Höfische Normen und Normverletzungen: Unterschied zwischen den Versionen

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Parzival bezieht in seine Überlegung zum einen die Lehre Gurnemanz und seine Erfahrung an seinem Hof ein. Zu einem anderen Ergebnis kommt die Seite [[Parzivals Faux Pas auf der Gralsburg: Die Rolle der Erziehung|Parzivals Faux Pas auf der Gralsburg: die Rolle der Erziehung.]] Zum anderen geht er davon aus, dass er länger auf der Burg bleibt und er somit noch Zeit hätte, die Vorgänge verstehen zu lernen.[Münkler 2008: S. 508] Ein weiterer Grund keine Fragen zu stellen, ergibt sich aus dem Ritualscharakter der Gralsprozession. Ein Ritual durch Fragen zu stören, wäre unhöflich. Parzival verletzt also keine Verhaltensnorm und lädt gerade dadurch Schuld auf sich. Diese schuldlose Schuld nimmt er an und versucht durch seine eigentlich aussichtslose Suche nach der Gralsburg (Sigune erklärt, "ir sult wandels sîn erlân" (255,24) und seine ritterlichen Kämpfe seine Schuld wiedergutzumachen.[Münkler 2008: S. 510] Dies kann am Ende nur mit der Gnade Gottes gelingen, die Parzival durch die erneute Berufung zum Gral widerfährt. Deshalb ist er auch erst in diesem Zustand der Gnade in der Lage, die Mitleidsfrage zu stellen. Hier zeigt Parzival, dass er jetzt Normen selbständig interpretiert, da er die Frage, die ihm von Trevrizent genannt wird, eigenständig umformuliert.[Münkler 2008: S. 511] Haug sieht das Verhalten Parzivals in dem "Widerspruch zwischen objektiver Struktur und subjektivem Bewusstsein".[Haug 2008: S. 154] Er zieht eine Parallele zwischen Parzivals Suche nach der Gralsburg und der für den Helden unsichtbaren Handlungsstruktur. Der Held kann die Erlösung nicht aus eigener Kraft erlangen, sondern benötigt die Gnade Gottes.[Haug 2008: S. 156] Entgegen der Meinung des Autors, Parzival quäle sich damit, eine ihm [[Die Struktur des Doppelwegs: "Parzival" und "Erec" im Vergleich|unverständliche Struktur]] zu erkennen, ist vielmehr eine kunstvolle Verflechtung von Handlungsschema und dargestelltem Inhalt zu erkennen. Parzival wird von seiner Schuld getrieben, was sich aber in die Struktur einfügt.
Parzival bezieht in seine Überlegung zum einen die Lehre Gurnemanz und seine Erfahrung an seinem Hof ein. Zu einem anderen Ergebnis kommt die Seite [[Parzivals Faux Pas auf der Gralsburg: Die Rolle der Erziehung|Parzivals Faux Pas auf der Gralsburg: die Rolle der Erziehung.]] Zum anderen geht er davon aus, dass er länger auf der Burg bleibt und er somit noch Zeit hätte, die Vorgänge verstehen zu lernen.[Münkler 2008: S. 508] Ein weiterer Grund keine Fragen zu stellen, ergibt sich aus dem Ritualscharakter der Gralsprozession. Ein Ritual durch Fragen zu stören, wäre unhöflich. Parzival verletzt also keine Verhaltensnorm und lädt gerade dadurch Schuld auf sich. Diese schuldlose Schuld nimmt er an und versucht, durch seine eigentlich aussichtslose Suche nach der Gralsburg <ref>Sigune erklärt, "ir sult wandels sîn erlân" (255,24)</ref>und seine ritterlichen Kämpfe seine Schuld wiedergutzumachen.[Münkler 2008: S. 510] Dies kann am Ende nur mit der Gnade Gottes gelingen, die Parzival durch die erneute Berufung zum Gral widerfährt. Deshalb ist er auch erst in diesem Zustand der Gnade in der Lage, die Mitleidsfrage zu stellen. Hier zeigt Parzival, dass er jetzt Normen selbständig interpretiert, da er die Frage, die ihm von Trevrizent genannt wird, eigenständig umformuliert.[Münkler 2008: S. 511] Haug sieht das Verhalten Parzivals in dem "Widerspruch zwischen objektiver Struktur und subjektivem Bewusstsein".[Haug 2008: S. 154] Er zieht eine Parallele zwischen Parzivals Suche nach der Gralsburg und der für den Helden unsichtbaren Handlungsstruktur. Der Held kann die Erlösung nicht aus eigener Kraft erlangen, sondern benötigt die Gnade Gottes.[Haug 2008: S. 156] Entgegen der Meinung des Autors, Parzival quäle sich damit, eine ihm [[Die Struktur des Doppelwegs: "Parzival" und "Erec" im Vergleich|unverständliche Struktur]] zu erkennen, ist vielmehr eine kunstvolle Verflechtung von Handlungsschema und dargestelltem Inhalt zu erkennen.<ref>Sutter sieht die Ursache, die Mitleidsfrage nicht stellen zu können, in der fehlenden "Identitäts- und Orientierungslosigkeit" Parzivals.[Sutter 2003: S. 218] Durch das mangelnde Bewusstsein seiner genealogischen Zugehörigkeit ergibt sich die Sprachlosigkeit. Dies zeigt wieder wie vielschichtig die Verknüpfung zwischen Struktur und Motivation der Figuren ist.</ref> Parzival wird so von seiner Schuld getrieben, dass sich seine Suche nach Erlösung in die Struktur einfügt.


== Fazit ==
== Fazit ==

Version vom 14. Juli 2015, 14:06 Uhr

Im folgenden Artikel soll der Umgang ausgewählter Figuren mit höfischen Normen untersucht werden.

Höfische Normen

Die erzählte Welt des Parzival ist geprägt von Verhaltensregeln, die das Miteinander regeln. Diese werden an manchen Stellen von verschiedenen Figuren explizit genannt, zum Teil beruhen sie auf den höfischen Werten. Man kann also unter höfischen Normen Regeln verstehen, deren Einhaltung von der Gesellschaft erwartet werden. Immer wieder kommt es zu Normverletzungen der handelnden Figuren. Diese geschehen aus ganz unterschiedlichen Situationen und Motivationen heraus.

Bewusste Normverletzungen

Immer wieder überschreiten oder nutzen Figuren bewusst und reflektiert gesellschaftliche Normen, um ihr Handlungsziel zu erreichen.

Condwiramurs

Als Pelrapeire, die Burg Condwiramurs, belagert wird, taucht Parzival als möglicher Retter in der Not auf.(179,13ff)[1] Statt die Königin zu begrüßen, schweigt er, wie der Erzähler erklärt, weil "in der werde Gurnemanz von sîner tumpheit geschiet unde im vrâgen widerriet" (188,16-18), ohne zu überlegen, ob dieses Gebot für diese Situation angemessen ist. [Münkler 2008: S. 499.] Condwiramurs dagegen wägt ab, was dieses ihr gegenüber unangemessene Verhalten auslösen könnte. Der Rezipient erfährt durch Innensicht der Figur ihren Gedankengang:

188,26-189,5 Neuhochdeutsch
"ich wæn, mich smæhet dirre man "Ich glaube fast, dass dieser Mann sich schämt,
durch daz mîn lîp vertwâlet ist. sich mit mir abzugeben, nur weil mein leib so abgehärmt ist und zerquält.
nein, er tuotz durch einen list: Ach nein, er ist gut erzogen und denkt sich was dabei:
er ist gast, ich pin wirtîn: Er ist der Gast, ich bin hier daheim
diu êrste rede wære mîn. - es ist an mir, ihn anzureden.
dar nâch er güetlîch an mich sach, Er sieht mich schon die ganze Zeit lang mit so viel Freundlichkeit an,
sît uns ze sitzen hie geschach: seit wir hier Platz genommen haben:
er hât sich zuht gein mir enbart. Feinheit und Taktgefühl hat er mich sehen lassen.
mîn rede ist alze vil gespart: Viel zu viele Worte habe ich schon versäumt,
hie sol niht mêr geswigen sîn." Ich darf jetzt nicht länger schweigen."

Condwiramurs kommt zu dem Schluss, dass ihr Gast nur höflich sein will und erhält eine Bestätigung dieser Vermutung durch ihre Beobachtung, Parzival schaue freundlich. Sie zeigt sich hier als eine Figur, die die höfischen Verhaltensregeln kennt, denn sie erwartet nach der angemessenen Begrüßung (187,2-187,6)ein Gespräch. Aber sie zeigt auch ihre Fähigkeit, sich in die Lage ihres Gegenübers hineinzuversetzen und sein Verhalten aus seiner Sicht zu beurteilen. Dieser bewusste Umgang mit den Verhaltensnormen wird noch deutlicher als sie sich entschließt, nachts in die Kammer von Parzival zu schleichen, um ihn um Hilfe zu bitten (192,1-30). Der Erzähler greift vor, indem er, bevor Condwiramurs Handeln beschrieben wird, erklärt, dass sie keusch bleibt(192,3). So wird klar, dass zwar eine Normverletzung duch das Betreten der Schlafkammer Parzivals stattfindet, jedoch nicht aus unsittlichen Motiven, sondern aus Sorge um die Lage ihrer Stadt. Condwiramurs geht noch einen Schritt weiter und legt sich sogar zu Parzival ins Bett, versucht aber sich abzusichern, indem sie ihm das Versprechen abnimmt, "daz ir mit mir ringet niht"(194,1). Sie beruft sich auf die mâze, einer ritterlichen Tugend, um sich zu schützen. Einerseits überschreitet sie also Normen, um an ein Ziel zu gelangen, das sie höher einschätzt als ihre eigene Sicherheit, andererseits nutzt sie eine Norm, um ihre Jungfräulichkeit zu erhalten. Münkler fasst das Verhalten folgendermaßen zusammen: "Sie greift also in einer völlig normwidrigen Situation reflektiert auf bestimmte Normen höfisch-ritterlicher Interaktionen zurück"[Münkler 2008: S.502.]

Orgeluse

Um Rache für den Tod ihres Ehemanns Cidegast zu erlangen, der von Gramoflanz im Kampf getötet wurde, bedient sich Orgeluse des Minnedienstes. Dieser ist ein normiertes Verhalten, bei dem der Ritter für seine Dienste die Zuneigung der Dame erhält, oft auch ihre Hand und ihr Land. Die Art und Weise, in der Orgeluse mit Gawan spricht, ist von Anfang an nicht angemessen und steht dem entgegen, was von einer höfischen Dame erwartet wird. So vespottet sie Gawan beispielsweise als ir gans (515,13). Gawan bleibt trotz der schlechten Behandlung standhaft bei seiner Entscheidung Minnedienst zu leisten (515,19-22). Sie erklärt, dass sie nicht bereit sei, den Minnedienst zu entlohnen und sich an geltende Verhaltensmuster zu halten.

510,9-12 Übersetzung
dient nâch minne iwer hant, Wenn Eure Hand um Liebe dient,
hât iuch âventiure gesant wenn die Aventiure Euch nach Liebe hinausgeschickt hat
nâch minne ûf rîterlîche tât, zu ritterlichen Taten,
des lônes ir an mir niht hât: von mir jedenfalls bekommt Ihr den Lohn nicht.

Nachdem Gawan alle aventiuren überstanden hat, gelangt Orgeluse zu der Einsicht, dass sie falsch gehandelt hat (611,24-26) und erklärt anschließend ausführlich, warum sie so gehandelt hat. Alle Mittel waren ihr Recht, um ihr Rachebdürfnis an Gramoflanz zu stillen (616,3-7). Rache zu üben, war nicht Sache der Frauen, deshalb stellt dies eine weitere Normverletzung dar. Dies führt auch dazu, dass Anfortas für sie in den Dienst tritt und sich dabei seine unheilbare Wunde dabei zuzieht. Die Abkehr von ihrem früheren Verhalten erfolgt sehr plötzlich und ist keinem äußeren Anlass geschuldet, denn Gawan hat auf Schastel marveil auch schon große Gefahren überstanden, ohne dass dies einen Gesinnungswandel in Orgeluse hervorgerufen hätte. Haug[Haug 2008: S.147] sieht den Grund solcher Brüche in der Notwendigkeit sich an das Handlungsschema zu halten. Gawan hat nach dem Kampf mit Lischoys Gwelljus, der Eroberung von Schastel Marveil und dem Holen des Kranzes die drei Abenteuer überstanden, an deren Ende die Erfüllung der Minne steht. Auch Baisch [Baisch 1999: S.33] sieht diesen Bruch als Teil der Textkonstruktion, mit der Handlungen und Handlungsfreiheit der Figuren verdeutlicht werden sollen. Orgeluse kann also nur so lange eine Machtposition gegenüber Gawan und auch in ihrem Land innehaben, wie es das Handlungsschema erlaubt.[Baisch 1999: S. 20] Das Verhalten von Orgeluse steht auch im Kontrast mit anderen Frauenfiguren. Im Gegensatz zu Condwiramurs, die die Normverletzung begeht, um Hilfe in ihrer Notlage zu erhalten, nutzt Orgeluse die höfische Norm des Minnedienstes, um Rache zu üben. Dies entspricht nicht dem üblichen Verhalten einer Frau. Als Position am anderen Ende der Möglichkeiten auf den Tod eines Geliebten zu reagieren, steht Sigune, die bis zu ihrem Tod um Schionatulander trauert.

Gawan

Gawan ist eine Figur, die sehr überlegt und reflektiert handelt. Durch seine Erziehung und Ausbildung kennt er von Anfang an die höfischen Normen und Verhaltensregeln, anders als Parzival. Diese kann er aber situationsgerecht anwenden, indem er durch eigene Beobachtungen die Lage erfasst und sein Verhalten danach ausrichtet. Am deutlichsten wird dies in der Blutstropfenszene (300,1-302,16) als Parzival von den drei Blutstropfen im Schnee gebannt ist. Gawan vertraut nicht auf die Aussagen von Segramors und Keie, die vor ihm zu Parzival ritten und dadurch, dass sie ebenfalls zum Artushof gehören, vertrauenswürdig sind, sondern verschafft sich selbst ein Bild der Lage. Diese Verhalten stellt einen Normverletzung dar, denn die Artusritter sollten als geschlossene Gemeinschaft auftreten.[Münkler 2008: S. 505] Als Parzival auf wiederholtes Ansprechen nicht reagiert, bezieht Gawan eigene Erfahrungen in sein Handeln ein. Durch eine Innensicht der Figur, kann der Rezipient dem Gadankengang Gawans folgen:

301,21-27 Übersetzung
dô dâhte mîn hêr Gâwân Mein Herr Gawan dachte da:
"waz op diu minne disen man "Wer weiß, ob es nicht liebe ist,
twinget als si mich dô twanc, die diesen Mann hier fesselt, so wie mich damals.
und sîn getriulîch gedanc Und vielleicht sind es Gedanken der Treue,
der minne muoz ir siges jehen?" die der Liebe zu ihrem Sieg verholfen haben."
er marcte des Wâleises sehen, Er gab acht auf des Waleisen Blick,
war stüenden im diu ougen sîn. wo seine Augen hingingen.

Der Rezipient kennt die Gründe für Parzivals Verhalten und "weiß, dass Gawans Verhalten das einzig angemessene und zielführende ist".[Münkler 2008: S. 506] Es wird dadurch gezeigt, dass ein reflektierter Umgang mit den höfischen Normen sich als sinnvoll erweist, während die reine Anwendung nicht zu einem guten Ergebnis führt. Gawan zeigt auch in seiner Fähigkeit zu kommunizieren, dass er geltende Verhaltensregeln auslegen kann. Als er Schastel Marveil erblickt, stellt er sowohl der Tochter (554,30-555,1) als auch dem Fährmann(556,6-9) so lange Fragen, bis er eine Auskunft bekommt(557,1-14), was sich für sein Abenteuer als hilfreich erweist, da er wichtige Informationen erhält.[Urscheler 2002: S. 149] Gawan verletzt so die Verhaltensnorm, nicht unmäßig Fragen zustellen und so die Gastgeber zu belästigen, wie sie in Gurnemanz Lehre(171,17) deutlich wird. Aber indem er die Norm nur als Richtschnur für sein Verhalten nimmt und ihr nicht im Wortlaut folgt, besteht er das Abenteuer erfolgreich.


Unbewusste Normverletzung

Parzival

Normverletzung: Kampfansage

Parzival verletzt immer wieder höfische Normen und Regeln. Zu Beginn der Handlung liegt der Grund für Parzivals tumpheit in seiner Erziehung: mangelnde Erfahrung und Wissen führen dazu, dass er sich nicht standesgemäß verhält (siehe hierzu: Parzivals Erziehung durch Herzeloyde). Doch auch als er die höfische Erziehung nachgeholt hat und in den Artushof aufgenommen wird, fällt auf, dass er gegen die Regel der Kampsansage verstößt. Diese Verhaltensnorm dient dazu, den Kampf unter Verwandten auszuschließen und den Grund für den Kampf zu klären.[Urscheler 2002: S. 225] Parzival hat sich diese Regel nicht zu eigen gemacht, er kämpft beispielsweise gegen seinen Halbbruder Feirefiz, ohne vor dem Kampf ein Wort mit ihm zu wechseln(738,28-744,24)[2] Um Parzival an einem weiteren Verwandtenmord zu hindern, muss die Gnade Gottes helfen. Parzival will, um die Gralsburg und Erlösung zu finden, Ritterdienste leisten und kämpfen. Aber erst durch die Gnade Gottes wird es Parzival möglich, die geltenden Normen eigenständig anzuwenden. Als er von Cundrie la Surziere zum Gral (781,12-14) berufen wird, erlebt er, wie ein Kampf verbal entschärft wird: Cundrie weist Parzival und Feirefiz auf die Schilder und Fahnen hin, die anzeigen, dass die Ritter zur Gralsgemeinschaft gehören (793,11-12).

Das Unterlassen der Mitleidsfrage - eine Normverletzung?

Als Parzival das erste Mal nach Munsalvaesche kommt und das Gralsritual erlebt, unterlässt er es, sich nach dem Leid König Anfortas zu erkundigen. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass er damit eine große Schuld auf sich geladen hat, denn durch diese Frage hätte er Anfortas erlösen können (255,1-19). Es gibt viele Standpunkte, warum Parzival die Mitleidsfrage nicht gestellt habe: seine Schuld, die er durch Ithers und seiner Mutter Tod auf sich geladen hat, die mangelhafte Erziehung durch Herzeloyde oder die Lehre Gurnemanz.[Münkler 2008: S. 497] Betrachtet man die Überlegung Parzivals genau, so zieht er keine Schlüsse, die tump sind oder gegen eine Verhaltensnorm verstoßen:

239,11-17 Übersetzung
er dâhte "mir riet Gurnamanz Er dachte: "Gurnemanz hat mir beigebracht
mit grôzen triwen âne schranz, - er ist mir gut und seine Treue ohne Scharte -
ich solte vil gevrâgen niht. dass ich nicht viel fragen soll.
waz op mîn wesen hie geschiht Könnte es nicht sein, dass, ähnlich wie bei ihm dort,
die mâze als dort pî im? alles von allein geschieht?
âne vrâge ich vernim Auch ohne Frage werde ich erfahren,
wiez dirre massenîe stêt." was es mit diesen Leuten auf sich hat."

Parzival bezieht in seine Überlegung zum einen die Lehre Gurnemanz und seine Erfahrung an seinem Hof ein. Zu einem anderen Ergebnis kommt die Seite Parzivals Faux Pas auf der Gralsburg: die Rolle der Erziehung. Zum anderen geht er davon aus, dass er länger auf der Burg bleibt und er somit noch Zeit hätte, die Vorgänge verstehen zu lernen.[Münkler 2008: S. 508] Ein weiterer Grund keine Fragen zu stellen, ergibt sich aus dem Ritualscharakter der Gralsprozession. Ein Ritual durch Fragen zu stören, wäre unhöflich. Parzival verletzt also keine Verhaltensnorm und lädt gerade dadurch Schuld auf sich. Diese schuldlose Schuld nimmt er an und versucht, durch seine eigentlich aussichtslose Suche nach der Gralsburg [3]und seine ritterlichen Kämpfe seine Schuld wiedergutzumachen.[Münkler 2008: S. 510] Dies kann am Ende nur mit der Gnade Gottes gelingen, die Parzival durch die erneute Berufung zum Gral widerfährt. Deshalb ist er auch erst in diesem Zustand der Gnade in der Lage, die Mitleidsfrage zu stellen. Hier zeigt Parzival, dass er jetzt Normen selbständig interpretiert, da er die Frage, die ihm von Trevrizent genannt wird, eigenständig umformuliert.[Münkler 2008: S. 511] Haug sieht das Verhalten Parzivals in dem "Widerspruch zwischen objektiver Struktur und subjektivem Bewusstsein".[Haug 2008: S. 154] Er zieht eine Parallele zwischen Parzivals Suche nach der Gralsburg und der für den Helden unsichtbaren Handlungsstruktur. Der Held kann die Erlösung nicht aus eigener Kraft erlangen, sondern benötigt die Gnade Gottes.[Haug 2008: S. 156] Entgegen der Meinung des Autors, Parzival quäle sich damit, eine ihm unverständliche Struktur zu erkennen, ist vielmehr eine kunstvolle Verflechtung von Handlungsschema und dargestelltem Inhalt zu erkennen.[4] Parzival wird so von seiner Schuld getrieben, dass sich seine Suche nach Erlösung in die Struktur einfügt.

Fazit

Die Figuren im Parzival verletzen aus unterschiedlichen Gründen die höfischen Normen der erzählten Welt. An manchen Stellen ist gut zu erkennen, wie sich die Handlungsstruktur mit den subjektiven Motiven der Figuren verschränkt. Dadurch entsteht eine dichte Erzählstruktur.


Anmerkungen

  1. Alle Textangaben zu Parzival beziehen sich auf: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe, 2. Auflage. 6. Ausgabe von Karl Lachmann, Übersetzung von Peter Knecht. Walter de Gruyter, Berlin: 2003.
  2. Dies geschieht allerdings hier in voller Absicht, denn in dieser Auseinandersetzung treten Parzivals zwei Identitätsräume miteinander in Konflikt, einerseits seine Zugehörigkeit zu seiner Sippe und andererseits seine Ritteridentität. Eine zuerst erfolgende Namensnennung von Parzivals Seite, würde seinem Kombattanten einen Wissenszuwachs zusprechen, der sich nicht synchronisch auf beide Krieger bezieht. Damit wäre der Gegner in der Lage über Fortgang oder Abbruch des Kampfes zu entscheiden, auf der Basis von genealogischen Verflechtungen. Dadurch findet eine Hierarchisierung der Krieger statt, indem die Machtposition Feirefiz, durch die Verfügungsgewalt über das Instrument der Gnade, gestärkt wird und Parzival in eine Abhängigkeitsposition drängt. Um diese mögliche Unterlegenheit seitens Parzival zu vermeiden, beginnt er keinerlei Kommunikation. So versteht Parzival den sippeninternen Gewaltverzicht nicht als pazifizierendes Moment, um die Stabilität und Kontinuität der Sippe zu sichern, sondern von einem personellen, kriegerischen Standpunkt aus, als Unterdrückung seines ritterlichen Identitätsbegriffes, der auf Ehre, Unbesiegbarkeit und Ruhm fußt.
  3. Sigune erklärt, "ir sult wandels sîn erlân" (255,24)
  4. Sutter sieht die Ursache, die Mitleidsfrage nicht stellen zu können, in der fehlenden "Identitäts- und Orientierungslosigkeit" Parzivals.[Sutter 2003: S. 218] Durch das mangelnde Bewusstsein seiner genealogischen Zugehörigkeit ergibt sich die Sprachlosigkeit. Dies zeigt wieder wie vielschichtig die Verknüpfung zwischen Struktur und Motivation der Figuren ist.

Bibliographie

<HarvardReferences/>

  • [*Baisch 1999] Baisch, Martin: Orgeluse. In: Schwierige Frauen - schwierige Männer. Hg.Haas, Alois M.; Kasten, Ingrid. Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften. Bern, 1999.
  • [*Haug 2008] Haug,Walter: Positivierung von Negativität: Letzte kleine Schriften. Niemeyer. Tübingen, 2008.
  • [*Münkler 2008] Münkler, Marina: Inszenierung von Normreflexivität und Selbstreflexivität in Wolframs von Eschenbach Parzival. In:Zeitschrift für Germanistik,Vol.18, N.3 (2008),S.497-511.
  • [*Urscheler 2002] Urscheler, Andreas: Kommunikation in Wolframs "Parzival". Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften. Bern, 2002.