Sexualität und Erotik (Gottfried von Straßburg, Tristan): Unterschied zwischen den Versionen

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Der Tristan-Roman ist voll von sexuellen und erotischen Momenten. Das  sinnliche, wie körperliche Erleben von Liebe, Sexualität, Treue und Freundschaft, ist handlungskonstituierende Größe. Wie ich in diesem  Artikel erörtern will, ist es das Fleischliche, das Verlangen, was viele  Handlungsstränge antreibt und überformt. Es sollen einige  erotischen/sexuellen Motive aufgearbeitet und ihre Bedeutung für den  Tristanstoff analysiert werden. Im Zentrum dabei soll stehen, Rollen die Figuren der Isolden mit ihrer Weiblichkeit sexuelles Verlangen  motivieren und wie dieses Verlangen schließlich Einfluss hat auf die Handlung. Es soll gezeigt werden, dass das Weibliche im Roman treibende  Größe und konfliktkonstituierend ist.
Der Tristan-Roman ist voll von sexuellen und erotischen Momenten. Das  sinnliche, wie körperliche Erleben von [[Minne (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Liebe]], Sexualität, [[Treue (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Treue]] und [[Freundschaften (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Freundschaft]], ist handlungskonstituierende Größe. Wie ich in diesem  Artikel erörtern werde, ist es das Fleischliche, das Verlangen, was viele  Handlungsstränge antreibt und überformt. Es sollen einige  erotischen/sexuellen Motive aufgearbeitet und ihre Bedeutung für den  Tristanstoff analysiert werden. Im Zentrum dabei wird stehen, wie die Charaktere der Isolden mit ihrer Weiblichkeit sexuelles Verlangen  motivieren und wie dieses Verlangen schließlich Einfluss hat auf die [[Inhaltsangabe "Tristan" (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Handlung]]. Es wird gezeigt werden, dass das [[Die Rolle der Frau am ritterlichen Hof (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Weibliche]] im Roman treibende  Größe und konfliktkonstituierend ist.
Ein weiterer Aspekte soll  das Verhältnis zwischen Tristan und Männern sein: Findet ausschließlich  Freundschaft statt, oder lassen sich im Umgang der "Freunde"  homoerotische Tendenzen erkennen? Zu guter Letzt soll betrachtet werden,  wie andere Charaktere des Romans mit ihrer Libido umgehen und zu  welchen inneren und äußeren Konflikten diese führt.
Ein weiterer Aspekt wird das Verhältnis zwischen [[ausgelebt von::Tristan (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Tristan]] und Männern sein: Findet ausschließlich  Freundschaft statt, oder lassen sich im Umgang der "Freunde"  homoerotische Tendenzen erkennen? Zu guter Letzt muss betrachtet werden,  wie andere Charaktere des Romans mit ihrer Libido umgehen und zu  welchen inneren und äußeren Konflikten diese führt.


==Wer pflückt den Apfel und sät Zwietracht?==
==Wer pflückt den Apfel und sät Zwietracht?==
===Tristans und Isoldes erster Kontakt===
===Tristans und Isoldes erster Kontakt===
Betrachtet  man Isoldes erstes Erscheinen, so fällt auf, dass nicht etwa diejenige  blonde Isolde gemeint ist, sondern deren Mutter: Sie tritt als Heilerin  auf, um Tristans Giftwunde zu versorgen. Dabei ist sie voller Mitleid  für den verwundeten Spielmann, nicht zuletzt deshalb, weil sie von  Tristans Höfischheit beeindruckt ist. Tristan wird von ihr geheilt, weil  er einem Ritterideal entspricht. Als Gegenleistung für seine Heilung,  soll er die blonde Isolde in höfischem Verhalten (''morâliteit'' V.  8004) und Künsten unterrichten (V. 7967 ff.). Noch erhält keiner von  beiden sexuelle Attraktivität; beide sind nur sozial äußerst attraktiv.  Tristan wegen seines guten Aussehens und Höfischheit, muss als Idealbild  des Ritters betrachtet werden, da das Aussehen nicht zuletzt Abbild  alles Inneren ist[Haug: S. 609]. Bei Isolde verhält es sich genau  gleich; sie ist das Idealmodell einer ''frouwe''. Zwischen ihnen gibt es  keine Erotik, nur keusche, maximal freundschaftliche Zuneigung, weil  sie voneinander profitieren können. Tristan genest, Isolde lernt von  Tristans künstlerischem Können und wird so der allgemeinen höfischen  Norm noch ähnlicher[Haug: S. 609].
Betrachtet  man [[ausgelebt von::Die Isolde-Charaktere (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Isoldes]] erstes Erscheinen, so fällt auf, dass nicht etwa diejenige  blonde Isolde gemeint ist, sondern deren  
Die Isolde-Charaktere [[(Gottfried von Straßburg, Tristan)|Mutter]]: Sie tritt als Heilerin  auf, um Tristans Giftwunde zu versorgen. Dabei ist sie voller Mitleid  für den [[Tantris, der kranke Spielmann (Gottfried von Straßburg, Tristan)|verwundeten Spielmann]], nicht zuletzt deshalb, weil sie von  Tristans [[Höfische Lebenswelt (Gottfried von Straßburg, Tristan)|höfischem Verhalten]] beeindruckt ist. Tristan wird von ihr geheilt, weil  er einem Ritterideal entspricht. Als Gegenleistung für seine Heilung,  soll er die blonde Isolde in höfischem Verhalten (''morâliteit'' V.  8004) und [[Musik und Gesang (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Künsten]] unterrichten (V. 7967 ff.). Noch erhält keiner von  beiden sexuelle Attraktivität; beide sind nur sozial äußerst attraktiv.  Tristan wegen seines guten Aussehens und Höfischheit, muss als Idealbild  des Ritters betrachtet werden, da das Aussehen nicht zuletzt Abbild  alles Inneren ist[Haug: S. 609]. Bei Isolde verhält es sich genau  gleich: sie ist das Idealmodell einer ''frouwe''. Zwischen ihnen gibt es  keine Erotik, nur keusche, maximal freundschaftliche Zuneigung, weil  sie voneinander profitieren können. Tristan genest, Isolde lernt von  Tristans [[Die Kunst am Hof (Gottfried von Straßburg, Tristan)|künstlerischem Können]] und wird so der allgemeinen höfischen  Norm noch ähnlicher[Haug: S. 609].


===Marke und Tristan als ein Herrscher und Bruch===
===Marke und Tristan als ein Herrscher und Bruch===
Einige  Zeit später empfiehlt Tristan Marke sich eine Frau zu nehmen (V. 8355).  Zu diesem Zeitpunkt sind Tristan und Marke von sehr ähnlicher Gestalt.  Beide, oder vielleicht gerade in Kombination und Ergänzung bilden ein  ritterliches Herrscherbild, das mustergültig ist. Tristans höfische  Erziehung und seine jugendliche Potenz, paaren sich mit Markes  Altersweisheit und Erfahrung. Ein gerechter, starker, (männlicher)  Herrscher entsteht.
Einige  Zeit später empfiehlt Tristan [[ausgelebt von::Marke|Marke]] sich eine Frau zu nehmen (V. 8355).  Zu diesem Zeitpunkt sind Tristan und Marke von sehr ähnlicher Gestalt.  Beide, oder vielleicht gerade in Kombination und Ergänzung bilden ein  [[Herrschaft (Gottfried von Straßburg, Tristan)|ritterliches Herrscherbild]], das mustergültig ist. Tristans höfische  Erziehung und seine jugendliche Potenz, paaren sich mit Markes  Altersweisheit und Erfahrung. Ein gerechter, starker, (männlicher)  Herrscher entsteht.
Tristan und Marke könnte man als eine Person, eine Seele, ein Leib verstehen, da sie sich derartig nahe stehen und ähnlich sind.
Tristan und Marke könnte man als eine Person, eine Seele, ein Leib verstehen, da sie sich derartig nahe stehen und ähnlich sind.
Auf  Tristans Empfehlung hin, schickt Marke Tristan (wen sonst, denn nur  Tristans Jugend, Erziehung und Stärke können seinen Plan durchsetzten),  um die schöne Isolde als Braut für Marke zu gewinnen. In den Versen 8253  - 8295 schwärmt Tristan - nicht sexuell - von Isolde und empfiehlt sie  über 40 Verse lang Marke. Sie ist ''lustic, ûz erkorn, lûtere, liehte,  lûter, ein kint von gebaerden und von lîbe'', um nur einige Attribute zu  nennen. Ihre sexuelle Attraktivität wird mit keinem Wort erwähnt, diese  ist hier maximal impliziert. Tristan beschreibt sie bezeichnenderweise  als Helena (V. 8267). Man bedenke, dass Helena der Grund für den Trojanischen Krieg lieferte. Sie selbst war der Streitpol, der die  Freundschaft der Griechen mit den Trojanern beendete, die Völker  entzweit. Marke und Tristan werden entzweit werden durch eben diese  helenische Isolde und der Kampf zwischen dem entzweiten Herrscherbild  wird ebenfalls durch die Instanz der List entschieden.  
Auf  Tristans Empfehlung hin, schickt Marke Tristan (wen sonst, denn nur  Tristans Jugend, Erziehung und Stärke können seinen Plan durchsetzten),  um die schöne Isolde als Braut für Marke zu gewinnen. In den Versen 8253  - 8295 schwärmt Tristan - nicht sexuell - von Isolde und empfiehlt sie  über 40 Verse lang Marke. Sie ist ''lustic, ûz erkorn, lûtere, liehte,  lûter, ein kint von gebaerden und von lîbe'', um nur einige Attribute zu  nennen. Ihre sexuelle Attraktivität wird mit keinem Wort erwähnt, diese  ist hier maximal impliziert. Tristan beschreibt sie bezeichnenderweise  als [[Antikenrezeption im Mittelalter|Helena]] (V. 8267). Man bedenke, dass Helena der Grund für den [[Antikes Geistesgut im Roman (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Trojanischen Krieg]] lieferte. Sie selbst war der Streitpol, der die  Freundschaft der Griechen mit den Trojanern beendete, die Völker  entzweit. Marke und Tristan werden entzweit werden, durch eben diese  helenische Isolde und der [[Kampf (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Kampf]] zwischen dem entzweiten Herrscherbild  wird ebenfalls durch die Instanz der [[Minnelist (Gottfried von Straßburg, Tristan)|List]] entschieden.  
Marke  entschließt sich also zur politischen Hochzeit und Tristan macht sich  auf, Isolde zu gewinnen. Er schafft es. Nur ist ihm Isolde mittlerweile  nicht mehr wohl gesonnen, da sie erfahren hat, dass Tristan ihren Onkel umbrachte.
Marke  entschließt sich also zur politischen [[Ehe und Ehebruch|Hochzeit]] und Tristan macht sich  auf, Isolde zu gewinnen. Er schafft es. Nur ist ihm Isolde mittlerweile  nicht mehr wohl gesonnen, da sie erfahren hat, dass Tristan ihren Onkel [[Morold (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Morold]] umbrachte.
Doch wie findet die Trennung Tristans von Marke genau  statt? Isolde, die für Marke bestimmt sein soll - aus weltlicher Sicht -  aber sexuell und emotional Tristan verführt, offenbahrt gerade dadurch  ihre Liebesmacht. Die Schwäche des Mannes wird der Macht der Frau  gegenübergestellt. ''Schwachheit, dein Nam' ist (Mann)!  -''<ref>Shakespeare, William; Hamlet; Reclam Verlag; Stuttgart;  1969; I, 2; S. 15.</ref>. Der Mann  ist verführbar, Tristan, das  Ideal, plötzlich nicht mehr unantastbar.  Ihm steht ein moralisch  einwandfreier Marke gegenüber, der sich wirklich zu Isolde hingezogen zu  fühlen und sie auch ohne Trank -  und nicht nur politisch - zu lieben  scheint. Wir haben nun wieder zwei Seelen und zwei Körper -  zwei  Männer. Der verführte, potente Liebhaber und der moralischeliebende Gehörnte. Diese Charaktere können nicht mehr zusammen finden. Venus  treibt den Keil tief zwischen diese Männer. Tristan hintergeht also  Marke und handelt unmoralisch, unhöfisch und Marke lässt sich von seinen  Beratern aufwiegeln gegen Tristan, dem er anfängt - zurecht - zu  misstrauen. Es gibt kein reines höfisches Ritterideal mehr. Tristan  handelt verwerflich, Marke ist ohne Tristan nicht vollständig; deshalb nur können seine Berater Zwietracht säen. Mit dem verlorenen idealen  Ritter ist die höfische Gesellschaft aus den Angeln gehoben, das  Weltbild verrückt.
Doch wie findet die Trennung Tristans von Marke genau  statt? Isolde, die für Marke bestimmt sein soll - aus weltlicher Sicht -  aber sexuell und emotional Tristan verführt, offenbart gerade dadurch  ihre Liebesmacht. Die Schwäche des Mannes wird der Macht der Frau  gegenübergestellt. ''Schwachheit, dein Nam' ist [Mann]!  -''<ref>Shakespeare, William; Hamlet; Reclam Verlag; Stuttgart;  1969; I, 2; S. 15.</ref>. Der Mann  ist verführbar. Tristan, das  Ideal, plötzlich nicht mehr unantastbar.  Ihm steht ein moralisch  einwandfreier Marke gegenüber, der sich wirklich zu Isolde hingezogen zu  fühlen und sie auch ohne [[Minnetrank (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Trank]] -  und nicht nur politisch - zu lieben  scheint. Wir haben nun wieder zwei Seelen und zwei Körper -  zwei  Männer. Der verführte, potente Liebhaber steht dem moralischenliebenden Gehörnten. Diese Charaktere können nicht mehr zusammen finden. Venus  treibt den Keil tief zwischen sie. Tristan hintergeht also  Marke und handelt unmoralisch, unhöfisch und Marke lässt sich von seinen  Beratern aufwiegeln gegen Tristan, dem er anfängt - zurecht - zu  misstrauen. Es gibt kein reines höfisches Ritterideal mehr, denn Tristan  handelt verwerflich und Marke ist ohne Tristan nicht vollständig. Deshalb nur können seine Berater Zwietracht säen. Mit dem verlorenen idealen  Ritter ist die höfische Gesellschaft aus den Angeln gehoben, das  Weltbild verrückt.


===Einbruch der Liebe===
===Einbruch der Liebe===
Durch  den Liebestrank, den die zwei fataler Weise anstatt Wein trinken, um  ihren Waffenstillstand zu besiegeln wird Isolde gleichsam zur Venus.  Tristan verliebt sich unzerrtrennlich in sie - Isolde sich in ihn.  Isolde ist von nun an umkämpftes Sex- und Statussymbol des Romans. Durch  die Entfachung der fleischlichen Lust zwischen Tristan und Isolde  (natürlich auch Liebe) ist nur noch ein Bruch mit Marke möglich. Tristan  und Isolde fühlen sich immer stärker körperlich zueinander hingezogen  und fangen an Marke zu betrügen. Ein Treuebruch Tristans Marke  gegenüber, der ihm aber gleichsam Isolde zur Frau macht. Und zugleich  der Ehebruch Isoldes, die Marke heiraten musste. Wie stark der sexuelle  Trieb des Liebespaares sein muss, zeigt die Tatsache, dass Isolde sich  schon auf der Überfahrt nach Cornwall, also noch vor der Heirat mit  Marke, somit außerehelich und ledig, entjungfern lässt (V. 12404). Sie ist dadurch sozial disqualifiziert. Sie geht jeder weiblichen  höfischheit Qualität verlustig, zu der eben auch die voreheliche  Keuschheit gehört.
Durch  den Liebestrank, den die zwei fataler Weise anstatt Wein trinken, um  ihren Waffenstillstand zu besiegeln wird Isolde gleichsam zur Venus.  Tristan verliebt sich unzertrennlich in sie und Isolde sich in ihn.  Isolde ist von nun an umkämpftes Sex- und Statussymbol des Romans. Durch  die Entfachung der fleischlichen Lust zwischen Tristan und Isolde  (natürlich auch Liebe) ist nur noch ein Bruch mit Marke möglich. Tristan  und Isolde fühlen sich immer stärker körperlich zueinander hingezogen  und fangen an Marke zu betrügen. Ein [[Treue (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Treuebruch]] Tristans Marke  gegenüber, der ihm aber gleichsam Isolde zur Frau macht und parallel dazu findet der Ehebruch Isoldes statt, die Marke heiraten musste. Wie stark der sexuelle  Trieb des Liebespaares sein muss, zeigt die Tatsache, dass Isolde sich  schon auf der Überfahrt nach Cornwall, also noch vor der Heirat mit  Marke und somit außerehelich und ledig, von Tristan entjungfern lässt (V. 12404). Sie ist dadurch sozial disqualifiziert. Sie geht jeder weiblichen  höfischheit Qualität verlustig, zu der eben auch die voreheliche  [[Der Gottesbegriff im Tristan|Keuschheit]] gehört.
Nun kann man behaupten es läge alles nur am  Trank als magische, übernatürliche Größe, doch muss man betrachten wer  den Trank braute - Isoldes Mutter nämlich, eine weise, gelehrte,  emanzipierte Frau. Sie ist autark, stark, autoritär, selbstbewusst und  selbstständig. So kann sie Herrscherin über die Iren sein und die  Wissenschaft der Alchemmie betreiben. Es ist zwar nicht untypisch für  die mittelalterliche Epik, dass eine Frau emanzipierte Züge besitzt,  aber doch dass sie so viel Einfluss auf die Politik besitzt und  Naturwissenschaften betreibt. Eine weibliche Herrscherin, Beraterin des  Königs, der sich mehr auf ihr Urteil zu verlassen scheint, als auf ein  Männliches. Diese Frau stellt mit ihrer Persönlichkeit jede  soziale-höfische Ordnung auf den Kopf, zumindest die Ordnung auf der  britischen Insel, auch indem sie mit ihrer "Zauberei" Liebe und  Fleischeslust produziert.  
Nun kann man behaupten es läge alles nur am  Trank als magische, übernatürliche Größe, doch muss man betrachten, wer  den Trank braute - Isoldes Mutter nämlich, eine weise, gelehrte,  emanzipierte Frau. Sie ist autark, stark, autoritär, selbstbewusst und  selbstständig. So kann sie [[Herrschaft (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Herrscherin]] über die Iren sein und die  Wissenschaft der Alchemie betreiben. Es ist zwar nicht untypisch für  die mittelalterliche Epik, dass eine Frau emanzipierte Züge besitzt,  aber doch dass sie so viel Einfluss auf die Politik besitzt und  Naturwissenschaften betreibt. Eine weibliche Herrscherin, Beraterin des  Königs, der sich mehr auf ihr [[Gottesurteil (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Urteil]] zu verlassen scheint, als auf ein  Männliches. Diese Frau stellt mit ihrer Persönlichkeit jede  soziale-höfische Ordnung auf den Kopf, zumindest die Ordnung auf der  britischen Insel; auch indem sie mit ihrer "Zauberei" Liebe und  Fleischeslust produziert.  
Eine Frau bringt also die Lust in jene  heile, geordnete Welt Tristans, die allen Frieden zerstört. Diese  Tatsache erinnert an den paradiesischen Sündenfall. Gleichzeitig macht  es die Isoldefiguren zur Allegorie der Weiblichkeit und der mit der  Weiblichket verbundenen Erotik. Liebe ist somit die Magie einer Eva,  nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hat[Haug: S. 604].  Weiblichkeit ist somit der Schlüssel zur Zwietracht und zum Konflikt  zwischen den Männern und dem Konflikt Tristans mit der höfischen  Gesellschaft. So wird aber auch deutlich, dass der Mann der weiblichen  Kunst unterlegen ist und ohnmächtig bleibt. Die Frau ist also gerade  nicht das schwache Geschlecht, das der eigenen Libido erliegt, sondern  der Mann, der sich von der Sexualisierung des Geschehens durch die Frau  völlig überrumpeln lässt.  
Eine Frau bringt also die Lust in jene  heile, geordnete Welt Tristans und zerstört so allen Frieden. Diese  Tatsache erinnert an den paradiesischen Sündenfall. Gleichzeitig macht  es die Isoldefiguren zur Allegorie der Weiblichkeit und der mit der  Weiblichkeit verbundenen Erotik. Liebe ist somit die Magie einer Eva,  nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hat[Haug: S. 604].  Weiblichkeit ist somit auch der Schlüssel zur Zwietracht und zum Konflikt  zwischen den Männern und dem Konflikt Tristans mit der höfischen  Gesellschaft. So wird aber auch deutlich, dass der Mann der weiblichen  [[Die Kunst am Hof (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Kunst]] unterlegen ist und ohnmächtig bleibt. Die Frau ist also gerade  nicht das schwache Geschlecht, das der eigenen Libido erliegt, sondern  der Mann, der sich von der Sexualisierung des Geschehens durch die Frau  völlig überrumpeln lässt.  


===Die Rolle der einzelnen Isolden und der Frau===
===Die Rolle der einzelnen Isolden und der Frau===
Dabei ist es nicht einmal sonderlich bedeutsam, welche Isolde gemeint ist.  
Dabei ist es nicht einmal sonderlich bedeutsam, welche Isolde gemeint ist.  
Die  Mutter Isolde braut den Trank und hält so das ganz haptisches Zeugnis  ihrer Macht in Händen. Für die blonde Isolde, an die Tristan gebunden  wird, opfert er alles: Die Aussicht auf Herrschaft in Markes Reich,  Markes Erbe, Markes Freundschaft, seine Ehre, Markes Ehre und seine  Stellung in der Gesellschaft.
Die  Mutter Isolde braut den Trank und hält so das ganz haptisches Zeugnis  ihrer Macht in Händen. Für die blonde Isolde, an die Tristan gebunden  wird, opfert er alles: Die Aussicht auf Herrschaft in Markes Reich,  Markes Erbe, Markes Freundschaft, seine Ehre, Markes Ehre und seine  Stellung in der Gesellschaft.
Weil ihn Isolde Weißhand so sehr an  die blonde Isolde erinnert, heiratet er diese aus Sehnsucht nach der  blonden Isolde. Die Macht der Isolde Weißhand ist es also wiederum  Tristan an sich zu binden. Alle drei Isolden haben also die Macht den  Mann für sich in Besitz zu nehmen. Natürlich ist der Minnetrank das  greifbarste Element und klarstes Dingsymbol ihrer Magie.  
Weil ihn [[Die Isolde-Charaktere (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Isolde Weißhand]] so sehr an  die blonde Isolde erinnert, heiratet er diese aus Sehnsucht nach der  blonden Isolde. Die Macht der Isolde Weißhand ist es also wiederum  Tristan an sich zu binden. Oder es ist die Macht der Blonden, die noch durch Isolde Weißhand wirkt. Alle drei Isolden haben also die Macht den  Mann für sich in Besitz zu nehmen. Natürlich ist der Minnetrank das  greifbarste Element und klarstes Dingsymbol ihrer Magie.  
Betrachten  wir Isoldes Entjungferung nochmals: Auch Isolde scheinen alle  Konsequenzen egal zu sein. Sie erschafft als sexuelle Isolde den locus  amoenus ,indem sie alle sozialen Werte und politischen Strukturen  niedertritt. Mit der Konstituierung des locus amoenus in der absoluten  Liebe des Paares, wird gleichzeitig aber auch der locus terribilis  erschaffen - die Gesellschaft, in der sie so nict leben können, weil sie  sich entehren. Dieser Konflikt endet in der Flucht ins Paradies. In der Minnegrotte, kann alle Lust und Körperlichkeit frei sein. Marke  legitimiert schließlich die Zuneigung Tristans zu Isolde, bzw. Isoldes zu Tristan, bevor sie sein weltliches Reich verlassen.
Betrachten  wir Isoldes Entjungferung nochmals: Auch Isolde scheinen alle  Konsequenzen egal zu sein. Sie erschafft als sexuelle Isolde den locus  amoenus, indem sie alle sozialen Werte und politischen Strukturen  niedertritt. Mit der Konstituierung des locus amoenus in der absoluten  Liebe des Paares, wird gleichzeitig aber auch der locus terribilis  erschaffen - die Gesellschaft, in der sie so nicht leben können, weil sie  sich entehren. Dieser Konflikt endet in der Flucht ins Paradies. In der [[Minnegrotte (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Minnegrotte]], kann alle Lust und Körperlichkeit frei sein. Marke  legitimiert schließlich die Zuneigung Tristans zu Isolde, bzw. Isoldes zu Tristan, bevor sie sein weltliches Reich verlassen.
Auch Brangäne erfüllt ihr Weiblichkeitsklischee. Nur liegt ihre  Potential  gerade im Unvermögen - sie ist nicht achtsam genug und lässt  es zu,  dass der falsche Liebestrank als Friedenstrank getrunken wird.  
Auch [[ausgelebt von::Brangäne (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Brangäne]] erfüllt ihr Weiblichkeitsklischee. Nur liegt ihre  Potential  gerade im Unvermögen - sie ist nicht achtsam genug und lässt  es zu,  dass der falsche Liebestrank als Friedenstrank getrunken wird.  




==Fleischliche Lust==
==Fleischliche Lust==
===Brangäne===
===Brangäne===
An  dieser Stelle möchte ich zunächst auf Brangäne eingehen. Sie nimmt eine  äußerst eigenartige Rolle ein. Sie ist es, die an Isoldes statt mit  Marke Isoldes Brautnacht verbringt - ein großes Opfer, denn sie  vertuscht Isoldes verlorene Jungfräulichkeit, indem sie ihre eigene  Jungfräulichkeit opfert und sich somit - wie vormals schon Isolde - ins  soziale Aus stellt. Nun gibt es mehrere Gründe welche erklären, warum  Brangäne auf Isoldes Drängen hin schwört, sich Marke hinzugeben.
An  dieser Stelle möchte ich zunächst auf Brangäne eingehen. Sie nimmt eine  äußerst eigenartige Rolle ein. Sie ist es, die an Isoldes statt mit  Marke Isoldes Brautnacht verbringt - ein großes Opfer, denn sie  vertuscht Isoldes verlorene Jungfräulichkeit, indem sie ihre eigene  Jungfräulichkeit hergibt und sich somit - wie vormals schon Isolde - ins  soziale Aus stellt. Nun gibt es mehrere Gründe welche erklären, warum  Brangäne auf Isoldes Drängen hin schwört, sich Marke hinzugeben.
Erstens  erweist sie Isolde damit einen Freundschaftsdienst, indem sie deren  Ehre rettet und den Verrat an Marke vertuscht. Somit rettet sie vorerst  auch das junge, heimliche Liebesglück Tristans und Isoldes.
Erstens  erweist sie Isolde damit einen Freundschaftsdienst, indem sie deren  Ehre rettet und den Verrat an Marke vertuscht. Somit rettet sie vorerst  auch das junge, heimliche Liebesglück Tristans und Isoldes.
Zweitens  hat Brangäne von der älteren Isolde den Auftrag erhalten, Alles für die  jüngere Isolde zu tun, sie zu beschützen und zu hüten. Indem sie den  Trank nicht genug gesichert hat, ist sie ihrer zugedachten Aufgabe nicht  nachgekommen und hat sich somit schuldig gemacht. Getrieben von ihrem  schlechten Gewissen stimmt sie also dem Beischlaf zu.
Zweitens  hat Brangäne von der älteren Isolde den Auftrag erhalten, Alles für die  jüngere Isolde zu tun, sie zu beschützen und zu hüten. Indem sie den  Trank nicht genug gesichert hat, ist sie ihrer zugedachten Aufgabe nicht  nachgekommen und hat sich somit schuldig gemacht. Getrieben von ihrem  schlechten Gewissen stimmt sie also dem Beischlaf zu.
Aufgrund  dieser Pflichterfüllung finde ich den Begriff Freundschaft, angewendet  auf Brangäne und Isolde, nicht unbedingt passend. Besser wäre es wohl,  von „Treueschaft“ zu sprechen.
Aufgrund  dieser Pflichterfüllung finde ich den Begriff Freundschaft, angewendet  auf Brangäne und Isolde, nicht unbedingt passend. Besser wäre es wohl,  von „Treueschaft“ zu sprechen.
Der Beischlaf ist mit der zweiten Begründung also eine Art Buße, mit dem sich Brangäne entsühnt.  
Der Beischlaf wird durch die zweite Begründung zu einer Art Buße, mit der sich Brangäne entsühnt.  
:dô sie vür Îsolde
:dô sie vür Îsolde
:geleistet, daz si solde,
:geleistet, daz si solde,
:unde ir teidinc ergie,
:unde ir teidinc ergie,
:von dem bette sî sich lie. (V. 12631 - 12634)
:von dem bette sî sich lie. (V. 12631 - 12634)
Nachdem Brangäne ihre Schuldigkeit jedoch getan und sich also entsühnt hat, verlässt sie Marke gewissenhaft.  
Nachdem Brangäne ihre Schuldigkeit jedoch getan und sich somit auch entsühnt hat, verlässt sie Marke gewissenhaft.  
Dieses  Beispiel soll zeigen, welche Flexibilität das Thema Sexualität im  Tristan-Roman besitzt. Zum einen ist es eine perverse Erniedrigung einer  jungen Frau als Treuedienst und Buße, zum anderen aber auch soziale  Norm. Die Ehe wird immerhin mit dem Beischlaf vollzogen und gefestigt.
Dieses  Beispiel soll zeigen, welche Flexibilität das Thema Sexualität im  Tristan-Roman besitzt. Zum einen ist es eine perverse Erniedrigung einer  jungen Frau als Treuedienst und Buße, zum anderen aber auch soziale  Norm. Die Ehe wird immerhin mit dem Beischlaf vollzogen und gefestigt.


===Truchseß===
===Truchseß===
Vor  Dublin wütet ein Drache. Derjenige, der diesen Drachen erschlägt, dem  soll die Hand der blonden Isolde gehören. Der Truchseß des irischen  Königshofs ist in Isolde verliebt, allerdings ist er nicht ritterlich  genug, um den Drachen töten zu können. Er versucht Tristan, der den  Drachen erschlagen hat, zu überlisten. Doch der hat die Zunge des  Drachens herausgeschnitten, so dass der Kopf des Drachen, den der  Truchseß als Beweis anbietet, nicht mehr ernst genommen wird. Schon hier  zeigt sich, dass der Truchseß unhöfisches Verhalten an den Tag legt,  denn er versucht die Ehe mit Isolde zu erschleichen. Er ist getrieben  von seinem egoistischen Verlangen nach Isolde, so dass er jeden Anstand  vergisst. In seiner Rede vor dem Königspaar (V. 9845 - 9896) fordert er  Isoldes Hand forsch und verstrickt sich in fadenscheinigen Argumenten,  obwohl er schon lange überführt ist - er wird von der Königin Isolde an  der NAse herum geführt.
Vor  Dublin wütet ein [[Drachenkampf (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Drache]]. Derjenige, der diesen Drachen erschlägt, dem  soll die Hand der blonden Isolde gehören. Der [[gefordert von::Truchseß (der angebliche Drachentöter) (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Truchseß]] des irischen  Königshofs ist in Isolde verliebt, allerdings ist er nicht ritterlich  genug, um den Drachen töten zu können. Er versucht Tristan, der den  Drachen erschlagen hat, zu überlisten. Doch der hat die Zunge des  Drachens herausgeschnitten, so dass der Kopf des Drachen, den der  Truchseß als Beweis anbietet, nicht mehr ernst genommen wird. Schon hier  zeigt sich, dass der Truchseß unhöfisches Verhalten an den Tag legt,  denn er versucht die Ehe mit Isolde zu erschleichen. Er ist getrieben  von seinem egoistischen Verlangen nach Isolde, so dass er jeden Anstand  vergisst. In seiner Rede vor dem Königspaar (V. 9845 - 9896) fordert er  Isoldes Hand forsch und verstrickt sich in fadenscheinigen Argumenten,  obwohl er schon lange überführt ist. Er wird von der Königin Isolde an  der Nase herum geführt.
An dem dummen Verhalten des Truchseß, an der Unterstellung
An dem dummen Verhalten des Truchseß, an der Unterstellung
:iuch dunket ie daz arge guot,
:iuch dunket ie daz arge guot,
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:diu art ist an iu allen starc.
:diu art ist an iu allen starc.
:ir sît verkêret alle wîs: (V. 9870 - 9873)
:ir sît verkêret alle wîs: (V. 9870 - 9873)
und  indem er selbst genau so argumentiert, wie er die Isolden vorwirft zu  argumentieren, wird deutlich wie sehr er nur von der Libido getrieben  ist und nicht von reiner Liebe: hätte er nämlich ein ''edeles herz'' (V.  47), könnte er um Isolde auf höfische Art und Weise minnen. Der  Truchseß wirft der Frau Falschheit und Unreflektiertheit vor und ist es  gleichsam selbst - betrügerisch und unreflektiert. Er ist Symbol der  Schwachheit des Mannes; allerdings selbst verschuldet, denn an ihm wirkt  Frau Minne nicht. Er lässt sich dazu hinreisen Minne gewaltsam zu  fordern. Wie weiter oben aber abgehandelt wurde, ist es Privileg der  Frau, Minne zu delegieren. Der Mann scheitert hier an seiner eigenen  nicht kontrollierten Libido.
und  indem er selbst genau so argumentiert, wie er den Isolden vorwirft zu  argumentieren, wird deutlich, wie sehr er nur von der Libido getrieben  ist und nicht von reiner Liebe: hätte er nämlich ein [[Begriff der "edelen herzen" (Gottfried von Straßburg, Tristan)|''edeles herz'']] (V.  47), könnte er um Isolde auf höfische Art und Weise minnen. Der  Truchseß wirft der Frau Falschheit und Unreflektiertheit vor und ist es  gleichsam selbst - betrügerisch und unreflektiert. Er ist Symbol der  Schwachheit des Mannes. Allerdings verschuldet er das selbst, denn an ihm wirkt  Frau Minne nicht. Er lässt sich dazu hinreisen Minne gewaltsam zu  fordern. Wie weiter oben aber abgehandelt wurde, ist es Privileg der  Frau, Minne zu delegieren. Der Mann scheitert hier an seiner eigenen  nicht kontrollierten Libido.


==Erscheinungsformen der Libido und ihre wirkungsästhetischen Möglichkeiten==
==Erscheinungsformen der Libido und ihre wirkungsästhetischen Möglichkeiten==
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:vil kûme, als ez dô mohte sîn
:vil kûme, als ez dô mohte sîn
:von eime tôtsiechem man. (V. 1287 - 1289)
:von eime tôtsiechem man. (V. 1287 - 1289)
Blancheflur  trifft mit dem tötlich verwundeten Riwlin zusammen. Auf seinem  Krankenlager schlafen sie miteinander, wobei sie Tristan empfängt und  Riwalins Lebensgeister zurückkehren und er genest.
[[ausgelebt von::Blanscheflur (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Blanscheflur]] trifft mit dem tödlich verwundeten [[ausgelebt von::Riwalin (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Riwalin]] zusammen. Auf seinem  Krankenlager schlafen sie miteinander, wobei sie Tristan empfängt und  Riwalins Lebensgeister zurückkehren und er genest.
:dar nâch sô was vil harte unlanc,
:dar nâch sô was vil harte unlanc,
:unz daz ir beider wille ergienc
:unz daz ir beider wille ergienc
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:sus genas er, wan ez solte wesen. (V. 1321 - 1330)
:sus genas er, wan ez solte wesen. (V. 1321 - 1330)
Hier  hat der Geschlechtsakt sogar heilende Wirkung. Aus Liebe mit Lust  erwächst hier das Heil in der Liebe, gleichzeitig aber auch  gesellschaftliche Probleme, denn das Paar ist nicht verheiratet
Hier  hat der Geschlechtsakt sogar heilende Wirkung. Aus Liebe mit Lust  erwächst hier das Heil in der Liebe, gleichzeitig aber auch  gesellschaftliche Probleme, denn das Paar ist nicht verheiratet.
===Tristan und Marjodo===
===Tristan und Marjodo===
Eigentülich ist das Verhältnis zwischen Tristan und Marjodo. Marjodo ist Markes ''oberster truhsaeze'' (V. 13464) und teilt sich als ''cumpanjûn'' (V.  13461) mit Tristan ein Zimmer an Markes Hof. Entscheidend ist nun, dass  sich die beiden auch ein Bett teilen und sie sich nachts Geschichten erzählen - unbestimmten Inhalts.
Eigentümlich ist das Verhältnis zwischen Tristan und [[Marjodo (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Marjodo]]. Marjodo ist Markes ''oberster truhsaeze'' (V. 13464) und teilt sich als ''cumpanjûn'' (V.  13461) mit Tristan ein Zimmer an Markes Hof. Entscheidend ist nun, dass  sich die beiden auch ein Bett teilen und sie sich nachts Geschichten erzählen - unbestimmten Inhalts.
:Ouch war es des truhsaezen site,
:Ouch war es des truhsaezen site,
:wan Tristan schoener maere phlac,
:wan Tristan schoener maere phlac,
:daz er'm ie nahtes sô bî lac,
:daz er'm ie nahtes sô bî lac,
:daz er bereite hin z'im sprach. (V. 13476 - 13479)
:daz er bereite hin z'im sprach. (V. 13476 - 13479)
festzuhalten  ist jedoch auch, dass dieses Beieinander-Liegen von Marjodo ausgeht, der Tristans Geschichten zuhört (''des truhsaezen site''). Ich möchte  behaupten, dass hier homosexuelle Tendenzen zu beobachten sind. Marjodo  muss sich von Tristan angezogen fühlen. Das Bild des GEschichtenerzählens erinnert zudem nämlich an die Minnegrottenepisode, wo sich Tristan und Isolde beieinander sitzend Geschichten von sehnsuchtsvoller Liebe erzählen.
festzuhalten  ist jedoch auch, dass dieses Beieinander-Liegen von Marjodo ausgeht, der Tristans Geschichten zuhört (''des truhsaezen site''). Ich möchte  behaupten, dass hier homosexuelle Tendenzen zu beobachten sind. Marjodo  muss sich von Tristan angezogen fühlen. Das Bild des Geschichtenerzählens erinnert zudem nämlich an die Minnegrottenepisode, wo sich Tristan und Isolde beieinander sitzend Geschichten von sehnsuchtsvoller Liebe erzählen.
:dâ sâzen sî z'ein ander an
:dâ sâzen sî z'ein ander an
:diu getriuwen senedaere
:diu getriuwen senedaere
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:von den, die vor ir jâren
:von den, die vor ir jâren
:von sene verdorben wâren. (V. 17182 - 17186)
:von sene verdorben wâren. (V. 17182 - 17186)
Und  nicht zuletzt reagiert Marjodo deutlich eifersüchtig, als er durch Zufall herausbekommt, dass Tristan mit Isolde eine Affäre hat. Es befällt ihn ein "gelinder, freundschaftlicher Grimm" (''ein vriuntlîchez  zornelîn'', V. 13555), darüber, ''daz er im niht enseite von sîner tougenheite''(V. 13557 f.). Zweierlei Lesarten sind nun freilich  möglich: Marjodos Grimm resultiert aus dem freundschaftlichen Treuebruch  und dem Treuebruch der Liebenden gegenüber dem König Marke. Der Ehrverlust der darin mitschwingt, sowohl Tristans und Isoldes, als auch  der Markes, ist nicht zulässig in der höfischen Ideologie. Marjodo wäre dann metonymisch für die Gesellschaft zu lesen, die Tristans Liebschaft  ncht duldet und als Instanz der ''huote'' den König warnt.  
Und  nicht zuletzt reagiert Marjodo deutlich eifersüchtig, als er durch [[Zufall im Tristan (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Zufall]] herausbekommt, dass Tristan mit Isolde eine Affäre hat. Es befällt ihn ein "gelinder, freundschaftlicher Grimm" (''ein vriuntlîchez  zornelîn'', V. 13555), darüber, ''daz er im niht enseite von sîner tougenheite''(V. 13557 f.). Zweierlei Lesarten sind nun freilich  möglich: Marjodos Grimm resultiert aus dem freundschaftlichen Treuebruch  und dem Treuebruch der Liebenden gegenüber dem König Marke. Der Ehrverlust der darin mitschwingt, sowohl Tristans und Isoldes, als auch  der Markes, ist nicht zulässig in der höfischen Ideologie. Marjodo wäre dann metonymisch für die Gesellschaft zu lesen, die Tristans Liebschaft  nicht duldet und als Instanz der [[Der Huote-Exkurs (Gottfried von Straßburg, Tristan)|''huote'']] den König warnt.  
Die zweite Lesart legt eine sexuelle Implikation nahe: Marjodo ist aufgrund einer sexuellen, homosexuellen Nicht-Erfüllung eifersüchtig auf Isolde und wütend auf Tristan, den er nicht für sich haben kann. Ob diese  Lesart allerdings zulässig ist und ob sie sinnvoll ist, bleibt fraglich. Im Mittelalter war Homosexualität ein Tabuthema[Krohn: S. 363]. Dass  homosexuelle Nuancen herauszulesen sind, muss daher einen zwingenden  Grund erfordern; Gottfried muss es beabsichtigt haben und etwas  auszudrücken versucht haben. Vielleicht ist eine mögliche Antwort, dass  der Roman grundsätzlich antihöfische Tendenzen aufweist durch den  permanenten Bruch mit höfischen Normen. Dann wären die homosexuellen  Anspielungen nur ein weiterer Tabubruch. Andererseits könnte hier zum  Ausdruck gebracht werden, wie intensiv die höfische Erscheinung Tristans  auch auf das männliche Geschlecht gewirkt haben kann.
Die zweite Lesart legt eine sexuelle Implikation nahe: Marjodo ist aufgrund einer sexuellen, homosexuellen Nicht-Erfüllung eifersüchtig auf Isolde und wütend auf Tristan, den er nicht für sich haben kann. Ob diese  Lesart allerdings zulässig ist und ob sie sinnvoll ist, bleibt fraglich. Im Mittelalter war Homosexualität ein Tabuthema[Krohn: S. 363]. Dass  homosexuelle Nuancen herauszulesen sind, muss daher einen zwingenden  Grund erfordern. [[Gottfried von Straßburg|Gottfried von Straßburg]] muss es beabsichtigt und etwas  auszudrücken versucht haben. Vielleicht ist eine mögliche Antwort, dass  der Roman grundsätzlich antihöfische Tendenzen aufweist, durch den  permanenten Bruch mit höfischen Normen. Dann wären die homosexuellen  Anspielungen nur ein weiterer Tabubruch. Andererseits könnte hier zum  Ausdruck gebracht werden, wie intensiv die höfische Erscheinung Tristans  auch auf das männliche Geschlecht gewirkt haben kann.
 
===Tristan und Marke===
===Tristan und Marke===
Noch  deutlicher sind im Verhältnis Markes zu Tristan homosexuelle  Anspielungen zu lesen: Schon die Tatsache, dass Marke Tristan adoptiert  und damit er keine Nachkommen zeuge, auf eine Ehefrau verzichtet macht  stutzig.
Noch  deutlicher sind im Verhältnis Markes zu Tristan homosexuelle  Anspielungen zu lesen: Schon die Tatsache, dass Marke Tristan adoptiert  und damit er keine Nachkommen zeuge, auf eine Ehefrau verzichtet macht  stutzig.
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:êheliches wîbes âne sîn,
:êheliches wîbes âne sîn,
:die wîle ich iemer leben sol. (V. 5159 - 5161)
:die wîle ich iemer leben sol. (V. 5159 - 5161)
Es  ist völlig untypisch, dass ein Herrscher seine Erblinie freiwillig zu  unterbrechen bereit ist und auf den Ehrzuwachs, den eine Heirat in der  Gesellschaft bringt zu verzichten. Zudem macht Marke Tristan dieses  Angebot im Privaten. Die Öffentlichkeit ist in der Szene nicht anwesend.  Wenn also dieses Angebot für Tristan keine faktische Änderung bringt -  diese brächten Zeugen - so ist diese Äußerung als Geste Markes umso  erstaunlicher, da sie aufgrund ihrer politischen Unnötigkeit, nur als  Ausdruck Markes emotionaler Verbundenheit gedeutet werden kann [Krohn:  S. 370].
Es  ist völlig untypisch, dass ein Herrscher seine Erblinie freiwillig zu  unterbrechen bereit ist und auf den Ehrzuwachs, den eine Heirat in der  Gesellschaft bringt, zu verzichten. Zudem macht Marke Tristan dieses  Angebot im Privaten. Die Öffentlichkeit ist in der Szene nicht anwesend.  Wenn also dieses Angebot für Tristan keine faktische Änderung bringt -  diese brächten Zeugen - so ist diese Äußerung als Geste Markes umso  erstaunlicher, da sie aufgrund ihrer politischen Unnötigkeit, nur als  Ausdruck Markes emotionaler Verbundenheit gedeutet werden kann [Krohn:  S. 370].
Desweiteren benutzt Marke bezüglich Tristan sehr häufig  das Wort ''vriunt'', so wie die Beziehung Blanscheflurs und Riwalins als  ''vriuntschaft'' bezeichnet wurde. Hier tritt eine Parallelität zu  Tage, die wiederum stutzig macht. R.N. Combridge spricht von einem  "übermäßigen Gefühl Markes für Tristan"<ref>R.N. Combridge; Das  Recht im "Tristan" Gottfrieds von Straßburg; 1964; S. 122.</ref>.
Des weiteren benutzt Marke bezüglich Tristan sehr häufig  das Wort ''vriunt'', so wie die Beziehung Blanscheflurs und Riwalins als  ''vriuntschaft'' bezeichnet wurde[Krohn: S. 373]. Hier tritt eine Parallelität zu  Tage, die wiederum stutzig macht. R.N. Combridge spricht von einem  "übermäßigen Gefühl Markes für Tristan"<ref>R.N. Combridge; Das  Recht im "Tristan" Gottfrieds von Straßburg; 1964; S. 122.</ref>.


:in dûhte wîp alse wîp.
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:alsô dan und alsô dar,
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:daz er nie nihtes wart gewar. (V. 12666 - 12674)
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Es  scheint, als diene die Frau Marke nur zur Stillung sexueller Begierden.  "Ihm schien Frau gleich Frau". Isolde kann ihm also nicht viel Wert  gewesen sein - eine Frau unter vielen. Erst durch den Betrug Tristans  und der damit verbundenen Affäre, wird Marke in die Rolle des Ehemannes  gezwängt, mit allen Konsequenzen, denn jetzt geht es um seine  Ehre[Krohn: S. 374]. Daran, dass Marke überhaupt nicht um Isolde kämpft,  lässt sich ableiten, dass er an der Person "Isolde" auch kein großes  Interesse hat. Einzig die gesellschaftliche Schmach, sein Ehrverlust ist  für Marke relevant.
Es  scheint, als diene die Frau Marke nur zur Stillung sexueller Begierden.  "Ihm schien Frau gleich Frau". Isolde kann ihm also doch nicht so viel Wert  gewesen sein, wie zu Beginn des Artikels noch vermutet. Isolde ist eine Frau Markes unter vielen. Erst durch den Betrug Tristans  und der damit verbundenen Affäre, wird Marke in die Rolle des Ehemannes  gezwängt, mit allen Konsequenzen, denn jetzt geht es um seine  Ehre[Krohn: S. 374]. Daran, dass Marke überhaupt nicht um Isolde kämpft,  lässt sich ableiten, dass er an der Person "Isolde" auch kein großes  Interesse hat. Einzig die gesellschaftliche Schmach, sein Ehrverlust ist  für Marke relevant.
Dass Marke homoerotische Tendenzen  zugeschrieben werden - durch narrative Mittel - und sein Verhältnis zur  Sexualität und Frauen so negativ dargestellt werden, könnte daran  liegen, dass Gottfried von Straßburg so das Liebespaar in hellerem erstrahlen lassen kann und ihnen ihre moralische Schuld nimmt. Narrativ  hat dieses Vorgehen mit Sympathielenkung zu tun, welche natürlich auf  das Liebespaar fokusiert werden soll[Krohn: S. 368]. Markes Versagen als  Schutzherr in den Episoden mit Gandin und Morold unterstützen diese  These[Krohn: S. 376].
Dass Marke homoerotische Tendenzen  zugeschrieben werden - durch narrative Mittel - und sein Verhältnis zur  Sexualität und Frauen so negativ dargestellt werden, könnte daran  liegen, dass Gottfried von Straßburg so das Liebespaar in hellerem Licht erstrahlen lassen kann und ihnen ihre moralische Schuld nimmt. Narrativ  hat dieses Vorgehen mit [[Ehe und Ehebruch|Sympathielenkung]] zu tun, welche natürlich auf  das Liebespaar fokusiert werden soll[Krohn: S. 368]. Markes Versagen als  Schutzherr in den Episoden mit [[Gandin (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Gandin]] und Morold unterstützen diese  These[Krohn: S. 376].


==Fazit==
==Fazit==
Es wurde  festgestellt, dass Sexualität und Erotik In Gottfrieds von Straßburg  "Tristan" auf unterschiedlichste Weisen präsentiert wird. Neben  heilsamer Wirkung und homosexuellen Elementen der fleischlichen Liebe,  die kritische Diskurse in der Handlung motivieren, wird auch falsche  Liebe mit bloßer Libido gleichgesetzt, was an der Truchseß-Episode  deutlich wurde.  
Es wurde  festgestellt, dass Sexualität und Erotik In Gottfrieds von Straßburg  "Tristan" auf unterschiedlichste Weisen präsentiert wird. Neben  heilsamer Wirkung und homosexuellen Elementen der fleischlichen Liebe,  die kritische Diskurse in der Handlung motivieren, wird auch falsche  Liebe mit bloßer Libido gleichgesetzt, was an der Truchseß-Episode  deutlich wurde.  
Das Weibliche ist von entscheidender Bedeutung  sowohl für die Minne, als auch, wie in diesem Artikel analysiert wurde,  für die sexuellen Antriebe im Tristanroman Gottfrieds. So sind es die  Isolden als Allegorie für das Weibliche, die die Liebe und Libido des  Mannes anregen und die Macht einer Eva, Helena und Venus besitzen, den  Mann zu kontrollieren, zu beeinflussen, zu lenken und auch  bloßzustellen. Es liegt an dem Verhältnis von Vermögen der Frau und  Unvermögen des Mannes, als schwaches Geschlecht, das dem Weiblichen wirkungsmächtige Größe verleiht im "Tristan".
Das Weibliche ist von entscheidender Bedeutung  sowohl für die Minne, als auch, wie in diesem Artikel analysiert wurde,  für die sexuellen Antriebe im Tristanroman Gottfrieds. So sind es die  Isolden, als Allegorie für das Weibliche, die die Liebe und die Libido des  Mannes anregen und die Macht einer Eva, Helena oder Venus besitzen, den  Mann zu kontrollieren, zu beeinflussen, zu lenken und auch  bloß zustellen. Es liegt an dem Verhältnis von Vermögen der Frau und  Unvermögen des Mannes, als schwaches Geschlecht, das dem Weiblichen im Roman wirkungsmächtige Größe verleiht.
Sexualität wird zudem nur gesellschaftliches Problem. An religiösen Inhalten stößt sie nicht an. Keuschheit ist somit gesellschaftliche Norm und korreliert mit  ''êre'' und Ehrverlust. Erst in einer erotischen Verklärung des Liebestods, den wir in der Romantik finden, nicht aber bei Gottfried,  wird Religion in Verbindung mit der Liebestod-Selbstmord-Problematik  relevant und wurde deshalb an dieser Stelle ausgespart.
Sexualität wird bleibt nur gesellschaftliches Problem. An religiösen Inhalten stößt sie sich kaum an, zumindest wird ein religiöser Konflikt nicht näher thematisiert. Keuschheit ist somit gesellschaftliche Norm und korreliert mit  ''êre'' und Ehrverlust. Erst in einer erotischen Verklärung des [[Liebestod|Liebestods]], die wir in der Romantik finden, nicht aber bei Gottfried,  wird Religion in Verbindung mit der Liebestod-Selbstmord-Problematik  relevant und wurde deshalb an dieser Stelle ausgespart.
Ebenfalls  die MInnegrottenepisode hat wenig mit reiner Sexualität und Lust zu tun  als viel mehr mit erfüllter und sehnsuchtsvoller Liebe und muss in  anderen Kontexten erörtert werden.
Ebenfalls  die Minnegrottenepisode hat wenig mit reiner Sexualität und Lust zu tun, als viel mehr mit erfüllter und sehnsuchtsvoller Liebe und muss in  anderen Kontexten erörtert werden.
==Einzelnachweise==
==Einzelnachweise==
<references />
<references />
==Literatur==
==Literatur==
*Zitationen aus dem Tristan-Text sind zu finden in: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2007-2008. (RUB 4471-4473).
*Zitationen aus dem Tristan-Text sind zu finden in: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2007-2008. (RUB 4471-4473).
<HarvardReferences />
 
*  Ehrismann, Otfrid: Theologie und Erotik. Die geistesgeschichtliche    Wende der 'Tristan'-Rezeption und ihr Heiterkeitsdefizit, in: Uf der    mâze pfat. Festschrift Werner Hoffmann, hg. von Waltraud Fritsch-Rößler,    Göppingen 1991 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 115-134.  
*  Ehrismann, Otfrid: Theologie und Erotik. Die geistesgeschichtliche    Wende der 'Tristan'-Rezeption und ihr Heiterkeitsdefizit, in: Uf der    mâze pfat. Festschrift Werner Hoffmann, hg. von Waltraud Fritsch-Rößler,    Göppingen 1991 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 115-134.  
*[*Haug]  Haug, Walter: Gottfrieds von  Straßburg 'Tristan'. Sexueller  Sündenfall oder erotische Utopie, in:  Strukturen als Schlüssel  zur  Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur  des Mittelalters, hg.  von  Walter Haug, Tübingen 1989, S. 600-611.  
*[*Haug]  Haug, Walter: Gottfrieds von  Straßburg 'Tristan'. Sexueller  Sündenfall oder erotische Utopie, in:  Strukturen als Schlüssel  zur  Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur  des Mittelalters, hg.  von  Walter Haug, Tübingen 1989, S. 600-611.  
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* Jaeger, Charles Stephen: Mark and Tristan. The Love of Medieval Kings and their Courts, in: in hôhem prîse. Festschrift Ernst S. Dick, hg. von Winder McConnell, Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 183-197.  
* Jaeger, Charles Stephen: Mark and Tristan. The Love of Medieval Kings and their Courts, in: in hôhem prîse. Festschrift Ernst S. Dick, hg. von Winder McConnell, Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 183-197.  
*[*Krohn] Krohn, Rüdiger: Erotik und  Tabu in  Gottfrieds 'Tristan': König  Marke,  in: Stauferzeit.  Geschichte,  Literatur, Kunst, hg. von Rüdiger  Krohn,  Stuttgart 1979  (Karlsruher  Kulturwissenschaftliche Arbeiten),  S.  362-376.
*[*Krohn] Krohn, Rüdiger: Erotik und  Tabu in  Gottfrieds 'Tristan': König  Marke,  in: Stauferzeit.  Geschichte,  Literatur, Kunst, hg. von Rüdiger  Krohn,  Stuttgart 1979  (Karlsruher  Kulturwissenschaftliche Arbeiten),  S.  362-376.
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Aktuelle Version vom 8. Mai 2024, 15:05 Uhr

Der Tristan-Roman ist voll von sexuellen und erotischen Momenten. Das sinnliche, wie körperliche Erleben von Liebe, Sexualität, Treue und Freundschaft, ist handlungskonstituierende Größe. Wie ich in diesem Artikel erörtern werde, ist es das Fleischliche, das Verlangen, was viele Handlungsstränge antreibt und überformt. Es sollen einige erotischen/sexuellen Motive aufgearbeitet und ihre Bedeutung für den Tristanstoff analysiert werden. Im Zentrum dabei wird stehen, wie die Charaktere der Isolden mit ihrer Weiblichkeit sexuelles Verlangen motivieren und wie dieses Verlangen schließlich Einfluss hat auf die Handlung. Es wird gezeigt werden, dass das Weibliche im Roman treibende Größe und konfliktkonstituierend ist. Ein weiterer Aspekt wird das Verhältnis zwischen Tristan und Männern sein: Findet ausschließlich Freundschaft statt, oder lassen sich im Umgang der "Freunde" homoerotische Tendenzen erkennen? Zu guter Letzt muss betrachtet werden, wie andere Charaktere des Romans mit ihrer Libido umgehen und zu welchen inneren und äußeren Konflikten diese führt.

Wer pflückt den Apfel und sät Zwietracht?

Tristans und Isoldes erster Kontakt

Betrachtet man Isoldes erstes Erscheinen, so fällt auf, dass nicht etwa diejenige blonde Isolde gemeint ist, sondern deren Die Isolde-Charaktere Mutter: Sie tritt als Heilerin auf, um Tristans Giftwunde zu versorgen. Dabei ist sie voller Mitleid für den verwundeten Spielmann, nicht zuletzt deshalb, weil sie von Tristans höfischem Verhalten beeindruckt ist. Tristan wird von ihr geheilt, weil er einem Ritterideal entspricht. Als Gegenleistung für seine Heilung, soll er die blonde Isolde in höfischem Verhalten (morâliteit V. 8004) und Künsten unterrichten (V. 7967 ff.). Noch erhält keiner von beiden sexuelle Attraktivität; beide sind nur sozial äußerst attraktiv. Tristan wegen seines guten Aussehens und Höfischheit, muss als Idealbild des Ritters betrachtet werden, da das Aussehen nicht zuletzt Abbild alles Inneren ist[Haug: S. 609]. Bei Isolde verhält es sich genau gleich: sie ist das Idealmodell einer frouwe. Zwischen ihnen gibt es keine Erotik, nur keusche, maximal freundschaftliche Zuneigung, weil sie voneinander profitieren können. Tristan genest, Isolde lernt von Tristans künstlerischem Können und wird so der allgemeinen höfischen Norm noch ähnlicher[Haug: S. 609].

Marke und Tristan als ein Herrscher und Bruch

Einige Zeit später empfiehlt Tristan Marke sich eine Frau zu nehmen (V. 8355). Zu diesem Zeitpunkt sind Tristan und Marke von sehr ähnlicher Gestalt. Beide, oder vielleicht gerade in Kombination und Ergänzung bilden ein ritterliches Herrscherbild, das mustergültig ist. Tristans höfische Erziehung und seine jugendliche Potenz, paaren sich mit Markes Altersweisheit und Erfahrung. Ein gerechter, starker, (männlicher) Herrscher entsteht. Tristan und Marke könnte man als eine Person, eine Seele, ein Leib verstehen, da sie sich derartig nahe stehen und ähnlich sind. Auf Tristans Empfehlung hin, schickt Marke Tristan (wen sonst, denn nur Tristans Jugend, Erziehung und Stärke können seinen Plan durchsetzten), um die schöne Isolde als Braut für Marke zu gewinnen. In den Versen 8253 - 8295 schwärmt Tristan - nicht sexuell - von Isolde und empfiehlt sie über 40 Verse lang Marke. Sie ist lustic, ûz erkorn, lûtere, liehte, lûter, ein kint von gebaerden und von lîbe, um nur einige Attribute zu nennen. Ihre sexuelle Attraktivität wird mit keinem Wort erwähnt, diese ist hier maximal impliziert. Tristan beschreibt sie bezeichnenderweise als Helena (V. 8267). Man bedenke, dass Helena der Grund für den Trojanischen Krieg lieferte. Sie selbst war der Streitpol, der die Freundschaft der Griechen mit den Trojanern beendete, die Völker entzweit. Marke und Tristan werden entzweit werden, durch eben diese helenische Isolde und der Kampf zwischen dem entzweiten Herrscherbild wird ebenfalls durch die Instanz der List entschieden. Marke entschließt sich also zur politischen Hochzeit und Tristan macht sich auf, Isolde zu gewinnen. Er schafft es. Nur ist ihm Isolde mittlerweile nicht mehr wohl gesonnen, da sie erfahren hat, dass Tristan ihren Onkel Morold umbrachte. Doch wie findet die Trennung Tristans von Marke genau statt? Isolde, die für Marke bestimmt sein soll - aus weltlicher Sicht - aber sexuell und emotional Tristan verführt, offenbart gerade dadurch ihre Liebesmacht. Die Schwäche des Mannes wird der Macht der Frau gegenübergestellt. Schwachheit, dein Nam' ist [Mann]! -[1]. Der Mann ist verführbar. Tristan, das Ideal, plötzlich nicht mehr unantastbar. Ihm steht ein moralisch einwandfreier Marke gegenüber, der sich wirklich zu Isolde hingezogen zu fühlen und sie auch ohne Trank - und nicht nur politisch - zu lieben scheint. Wir haben nun wieder zwei Seelen und zwei Körper - zwei Männer. Der verführte, potente Liebhaber steht dem moralischen, liebenden Gehörnten. Diese Charaktere können nicht mehr zusammen finden. Venus treibt den Keil tief zwischen sie. Tristan hintergeht also Marke und handelt unmoralisch, unhöfisch und Marke lässt sich von seinen Beratern aufwiegeln gegen Tristan, dem er anfängt - zurecht - zu misstrauen. Es gibt kein reines höfisches Ritterideal mehr, denn Tristan handelt verwerflich und Marke ist ohne Tristan nicht vollständig. Deshalb nur können seine Berater Zwietracht säen. Mit dem verlorenen idealen Ritter ist die höfische Gesellschaft aus den Angeln gehoben, das Weltbild verrückt.

Einbruch der Liebe

Durch den Liebestrank, den die zwei fataler Weise anstatt Wein trinken, um ihren Waffenstillstand zu besiegeln wird Isolde gleichsam zur Venus. Tristan verliebt sich unzertrennlich in sie und Isolde sich in ihn. Isolde ist von nun an umkämpftes Sex- und Statussymbol des Romans. Durch die Entfachung der fleischlichen Lust zwischen Tristan und Isolde (natürlich auch Liebe) ist nur noch ein Bruch mit Marke möglich. Tristan und Isolde fühlen sich immer stärker körperlich zueinander hingezogen und fangen an Marke zu betrügen. Ein Treuebruch Tristans Marke gegenüber, der ihm aber gleichsam Isolde zur Frau macht und parallel dazu findet der Ehebruch Isoldes statt, die Marke heiraten musste. Wie stark der sexuelle Trieb des Liebespaares sein muss, zeigt die Tatsache, dass Isolde sich schon auf der Überfahrt nach Cornwall, also noch vor der Heirat mit Marke und somit außerehelich und ledig, von Tristan entjungfern lässt (V. 12404). Sie ist dadurch sozial disqualifiziert. Sie geht jeder weiblichen höfischheit Qualität verlustig, zu der eben auch die voreheliche Keuschheit gehört. Nun kann man behaupten es läge alles nur am Trank als magische, übernatürliche Größe, doch muss man betrachten, wer den Trank braute - Isoldes Mutter nämlich, eine weise, gelehrte, emanzipierte Frau. Sie ist autark, stark, autoritär, selbstbewusst und selbstständig. So kann sie Herrscherin über die Iren sein und die Wissenschaft der Alchemie betreiben. Es ist zwar nicht untypisch für die mittelalterliche Epik, dass eine Frau emanzipierte Züge besitzt, aber doch dass sie so viel Einfluss auf die Politik besitzt und Naturwissenschaften betreibt. Eine weibliche Herrscherin, Beraterin des Königs, der sich mehr auf ihr Urteil zu verlassen scheint, als auf ein Männliches. Diese Frau stellt mit ihrer Persönlichkeit jede soziale-höfische Ordnung auf den Kopf, zumindest die Ordnung auf der britischen Insel; auch indem sie mit ihrer "Zauberei" Liebe und Fleischeslust produziert. Eine Frau bringt also die Lust in jene heile, geordnete Welt Tristans und zerstört so allen Frieden. Diese Tatsache erinnert an den paradiesischen Sündenfall. Gleichzeitig macht es die Isoldefiguren zur Allegorie der Weiblichkeit und der mit der Weiblichkeit verbundenen Erotik. Liebe ist somit die Magie einer Eva, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hat[Haug: S. 604]. Weiblichkeit ist somit auch der Schlüssel zur Zwietracht und zum Konflikt zwischen den Männern und dem Konflikt Tristans mit der höfischen Gesellschaft. So wird aber auch deutlich, dass der Mann der weiblichen Kunst unterlegen ist und ohnmächtig bleibt. Die Frau ist also gerade nicht das schwache Geschlecht, das der eigenen Libido erliegt, sondern der Mann, der sich von der Sexualisierung des Geschehens durch die Frau völlig überrumpeln lässt.

Die Rolle der einzelnen Isolden und der Frau

Dabei ist es nicht einmal sonderlich bedeutsam, welche Isolde gemeint ist. Die Mutter Isolde braut den Trank und hält so das ganz haptisches Zeugnis ihrer Macht in Händen. Für die blonde Isolde, an die Tristan gebunden wird, opfert er alles: Die Aussicht auf Herrschaft in Markes Reich, Markes Erbe, Markes Freundschaft, seine Ehre, Markes Ehre und seine Stellung in der Gesellschaft. Weil ihn Isolde Weißhand so sehr an die blonde Isolde erinnert, heiratet er diese aus Sehnsucht nach der blonden Isolde. Die Macht der Isolde Weißhand ist es also wiederum Tristan an sich zu binden. Oder es ist die Macht der Blonden, die noch durch Isolde Weißhand wirkt. Alle drei Isolden haben also die Macht den Mann für sich in Besitz zu nehmen. Natürlich ist der Minnetrank das greifbarste Element und klarstes Dingsymbol ihrer Magie. Betrachten wir Isoldes Entjungferung nochmals: Auch Isolde scheinen alle Konsequenzen egal zu sein. Sie erschafft als sexuelle Isolde den locus amoenus, indem sie alle sozialen Werte und politischen Strukturen niedertritt. Mit der Konstituierung des locus amoenus in der absoluten Liebe des Paares, wird gleichzeitig aber auch der locus terribilis erschaffen - die Gesellschaft, in der sie so nicht leben können, weil sie sich entehren. Dieser Konflikt endet in der Flucht ins Paradies. In der Minnegrotte, kann alle Lust und Körperlichkeit frei sein. Marke legitimiert schließlich die Zuneigung Tristans zu Isolde, bzw. Isoldes zu Tristan, bevor sie sein weltliches Reich verlassen. Auch Brangäne erfüllt ihr Weiblichkeitsklischee. Nur liegt ihre Potential gerade im Unvermögen - sie ist nicht achtsam genug und lässt es zu, dass der falsche Liebestrank als Friedenstrank getrunken wird.


Fleischliche Lust

Brangäne

An dieser Stelle möchte ich zunächst auf Brangäne eingehen. Sie nimmt eine äußerst eigenartige Rolle ein. Sie ist es, die an Isoldes statt mit Marke Isoldes Brautnacht verbringt - ein großes Opfer, denn sie vertuscht Isoldes verlorene Jungfräulichkeit, indem sie ihre eigene Jungfräulichkeit hergibt und sich somit - wie vormals schon Isolde - ins soziale Aus stellt. Nun gibt es mehrere Gründe welche erklären, warum Brangäne auf Isoldes Drängen hin schwört, sich Marke hinzugeben. Erstens erweist sie Isolde damit einen Freundschaftsdienst, indem sie deren Ehre rettet und den Verrat an Marke vertuscht. Somit rettet sie vorerst auch das junge, heimliche Liebesglück Tristans und Isoldes. Zweitens hat Brangäne von der älteren Isolde den Auftrag erhalten, Alles für die jüngere Isolde zu tun, sie zu beschützen und zu hüten. Indem sie den Trank nicht genug gesichert hat, ist sie ihrer zugedachten Aufgabe nicht nachgekommen und hat sich somit schuldig gemacht. Getrieben von ihrem schlechten Gewissen stimmt sie also dem Beischlaf zu. Aufgrund dieser Pflichterfüllung finde ich den Begriff Freundschaft, angewendet auf Brangäne und Isolde, nicht unbedingt passend. Besser wäre es wohl, von „Treueschaft“ zu sprechen. Der Beischlaf wird durch die zweite Begründung zu einer Art Buße, mit der sich Brangäne entsühnt.

dô sie vür Îsolde
geleistet, daz si solde,
unde ir teidinc ergie,
von dem bette sî sich lie. (V. 12631 - 12634)

Nachdem Brangäne ihre Schuldigkeit jedoch getan und sich somit auch entsühnt hat, verlässt sie Marke gewissenhaft. Dieses Beispiel soll zeigen, welche Flexibilität das Thema Sexualität im Tristan-Roman besitzt. Zum einen ist es eine perverse Erniedrigung einer jungen Frau als Treuedienst und Buße, zum anderen aber auch soziale Norm. Die Ehe wird immerhin mit dem Beischlaf vollzogen und gefestigt.

Truchseß

Vor Dublin wütet ein Drache. Derjenige, der diesen Drachen erschlägt, dem soll die Hand der blonden Isolde gehören. Der Truchseß des irischen Königshofs ist in Isolde verliebt, allerdings ist er nicht ritterlich genug, um den Drachen töten zu können. Er versucht Tristan, der den Drachen erschlagen hat, zu überlisten. Doch der hat die Zunge des Drachens herausgeschnitten, so dass der Kopf des Drachen, den der Truchseß als Beweis anbietet, nicht mehr ernst genommen wird. Schon hier zeigt sich, dass der Truchseß unhöfisches Verhalten an den Tag legt, denn er versucht die Ehe mit Isolde zu erschleichen. Er ist getrieben von seinem egoistischen Verlangen nach Isolde, so dass er jeden Anstand vergisst. In seiner Rede vor dem Königspaar (V. 9845 - 9896) fordert er Isoldes Hand forsch und verstrickt sich in fadenscheinigen Argumenten, obwohl er schon lange überführt ist. Er wird von der Königin Isolde an der Nase herum geführt. An dem dummen Verhalten des Truchseß, an der Unterstellung

iuch dunket ie daz arge guot,
daz guote dunket iuch ie arc.
diu art ist an iu allen starc.
ir sît verkêret alle wîs: (V. 9870 - 9873)

und indem er selbst genau so argumentiert, wie er den Isolden vorwirft zu argumentieren, wird deutlich, wie sehr er nur von der Libido getrieben ist und nicht von reiner Liebe: hätte er nämlich ein edeles herz (V. 47), könnte er um Isolde auf höfische Art und Weise minnen. Der Truchseß wirft der Frau Falschheit und Unreflektiertheit vor und ist es gleichsam selbst - betrügerisch und unreflektiert. Er ist Symbol der Schwachheit des Mannes. Allerdings verschuldet er das selbst, denn an ihm wirkt Frau Minne nicht. Er lässt sich dazu hinreisen Minne gewaltsam zu fordern. Wie weiter oben aber abgehandelt wurde, ist es Privileg der Frau, Minne zu delegieren. Der Mann scheitert hier an seiner eigenen nicht kontrollierten Libido.

Erscheinungsformen der Libido und ihre wirkungsästhetischen Möglichkeiten

Blanscheflur und Riwalin

Alsus neig ir dô Riwalîn
vil kûme, als ez dô mohte sîn
von eime tôtsiechem man. (V. 1287 - 1289)

Blanscheflur trifft mit dem tödlich verwundeten Riwalin zusammen. Auf seinem Krankenlager schlafen sie miteinander, wobei sie Tristan empfängt und Riwalins Lebensgeister zurückkehren und er genest.

dar nâch sô was vil harte unlanc,
unz daz ir beider wille ergienc
und daz vil süeze wîp enpfienc
ein kint von sînem lîbe.

...

sus genas er, wan ez solte wesen. (V. 1321 - 1330)

Hier hat der Geschlechtsakt sogar heilende Wirkung. Aus Liebe mit Lust erwächst hier das Heil in der Liebe, gleichzeitig aber auch gesellschaftliche Probleme, denn das Paar ist nicht verheiratet.

Tristan und Marjodo

Eigentümlich ist das Verhältnis zwischen Tristan und Marjodo. Marjodo ist Markes oberster truhsaeze (V. 13464) und teilt sich als cumpanjûn (V. 13461) mit Tristan ein Zimmer an Markes Hof. Entscheidend ist nun, dass sich die beiden auch ein Bett teilen und sie sich nachts Geschichten erzählen - unbestimmten Inhalts.

Ouch war es des truhsaezen site,
wan Tristan schoener maere phlac,
daz er'm ie nahtes sô bî lac,
daz er bereite hin z'im sprach. (V. 13476 - 13479)

festzuhalten ist jedoch auch, dass dieses Beieinander-Liegen von Marjodo ausgeht, der Tristans Geschichten zuhört (des truhsaezen site). Ich möchte behaupten, dass hier homosexuelle Tendenzen zu beobachten sind. Marjodo muss sich von Tristan angezogen fühlen. Das Bild des Geschichtenerzählens erinnert zudem nämlich an die Minnegrottenepisode, wo sich Tristan und Isolde beieinander sitzend Geschichten von sehnsuchtsvoller Liebe erzählen.

dâ sâzen sî z'ein ander an
diu getriuwen senedaere
und triben ir senemaere
von den, die vor ir jâren
von sene verdorben wâren. (V. 17182 - 17186)

Und nicht zuletzt reagiert Marjodo deutlich eifersüchtig, als er durch Zufall herausbekommt, dass Tristan mit Isolde eine Affäre hat. Es befällt ihn ein "gelinder, freundschaftlicher Grimm" (ein vriuntlîchez zornelîn, V. 13555), darüber, daz er im niht enseite von sîner tougenheite(V. 13557 f.). Zweierlei Lesarten sind nun freilich möglich: Marjodos Grimm resultiert aus dem freundschaftlichen Treuebruch und dem Treuebruch der Liebenden gegenüber dem König Marke. Der Ehrverlust der darin mitschwingt, sowohl Tristans und Isoldes, als auch der Markes, ist nicht zulässig in der höfischen Ideologie. Marjodo wäre dann metonymisch für die Gesellschaft zu lesen, die Tristans Liebschaft nicht duldet und als Instanz der huote den König warnt. Die zweite Lesart legt eine sexuelle Implikation nahe: Marjodo ist aufgrund einer sexuellen, homosexuellen Nicht-Erfüllung eifersüchtig auf Isolde und wütend auf Tristan, den er nicht für sich haben kann. Ob diese Lesart allerdings zulässig ist und ob sie sinnvoll ist, bleibt fraglich. Im Mittelalter war Homosexualität ein Tabuthema[Krohn: S. 363]. Dass homosexuelle Nuancen herauszulesen sind, muss daher einen zwingenden Grund erfordern. Gottfried von Straßburg muss es beabsichtigt und etwas auszudrücken versucht haben. Vielleicht ist eine mögliche Antwort, dass der Roman grundsätzlich antihöfische Tendenzen aufweist, durch den permanenten Bruch mit höfischen Normen. Dann wären die homosexuellen Anspielungen nur ein weiterer Tabubruch. Andererseits könnte hier zum Ausdruck gebracht werden, wie intensiv die höfische Erscheinung Tristans auch auf das männliche Geschlecht gewirkt haben kann.

Tristan und Marke

Noch deutlicher sind im Verhältnis Markes zu Tristan homosexuelle Anspielungen zu lesen: Schon die Tatsache, dass Marke Tristan adoptiert und damit er keine Nachkommen zeuge, auf eine Ehefrau verzichtet macht stutzig.

wan ich wil durch den willen dîn
êheliches wîbes âne sîn,
die wîle ich iemer leben sol. (V. 5159 - 5161)

Es ist völlig untypisch, dass ein Herrscher seine Erblinie freiwillig zu unterbrechen bereit ist und auf den Ehrzuwachs, den eine Heirat in der Gesellschaft bringt, zu verzichten. Zudem macht Marke Tristan dieses Angebot im Privaten. Die Öffentlichkeit ist in der Szene nicht anwesend. Wenn also dieses Angebot für Tristan keine faktische Änderung bringt - diese brächten Zeugen - so ist diese Äußerung als Geste Markes umso erstaunlicher, da sie aufgrund ihrer politischen Unnötigkeit, nur als Ausdruck Markes emotionaler Verbundenheit gedeutet werden kann [Krohn: S. 370]. Des weiteren benutzt Marke bezüglich Tristan sehr häufig das Wort vriunt, so wie die Beziehung Blanscheflurs und Riwalins als vriuntschaft bezeichnet wurde[Krohn: S. 373]. Hier tritt eine Parallelität zu Tage, die wiederum stutzig macht. R.N. Combridge spricht von einem "übermäßigen Gefühl Markes für Tristan"[2].

in dûhte wîp alse wîp.
er vant ouch die vil schiere
von guoter maniere.
ime was ein ander.

...

ouch leisten s'ime ir teidinc
alsô dan und alsô dar,
daz er nie nihtes wart gewar. (V. 12666 - 12674)

Es scheint, als diene die Frau Marke nur zur Stillung sexueller Begierden. "Ihm schien Frau gleich Frau". Isolde kann ihm also doch nicht so viel Wert gewesen sein, wie zu Beginn des Artikels noch vermutet. Isolde ist eine Frau Markes unter vielen. Erst durch den Betrug Tristans und der damit verbundenen Affäre, wird Marke in die Rolle des Ehemannes gezwängt, mit allen Konsequenzen, denn jetzt geht es um seine Ehre[Krohn: S. 374]. Daran, dass Marke überhaupt nicht um Isolde kämpft, lässt sich ableiten, dass er an der Person "Isolde" auch kein großes Interesse hat. Einzig die gesellschaftliche Schmach, sein Ehrverlust ist für Marke relevant. Dass Marke homoerotische Tendenzen zugeschrieben werden - durch narrative Mittel - und sein Verhältnis zur Sexualität und Frauen so negativ dargestellt werden, könnte daran liegen, dass Gottfried von Straßburg so das Liebespaar in hellerem Licht erstrahlen lassen kann und ihnen ihre moralische Schuld nimmt. Narrativ hat dieses Vorgehen mit Sympathielenkung zu tun, welche natürlich auf das Liebespaar fokusiert werden soll[Krohn: S. 368]. Markes Versagen als Schutzherr in den Episoden mit Gandin und Morold unterstützen diese These[Krohn: S. 376].

Fazit

Es wurde festgestellt, dass Sexualität und Erotik In Gottfrieds von Straßburg "Tristan" auf unterschiedlichste Weisen präsentiert wird. Neben heilsamer Wirkung und homosexuellen Elementen der fleischlichen Liebe, die kritische Diskurse in der Handlung motivieren, wird auch falsche Liebe mit bloßer Libido gleichgesetzt, was an der Truchseß-Episode deutlich wurde. Das Weibliche ist von entscheidender Bedeutung sowohl für die Minne, als auch, wie in diesem Artikel analysiert wurde, für die sexuellen Antriebe im Tristanroman Gottfrieds. So sind es die Isolden, als Allegorie für das Weibliche, die die Liebe und die Libido des Mannes anregen und die Macht einer Eva, Helena oder Venus besitzen, den Mann zu kontrollieren, zu beeinflussen, zu lenken und auch bloß zustellen. Es liegt an dem Verhältnis von Vermögen der Frau und Unvermögen des Mannes, als schwaches Geschlecht, das dem Weiblichen im Roman wirkungsmächtige Größe verleiht. Sexualität wird bleibt nur gesellschaftliches Problem. An religiösen Inhalten stößt sie sich kaum an, zumindest wird ein religiöser Konflikt nicht näher thematisiert. Keuschheit ist somit gesellschaftliche Norm und korreliert mit êre und Ehrverlust. Erst in einer erotischen Verklärung des Liebestods, die wir in der Romantik finden, nicht aber bei Gottfried, wird Religion in Verbindung mit der Liebestod-Selbstmord-Problematik relevant und wurde deshalb an dieser Stelle ausgespart. Ebenfalls die Minnegrottenepisode hat wenig mit reiner Sexualität und Lust zu tun, als viel mehr mit erfüllter und sehnsuchtsvoller Liebe und muss in anderen Kontexten erörtert werden.

Einzelnachweise

  1. Shakespeare, William; Hamlet; Reclam Verlag; Stuttgart; 1969; I, 2; S. 15.
  2. R.N. Combridge; Das Recht im "Tristan" Gottfrieds von Straßburg; 1964; S. 122.

Literatur

  • Zitationen aus dem Tristan-Text sind zu finden in: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2007-2008. (RUB 4471-4473).
  • Ehrismann, Otfrid: Theologie und Erotik. Die geistesgeschichtliche Wende der 'Tristan'-Rezeption und ihr Heiterkeitsdefizit, in: Uf der mâze pfat. Festschrift Werner Hoffmann, hg. von Waltraud Fritsch-Rößler, Göppingen 1991 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 115-134.
  • [*Haug] Haug, Walter: Gottfrieds von Straßburg 'Tristan'. Sexueller Sündenfall oder erotische Utopie, in: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters, hg. von Walter Haug, Tübingen 1989, S. 600-611.
  • Jaeger, Charles Stephen: Ennobling love. In search of a lost sensibility, Philadelphia 1999 (The Middle Ages series).
  • Jaeger, Charles Stephen: Mark and Tristan. The Love of Medieval Kings and their Courts, in: in hôhem prîse. Festschrift Ernst S. Dick, hg. von Winder McConnell, Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 183-197.
  • [*Krohn] Krohn, Rüdiger: Erotik und Tabu in Gottfrieds 'Tristan': König Marke, in: Stauferzeit. Geschichte, Literatur, Kunst, hg. von Rüdiger Krohn, Stuttgart 1979 (Karlsruher Kulturwissenschaftliche Arbeiten), S. 362-376.