutlichsten zeigte, verdienten so viel Lob, wie man einem Manne spenden kann. Seine Kleidung war, wie gesagt, mit großer höfischer Eleganz ihm angepasst. An Benehmen und feinem Anstand war er so vollkommen, dass es eine Freude war, ihm zuzusehen.[Gottfried von Straßburg 2007: Bd. 1, S. 207])


>>Tristan, Tristan li Parmenois
cum est bêâs et cum cûrtois!<<(V. 3363-3364)
(>>Tristan, Tristan aus Parmenien, wie schön und höfisch ist er!<<[Gottfried von Straßburg 2007: Bd. 1, S. 209])


Datei:Tristan musiziert.jpg
Tristan an der Harfe
sîne noten und sîne ursuoche,
sîne seltsaene grüeze
die harpfete er sô süeze
und machete sî schoene
mit schoenem seitgedoene,
daz ieglîcher dâ zuo lief,
dirre jenem dar nâher rief.
[...]
do begunde er suoze doenen
und harpfen sô ze prîse
in britûnischer wîse
daz maneger dâ stuont unde saz,
der sîn selbes namen vergaz. (V. 3566-3572 und 3588-3592)
(Seine Noten und Improvisationen, seine fremdartigen Vorspiele harfte er so lieblich und ließ sie so herrlich ertönen mit herrlichem Saitenklang, dass viele herbeieilten und einander näherriefen. [...] Er spielte so schön und schlug die Harfe so vortrefflich in bretonischer Weise, dass viele da standen und saßen, die ihren eigenen Namen vergaßen.[Gottfried von Straßburg 2007: Bd. 1, S. 223])


David bei Saul

Rembrandt: David musiziert für König Saul

Nachdem König Saul einen Auftrag Gottes nicht so ausgeführt hatte, wie dieser es von ihm verlangt hatte [Luther 2008:1. Samuel 15], verlässt ihn der Geist Gottes. Stattdessen wird er nun von einem bösen Geist geplagt. Seine unterstützt von::Diener raten ihm, nach jemandem zu suchen, der ihm auf der Harfe vorspielt, wenn der leidet an::Geist ihn überfällt. So wird Herr von::David an den Hof berufen und es dauert nicht lange, bis König dient::Saul ihn "liebgewinnt" und ihn zu seinem Waffenträger macht:

So kam David zu Saul und diente vor ihm. Und Saul gewann ihn sehr lieb und er wurde sein Waffenträger. Und Saul sandte zu Isai und ließ ihm sagen: Lass David mir dienen, denn er hat Gnade gefunden vor meinen Augen. Sooft nun der böse Geist von Gott über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So wurde es Saul leichter und es ward besser mit ihm und der böse Geist wich von ihm. [Luther 2008: 1. Samuel 16,21-23]

Auch Marke bittet Herr von::Tristan, ihn dann und wann mit seinem Saitenspiel zu erfreuen, wenn auch in Gottfrieds Roman weniger die leidet an::Schlaflosigkeit des Königs als viel mehr diejenige Tristans als Anlass dient:

>>dîne leiche ich gerne hoeren sol
underwîlen wider naht,
sô dû doch niht geslâfen maht.
diz tuostu wol mir unde dir.<< (V. 3652-3655)
(>>Ich will deine Lieder gerne hören bisweilen am Abend, wenn du nicht schlafen kannst. Das wird dir und mir guttun.<<[Gottfried von Straßburg 2007: Bd. 1, S. 227])

Desgleichen erhebt auch er liebt::Tristan in den Stand eines Gefährten und Waffenträgers:

Der künec sprach: >>Tristan, hoere her:
an dir ist allez, des ich ger.
dû kanst allez, daz ich wil:
jagen, sprâche, seitspil.
nu suln ouch wir gesellen sîn,
dû der mîn und ich der dîn
tages sô sul wir rîten jagen,
des nahtes uns hie heime tragen
mit höfschlîchen dingen:
harpfen, videlen, singen,
daz kanstu wol, daz tuo du mir.
sô kan ich spiel, daz tuon ich dir,
des ouch dîn herze lîhte gert:
schoeniu cleider unde pfert,
der gibe ich dir swie vil du wilt.
dâ mite hân ich dir wol gespilt.
sich, mîn swert und mîne sporn,
mîn armbrust und mîn guldin horn,
geselle, daz bevihle ich dir.
des underwint dich, des pflic mir
und wistu hövsch unde vrô!<< (V. 3721-3741)
(Der König sagte: >>Höre, Tristan! Du hast alles, was ich möchte. Du kannst alles, was ich gern könnte: Jagd, Sprachen, Saitenspiel. Lass uns nun Gefährten sein, du der meine und ich der deine. Tagsüber wollen wir auf die Jagd reiten, und abends wollen wir uns hier zuhause mit höfischen Unterhaltungen beschäftigen, mit Harfenspiel, Fiedeln und Singen. Das beherrschst du gut. Tu es für mich. Dafür kenne ich Vergnügungen, die ich dir bereite und die du gewiss gerne hast: Prächtige Kleider und Pferde gebe ich dir, soviel du willst. So gut unterhalte ich dich. Sieh, mein Schwert und meine Sporen, meine Armbrust und mein goldenes Horn übergebe ich dir, mein Freund. Kümmere dich um sie, achte auf sie für mich, sei zufrieden und glücklich bei Hofe!<<[Gottfried von Straßburg 2007: Bd. 1, S. 231 und 233])

Und wenn im weiteren Verlauf der Geschichte Saul mit dem steigenden Ansehen Davids immer mehr in Eifersucht und Zorn gegen David entbrennt und schließlich seinen Speer auf den Harfenden schleudert[Luther 2008: 1. Samuel 18,10-11], so nimmt auch die Beziehung zwischen Marke und Tristan immer mehr Spannung auf, als Isolde in die Handlung eintritt.

David und Goliath

David mit dem Kopf des besiegten Golia

Fast noch augenfälliger als die oben beschriebenen Ähnlichkeiten zwischen David und Tristan ist die Parallele des sprichwörlich gewordenen Kampfes eines Jünglings gegen einen übermächtigen Gegner - einmal heißt das Paar David und tötet::Goliat, ein anderes Mal Tristan und Morold.

Legen wir die beiden Erzählungen nebeneinander und gehen die Szenen, die uns geboten werden, Schritt für Schritt durch:

Die Israeliten befindet sich im Kampf gegen die Philister. Die beiden Parteien lagern einander gegenüber und sind durch ein Tal voneinander getrennt. Jeden Tag, wenn sich die Fronten gegenüberstehen, hat der furchterregende Vorkämpfer der Philister seinen Auftritt:

Da trat aus den Reihen der Philister ein Riese heraus mit Namen Goliat aus Gat, sechs Ellen und eine Handbreit groß. Der hatte einen ehernen Helm auf seinem Haupt und einen Schuppenpanzer an, und das Gewicht seines Panzers war fünftausend Lot Erz, und hatte eherne Schienen an seinen Beinen und einen ehernen Wurfspieß auf seiner Schulter. Und der Schaft seines Spießes war wie ein Weberbaum und die eiserne Spitze seines Spießes wog sechshundert Lot, und sein Schildtärager ging vor ihm her.[Luther 2008: 1. Samuel 17,4-7]

Goliat fordert die kämpft gegen::Israeliten auf, einen Mann auszuwählen, der zum entscheidenden Zweikampf gegen ihn antreten soll. Gewinnt Goliat, so bedeutet das die Versklavung der Israeliten, gewinnt hingegen der Erwählte, so wollen die Philister sich unterwerfen.

In Gottfrieds Roman ist die Ausgangssituation nicht genau dieselbe, wenn sie auch auf den ersten Blick identisch wirkt:

Das Reich Markes leidet seit langer Zeit unter der Unterdrückung durch den aus Afrika stammenden Gurmun, der seinerzeit Irland usurpiert hatte und von dort aus die restlichen großbritannischen Länder bedrängt (V. 5872-5926). In jedem Jahr fordert er Zins, immer höhere Summen, bis ab dem vierten Jahr der Gewaltherrschaft schließlich Morold, sein Vorkämpfer (sîn vorvehtaere) jährlich nach spielt in::Cornwall kommt und dreißig Knaben, Söhne der höheren Gesellschaft als Tribut fordert. Gurmun kann sich dies erlauben, da das Land für Krieg zu geschwächt ist und keiner wagt, im Zweikampf gegen Herr von::Morold anzutreten:

sô was ouch Môrolt alse starc,
als unerbermig unde als arc,
daz wider in lützel kein man,
sach er in under ougen an,
getorste wâgen den lîp
ihte mêre danne ein wîp. (V. 5972-5978)
(Zudem war Morold so stark, wie rücksichtslos und boshaft, und kein Mann, wenn er ihn anschaute, getraute sich mehr als eine Frau.[Gottfried von Straßburg 2007: S. 367])

Hier bewirkt der Ausgang des Zweikampfes also etwas anderes: Statt dass zwei freie Völker darum kämpfen, welches das andere im Folgenden versklavt, muss sich bei Gottfried ein bereits unterdrücktes Volk seine Befreiung erst erkämpfen (vgl.[Denomy 1956: S. 227]).
Doch, und hier findet sich wieder kein Unterschied zwischen den Berichten, kein einziger findet sich, der sich den Zweikampf zutraut. Und so werden die Demütigungen eben hingenommen - bis ein Jüngling auftaucht, der angesichts seines geringen Alters eigentlich nichts auf dem Schlachtfeld verloren hat, dessen Stolz und Mut ihn bereits zum Helden prädestinieren.

Der biblische David wird von seinem verwandt mit::Vater eigentlich nur geschickt, seinen älteren Brüdern, die im Heer dienen, zu Essen zu bringen und sich nach Neuigkeiten zu erkundigen. Tristan kehrt nach Regelungen seiner eigenen Angelegenheiten aus Parmenien nach Cornwall zurück. Beide werden sie Zeuge der Schmach, die ihr Volk durch die Feinde erleidet, und beide wenden sie sich empört an die Ihren:

Da sprach David zu den Männern, die bei ihm standen: Was wird man dem geben, der diesen Philister erschlägt und die Schande von Israel abwendet? Denn wer ist dieser unbeschnittene Philister, der das Heer des lebendigen Gottes verhöhnt? [Luther 2008: 1. Samuel 17,26]
>>ir hêrren<< sprach er >>alle samet,
alle mit einem namen genamet,
die hie ze lôze loufent,
ir edelkeit verkoufent,
schamt ir iuch der schanden niht,
diu disem lande an iu geschiht?
sô manhaft alse ir alle zît
alle unde an allen dingen sît,
sô soltet ir billîche
beide iuch und iuwer rîche
ahpaeren unde hêren
und an den êren mêren!
nu habet ir iuwer vrîheit
iuwern vînden geleit
ze vüezen und ze handen
mit zinslîchen schanden. (V. 6063-6074)
(>>Ihr Herren<< sagte er, >>alle zusammen, um alle mit einem Namen anzusprechen, die Ihr zum Losen hierhereilt und Eure Vornehmheit verkauft, schämt Ihr Euch nicht der Schande, die diesem Reiche durch Euch zugefügt wird? So tapfer Ihr sonst immer in allen Dingen seid, so solltet Ihr von Rechts wegen Euch und Euer Land achtbar und angesehen halten und seine Ehre noch vergrößern! Dagegen habt Ihr eure Freiheit Euren Feinden zu Händen und Füßen übergeben mit schmählichem Tribut (...)<<[Gottfried von Straßburg 2007: S. 371]

Beide argumentieren außerdem, was sich hier abspielt sei ein Unrecht vor Gott, und derjenige, der den frechen Verleumder der Gerechtigkeit im Kampf bestrafe, könne mit Gottes Lohn rechnen. Ein Unterschied ist allerdings, dass David sich seines Sieges gewiss ist:

David aber sprach zu Saul: Dein Knecht hütete die Schafe seines Vaters; und kam dann ein Löwe oder ein Bär und trug ein Schaf weg von der Herde, so lief ich ihm nach, schlug auf ihn ein und errettete es aus seinem Maul. Wenn er aber aufmich losging, ergriff ich ihn bei seinem Bart und schlug ihn tot. So hat dein Knecht den Löwen und den Bären erschlagen, und diesem unbeschnittenen Philister soll es ergehen wie einem von ihnen; denn er hat das Heer des lebendigen Gottes verhöhnt. Und David sprach: Der HERR, der mich von dem Löwen und Bären errettet hat, der wird mich auch erretten von diesem Philister.[Luther 2008: 1. Samuel 17,34-37a]

Tristan dagegen bezieht auch das Unterliegen im Kampf als Möglichkeit mit ein, die aber unbedingt in Kauf genommen werden muss:

nû sî daz, daz er dâ belige,
deiswâr, so ist doch der kurze tôt
und disiu lange lebende nôt
ze himele und ûf der erde
in ungelîchem werde.
ist aber, daz er dâ gesiget
und daz daz unreht geliget,
sô hât er iemer mêre
dort gotes lôn, hie êre. (V. 6094-6102)
(Und gesetzt den Fall, daß er unterliegt, so ist doch wahrlich dieser kurze Tod und diese ewig währende Bedrängnis im Himmel und auf Erden von unterschiedlichem Gewicht. Wenn er aber siegt und das Unrecht unterliegt, so besitzt er auf ewig dort Gottes Lohn und hier Ansehen. [Gottfried von Straßburg 2007: S. 373])

In der Tat werden wir später sehen, dass David den Kampf gegen besiegt::Goliat auch sehr viel eindeutiger und geradezu schnur-(oder kiesel-)stracks gewinnt, während Tristan lange mit besiegt::Morold ringen muss und am Ende auch selbst verletzt wird.

Tristan erklärt sich also zum Kampf bereit - und scheint dabei sogar direkt auf die biblische Erzählung anzuspielen, wenn er sagt:

>>jâ ist der dinge vil geschehen.
man hat des wunder vil gesehen,
daz unrehtiu hôhvart
mit cleiner craft genidert wart.
daz möhte ouch vil wol noch ergân
der ez getörste bestân.<< (V. 6215-6220)
(Es ist schon vieles geschehen. Man hat sehr häufig erlebt, wie unrechtmäßiger Hochmut mit geringer Stärke gebrochen wurde. Das könnte sich durchaus noch wiederholen, wenn einer es zu tun wagte [Gottfried von Straßburg 2007: S. 379])

Auch David, wenden wir uns wieder dem israelitischen Heerlager zu, wird vor König dient::Saul gebracht und bestätigt ihm, er wolle kämpfen. Saul will ihn davon abbringen:
Saul aber sprach zu David: Du kannst nicht hingehen, um mit diesem Philister zu kampfen;denn du bist zu jung dazu, dieser aber ist ein Kriegsmann von Jugend auf. [Luther 2008: 1. Samuel 17, 33]
Doch David besteht darauf: Er will Goliath gegenübertreten. Also legt der König selbst ihm seine eigene Rüstung an. Sie ist David jedoch viel zu groß und zu schwer; er kann sich darin kaum bewegen. David wird Goliath nur mit seinem Hirtenstab, seiner Schleuder und der Hirtentasche mit fünf glatten Kieselsteinen entgegentreten.

Ein solches Ding ist im Tristanroman natürlich undenkbar, ist Tristan doch - anders als David - ein Königssohn und ein Mann von Adel, und das drückt sich im Mittelalter eben in entscheidendem Maß in Rüstung und Bekleidung aus: Nachdem auch König Marke vergeblich versucht hat, ihn umzustimmen,

hie begunde in Marke leiten abe
mit allen sînen sinnen.
er wânde im abe gewinnen,
ob er'z in lâzen hieze,
daz er ez durch in lieze.
nein er, weiz got, er entete.
weder mit gebote noch mit bete
kund er ime sô vil niht mite gegân,
daz er'z durch in wolde lân. (V. 6242-6250)
Davon wollte Marke ihn abbringen mit aller Überredungskunst. Er hoffte von ihm zu erreichen, daß, wenn er es ihm untersagte, er es dann auch ließe. Bei Gott, nein! Er tat es nicht. Weder durch Befehle noch durch Bitten konnte er ihn dazu bewegen, es um seinetwillen sein zu lassen. [Gottfried von Straßburg 2007: S. 381])

und nach einem zwischengeschalteten rechtlichen Diskurs mit Morold legt Tristan seine vollkommene Rüstung an - nicht ohne, man merke auf, auch wieder die tätige Hilfe des Königs selbst, der zu seinen Füßen liegt, um ihm die Sporen umschnallt, und ihm sein eigenes Schwert umgürtet.

Der Kampf hebt an. Bei David geht alles ganz schnell. Goliat verhöhnt ihn, er antwortet mit einer Zurechtweisung und beruft sich auf den HERRN Zebaoth, mit dessen Hilfe, wie er ankündigt, er Goliat töten werde. Er läuft auf den Riesen zu und schleudert ihm einen Stein direkt vor die Stirn. Goliat fällt bewusstlos zu Boden und David schlägt ihm mit seinem eigenen Schwert den Kopf ab. Die Philister fliehen, David wird als Held gefeiert[Luther 2008: 1. Samuel 17,41-57].
Bei Tristan hingegen zieht sich die Kampfhandlung in die Länge, was mit Sicherheit auch Erzählkonventionen zu Gottfrieds Zeit, der Lust an Ausführlichkeit und dem Detailreichtum, zuzuschreiben ist. Morold bringt seinem Gegner, anders als Goliat und gemäß der höfischen Konvention, Respekt und Anerkennung entgegen. Gefochten wird auf einer Insel, um zu garantieren, dass kein anderer sabotierend eingreifen kann; mehrere Waffengänge sind nötig, um einen Sieger zu ermitteln, die hier nachvollzogen werden können.

Am Ende schlägt der mit Morolds vergiftetem Schwert tödlich verwundete Tristan seinem Gegner die Schwerthand ab und versetzt ihm einen Hieb, der ihm die Schädeldecke spaltet. Ein letztes Mal verhöhnt Tristan Morold und erklärt das göttliche Recht für wiederhergestellt. Dann schlägt auch er - völlig unhöfisch!)- seinem Feind den Kopf ab. Nach Richardson ist dieses Verhalten, das dem höfischen Kodex so stark zuwiderläuft, allein als Bezug auf die Enthauptung Goliats durch unterliegt::David zu erklären [Richardson 1996: S. 91]

Auch Tristan wird von den Seinen als Held gefeiert, jedoch hat sein Sieg über tötet::Morold auch ernsthafte Konsequenzen für den Fortgang der Handlung, nämlich für die Verschärfung der verursacht::Feindschaft zwischen Irland und Cornwall und ganz konkret auch auf seine zukünftige Beziehung zu Isolde.

Tristan / Josef

Eine weitere Geschichte aus der Bibel, zu der sich Parallelen herstellen lassen, ist die Geschichte Josephs aus dem 1. Buch Mose. Als Lieblingssohn seines Vaters Sohn von::Jakob zieht er den Neid seiner Brüder auf sich, die ihn in eine Zisterne werfen. Dort finden ihn Händler und verkaufen ihn als Sklave nach Ägypten. Durch seine Gabe als Traumdeuter gewinnt er in der Fremde schnell Ansehen. Die Frau des Kämmerers, für den er arbeitet, versucht ihn zu verführen und als begehrt::Joseph sie zurückweist, wird er ins Gefängnis geworfen. Auch hier hilft ihm wieder seine Begabung als Traumdeuter und er gelangt schließlich an den Hof des Pharaos und in die Position des zweitwichtigsten Mannes nach ihm. Dort findet auch die Wiedervereinigung mit seinem Vater statt, als seine Brüder während einer Dürreperiode nach Ägypten kommen, das dank Josefs Deutungen auf die Dürren vorbereitet war.[2]


Die Hauptelemente dieser Geschichte lassen sich auch im Tristan finden. Die hier behandelten Punkte folgen im wesentlichen der von Evelyn M. Jacobson vorgenommenen Auflistung der Basiselemente der Geschichte.[Jacobson 1985: S. 570] Auch Tristan ist der Lieblingssohn seines (Zieh-)Vaters:

Wan er in werder haete
und bôt ez baz im einem
dan aller der dekeinem
(...)
sîner eigenen kinde
was er sô vlîzec niht sô sîn; (V. 2182-2187]
(Denn er schätzte ihn höher und behandelte ihn besser als jeden anderen (...). Um seine eigenen Kinder bemühte er sich nicht so sehr wie um ihn;[Gottfried von Straßburg 2007: Bd. 1, S. 141])

Es ist zwar nicht der Neid der Brüder, der ihn ungewollt und ohne des Wissens des Vaters von zu Hause fortbringt, dennoch sind sie daran beteiligt. Wenn sie auch nicht ihre Schuld, sie sind aber dennoch die Auslöser [Jacobson 1985: S. 573]:

[...] zwei des marschalkes kint
[...]
an ir vater kâmen
und bâten den bihanden,
daz er in durch Tristanden
der valken koufen hieze." (V. 2169-2177)
([...] zwei Kinder des Marschalls [...] zu ihrem Vater gingen und ihn inständig baten, daß er ihnen für Tristan Falken einzukaufen auftrüge.[Gottfried von Straßburg 2007: S. 139]

Tristan wird also gewaltsam nach gelangt nach::Cornwall verschleppt, wie Josef nach gelangt nach::Ägypten. Beide Male sind es Kaufleute, mit denen sie unfreiwillig ziehen müssen. In der Fremde kommen beide in niedriger Position an den Königs- bzw. Pharaohof, Josef als Sklave des Kämmerers, Tristan als angeblicher Sohn eines Kaufmannes [Gottfried von Straßburg 2007:V.3099-3104]. Bei beiden sind es ihre Talente, nicht ihre Abstammung, die sie zu Ehre bringen. Josef zeigt sein Talent als Traumdeuter. Tristan fällt gleich durch mehrere Fähigkeiten auf: Jagdkunst (V. 2810-2817), Musikspiel, sowohl auf dem Horn (V. 3209-3214) als auch auf der Harfe (V. 3567-3572), und Fremdsprachenkenntnisse (V. 3690-3694).

Ab diesem Punkt sind die Parallelen nicht mehr so deutlich, sondern haben eher schematischen Charakter. Beide wachsen in der Fremde auf und schaffen es, dort zum zweiten Mann nach dem Herrscher aufzusteigen. Tristan gelingt dies kurze Zeit nach seiner Ankunft in zwei Schritten: Erst ernennt Marke ihn zu seinem gesellen (V. 3725 und 3726), dann zu seinem rechtmäßigen Erben (V. 5152-5158). Josef hat dieses Glück erst zum Ende seiner Geschichte, nachdem er schon im Gefängnis war und wieder begnadigt worden ist [Luther 2008: 1. Mose 41,37-46].

Trotz ihres Erfolges bleiben sie doch Außenseiter am Hof und ziehen den Neid anderer auf sich. Tristan ist zwar zuerst allseits beliebt, erst nach seiner ersten Irlandfahrt, als seine Macht zu wachsen beginnt, beneiden die anderen ihn aber so sehr, dass er sogar fürchten muss, ermordet zu werden (V. 8365-8378).

Beide werden vom Hof verbannt, Josef wegen einer Anschuldigung angeblichen Missbrauchs, Tristan wegen seiner tatsächlichen Beziehung zu liebt::Isolde (V. 16603-16604).

Nach einem augenscheinlichen Unschuldsbeweis kann Tristan wieder an den Hof zurückkehren. Josef wird vergeben, da seine traumdeuterischen Fähigkeiten gebraucht werden und sich bewähren; er bewahrt spielt in::Ägypten vor einer Hungersnot.

Ein Element, das Jacobson nicht nennt, ist die Wiedervereinigung mit dem Vater. Rual gelangt auf der Suche nach Vater von::Tristan schließlich an Markes Hof und kann seinen Ziehsohn wiedersehen. Josefs Vater kommt während der Dürre nach Ägypten, nachdem seine Brüder Josef um Korn gebeten haben.

Fazit

Die Art und Weise, wie Gottfried sich des typologischen Prinzips für seinen Roman bedient, lässt aufmerken: Er schert damit aus einer Tradition aus, der zufolge die Typologie per definitionem eine religiöse Botschaft transportiert (vgl. [Richardson 1996: S. 109]). Für Tristan strebt er nicht nur den Vergleich oder die Identifizierung mit den biblischen Helden, sondern proklamiert Tristan regelrecht als Antitypus und somit als ihre "neue Version" dar [Richardson 1996: S. 106]. Alois Wolf bezeichnet dieses Vorgehen als säkularisierte Typologie und John Richardson verweist auf die Forschungsmeinung, Gottfrieds Moralphilosophie sei eine Art säkulare Religion [Richardson 1996: S. 106]. Und es ist wahr: Die Frage danach, warum Tristan die Fortentwicklung der Glaubenshelden sein solle, stellt den Leser vor die Frage, nach welchen Maßstäben Gottfried Verhalten bewertet und führt ihn damit in Gottfrieds moralisches Universum ein. Hier gelten nicht die Tugenden, nach denen die alttestamentlichen Helden bewertet werden, sondern nur ein einziger Maßstab für alle Tugend: Leidenschaftliche Liebe. Somit sendet Gottfried in seiner Zweckentfremdung der Typologie klare Signale an den Leser, die ihn dahin bringen, dass er die Versetzung des Wertesystems nachvollziehen und sich auf die revolutionäre, beinahe ketzerische Erzählung einer verbotenen Liebe einlassen kann.

  1. Mit Versangabe im Folgenden zitiert aus[Gottfried von Straßburg 2007]
  2. Diese Gliederung folgt der von Evelyn M. Jacobson, S. 570

Literaturnachweise

<HarvardReferences />

  • [*Denomy 1956] Denomy, Alexander J. (1956): Tristan and the Morholt. David and Goliath. In: Mediaeval Studies (28), S. 224–232.
  • [*Gottfried von Straßburg 2007] Gottfried von Straßburg; Ranke, Friedrich (Übers.); Tristan, Band 1 und 2; Reclam; Stuttgart; 2007.
  • [*Jacobson 1985] Jacobson, Evelyn M.: Biblical Typology in Gottfried's Tristan und Isolde. In: Neophilologus 69 (1985), S.568-578.
  • [*Luther 2008] Luther, Martin: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers; [Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984]. Standardausg., durchges. Ausg. in neuer Rechtschreibung, [Nachdr.]. Stuttgart 2008: Dt. Bibelges.
  • [*Meyer 1973] Eschatologie: Meyers enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, 9. vollst. überarb. Aufl., Bd. 8: Enz - Fiz, S. 182
  • [*Ovid 2010] Ovidius Naso, Publius; Albrecht, Michael von: Metamorphosen. Lateinisch, deutsch. Durchges. und bibliogr. erg. Ausg. Stuttgart 2010: Reclam (Römische Literatur, 1360).
  • [*Richardson 1996] Richardson, John: Niuwer David, Niuwer Orpheus. Transformation and metamorphosis in Gottfried von Straßburg's Tristan. In: Tristania 17 (1996), S. 85–109.
  • [*Vulgata] Vulgata Bibelübersetzung nach www.bibleserver.com
  • [*Weddige 2006] Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik. 6., durchges. München 2006: Beck (C.-H.-Beck-Studium).